Fotografie
Bernd und Hilla Becher - Hochofenwerke

Wie Kathedralen ragen sie in den Himmel und dominieren die Landschaft: die Hochöfen.
Als Teil riesiger Industrieanlagen dienen, beziehungsweise dienten sie der Verhüttung von Eisenerzen. Viele Hochofenwerke sind inzwischen still gelegt, demontiert oder zu Kulturdenkmälern ernannt. Das Ehepaar Bernd und Hilla Becher dokumentiert seit den 1960er- Jahren diese Relikte industrieller Produktion, Monster aus Stahl und Eisen von überraschender Ästhetik. Die SK Stiftung Kultur in Köln präsentiert in ihrer Ausstellung rund 250 Schwarz-Weiß-Aufnahmen: Reihungen, Typologien und Einzelfotografien von über 40 Hochofenwerken in Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Großbritannien und den USA. Fotokunst von distanzierter, kühler Sachlichkeit, in der Menschen keine Rolle spielen.

Woher kommt das Interesse der Bechers für Industriearchitektur? Die Stahl- und Bergbauindustrie ist dem in Siegen aufgewachsenen Bernd Becher von Kindheit an vertraut. Das Siegerland ist bis Mitte der 1960er-Jahre eine boomende Industrieregion. Der Niedergang des Bergbaus sowie die weltweite Stahlkrise der Siebziger läuten auch das Sterben der Hüttenwerke ein. Als die Eisenerzgrube Eisenhardter Tiefbau Ende der Fünfziger Jahre stillgelegt und abgerissen wird, greift er zum ersten Mal zur Kamera und dokumentiert den Abriss. Seine Leidenschaft für historische Industriebauten ist geweckt und soll ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen. An der Düsseldorfer Kunstakademie lernt Becher seine Frau Hilla kennen, die seine Faszination über 40 Jahre teilen wird. Bereits während der Studentenzeit reist das Ehepaar im VW-Bus, beladen mit einer Plattenkamera ins Sieger Land, ins Ruhrgebiet, die Beneluxstaaten. Sie fotografieren Fabrikhallen, Wassertürme, Gasbehälter, Fördertürme sowie Hochöfen. Technische Konstruktionen, deren Form durch ihre Funktion bestimmt wird. Standen zunächst diese Wahrzeichen moderner Schwerindustrie im Fokus, geraten zunehmend die umgebende Landschaft sowie die Wohnsiedlungen der Arbeiter ins fotografische Visier. Wie leben diese Menschen, deren wirtschaftliche Existenz von der ansässigen Industrie abhängig ist?

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Die Schwarz-Weiß-Fotografien des Ehepaares stehen in der Tradition der dokumentarischen Objektivität des Amerikaners Walker Evans und des Deutschen August Sander, dem Fotografen der neuen Sachlichkeit in den 20er-Jahren. Bechers klar strukturierte Arbeiten grenzen sich deutlich ab von der journalistischen Fotografie sowie der experimentellen Fotografie eines Otto Steiners, einem Fotografen der Nachkriegszeit. Die fotografischen Aufnahmen entstehen nach strengen Kriterien, die immer eingehalten werden. Dazu gehören Distanz und Objektivität, Frontalansicht und Zentralperspektive, geradlinige Horizontale und Vertikale, einheitliche Bildeinstellung und Belichtung, keine Farben und Bewegung, keinerlei Schattenspiel oder diagonale Verzerrungen.

Das Fotografieren gestaltet sich für das Paar nicht immer einfach. Jahreszeiten, Wind und Wetter sowie der Lichteinfall erschweren die Arbeit. Hinzu kommt das Schleppen der schweren Fotoausrüstung in schwindelnde Höhen, nur um den richtigen Standort zu erwischen. Dann kommt das Warten. "Beide warten wir sehr lange, es gibt entweder grelle Sonne oder ganz schwarze Wolken. Was wir abwarten wollen, ist ein schön durchgezeichneter Hochofen und ein etwas stärker beleuchteter Hintergrund, so dass sich der Hochofen immer noch dunkel gegen hell trennt", erinnert sich Hilla Becher. Die Resonanz der Kunstwelt auf ihre ersten Schwarz-Weiß-Fotografien ist geteilt, von unmöglich bis altmodisch oder sie werden belächelt. Doch das Ehepaar lässt sich von der Kritik nicht beeindrucken und bleibt ihrer konservativen, traditionellen Bildsprache bis dato treu. Heute gelten die beiden als Pioniere der zeitgenössischen Fotografie.

Ihr fotografischer Tätigkeitsbereich dehnt sich mit der Zeit auf Nord- und Ostdeutschland, Südengland und die USA aus. Tausende von Fotoarbeiten entstehen, die als Negative archiviert werden. Nach dem Tode von Bernd Becher im Juni 2007 führt seine Frau Hilla die künstlerische Arbeit fort.
Die von Hilla Becher kuratierte Ausstellung präsentiert unter anderem neue Fotografien, die extra für diese Schau entwickelt worden sind. Beim Betreten der weiß gestrichenen Ausstellungsräume empfängt den Besucher eine kühle Sachlichkeit, die mit den schwarz-weißen Bildmotiven korrespondiert. Die Exponate sind nach Ländern und Städten geordnet. Einheitliche Bildformate mit weißen Rahmungen unterstreichen die klare Gliederung der Hängung, wobei Bildreihen und auf Formvergleich angelegte Typologien mit großformatigen Einzelbildern abwechseln. Dass Hochofenwerk nicht gleich Hochofenwerk ist, erfährt der Besucher beim Vergleichen der über 40 Hochofenanlagen. 1983 fotografiert das Ehepaar zum Beispiel den Hochofen in Lübeck-Herrenwyk. Das 1905 gegründete Metallhüttenwerk ging 1981 in Insolvenz, das Werk mit den drei Hochöfen wurde stillgelegt und zehn Jahre später abgerissen. Der Hochofen mit dem Hochofenkopf, dem Stützgerüst und den Gasrohren ist in Frontal- und Seitenansicht fotografiert, sodass die Bilder dem Betrachter einen visuellen Rundgang ermöglichen. Einen Einblick in das technische Innenleben geben Einzelaufnahmen mit Leitungen, Ventilen und sich windenden Rohren. Die Aufnahmen sind faszinierende Architekturportraits von ästhetischer Schönheit. "Die Hochöfen waren chaotisch mit ihrem Dschungel aus Röhren. Sie hatten mit herkömmlicher Architektur nichts zu tun. Dennoch waren sie monumental und wucherten in eigenen Formen.[...] Hochöfen sind Individuen, da gibt es keine Zwillinge, jeder ist sein eigener Typus und sie lassen sich mit nichts assoziieren", erzählt Hilla Becher.

Zur Zeit wird der Hochofen 4 in Duisburg-Bruckhausen abgerissen, den die Bechers als Einzelbild oder Bildreihe von 1970 bis 1995 dokumentiert haben "Duisburg-Bruckhausen, Ruhrgebiet". Dem Abriss entkommen, ist dagegen die Völklinger Hütte. 1879 in Betrieb genommen, wurde die gesamte Anlage mit den Nebengebäuden, den Hochöfen und der Kokerei 1986 stillgelegt. Acht Jahre später ernannte die UNESCO das Hochofenwerk der Völklinger Hütte als Denkmal der Industriegeschichte zum Weltkulturerbe. Glück hatte auch das Hüttenwerk in Duisburg-Meiderich. Das Werk gehört seit Anfang der 90er-Jahre zum Freizeitpark "Landschaftspark Duisburg-Nord". Zum Industriedenkmal ernannt, steht die ehemalige Hochofenanlage seit 2004 unter Denkmalschutz.

Landschaftsbilder zeigen die Dominanz der Industriegiganten. Der Industriekomplex "Terre Rouge, Esch-Alzette " in Lothringen, 1979 aufgenommen, liegt eingebettet in eine bewaldete, hügelige Landschaft. Fast modellhaft wirken die drei Hochöfen, die Schornsteine, Gasrohre, Laderampen und Förderbänder sowie die Nebengebäude. Das Ehepaar dokumentiert aber auch die zu Füßen der Stahlkolosse liegenden Arbeitersiedlungen, welche das Alltags- und Arbeitsleben der Menschen sichtbar machen. Egal ob die Siedlungen in Europa oder den USA liegen, sie bieten ein immer gleiches Panorama: Überragt von der riesigen Silhouette der Anlage liegen schmucklose Wohnhäuser mit Schrebergärten, Felder, Straßen und Parkplätze mit Autos. Der Betrachter meint den Dreck zu spüren, den Gestank der qualmenden Schornsteine zu riechen und den Lärm der Tag und Nacht arbeitenden Maschinen zu hören. Skurril mutet der Blick vom Friedhof mit Kreuzen über die Wohnhäuser einer Arbeitersiedlung auf das Stahlwerk Bethlehem Steel in Pennsylvania an. Eine symbolische Prophezeiung für das Schicksal des Stahlgiganten?

Als Chronisten der Zeitgeschichte fotografieren Bernd und Hilla Becher über vier Jahrzehnte europäische und amerikanische Hochofenwerke, die umgebende Landschaft, die Arbeitersiedlungen. Die Schau präsentiert rund 250 Fotografien, historische Dokumente einer vergangenen Industriekultur.

Die empfehlenswerte Ausstellung "Bernd und Hilla Becher - Hochofenwerke" ist bis zum 26. Januar 2014 in der SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, 50670 Köln zu besichtigen.
Die Ausstellungszeiten sind Donnerstag bis Dienstag von 14 bis 19 Uhr.
www.sk-kultur.de


Bildnachweis. Alle: Bernd und Hilla Becher. Hochofenwerke (20.09.13 - 26.01.14). © Hilla Becher
Header: Terre Rouge, Esch-Alzette, L 1979
Galerie:
01. Blick in die Ausstellung. © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln/Photo: Benjamin Hoetter
02. Lübeck-Herrenwyk, D 1983
03. Hüttenwerk Lübeck-Herrenwyk, D 1983
04. Neuves Maisons, Lorraine, F 1986
05. Neuves Maisons, Lorraine, F 1986
06. Ensley, Alabama, USA 1983
07. Youngstown US Steel, Ohio, USA 1981/83
08. Longwy-Senelle, Lorraine, F 1985
09. Charleroi-Montignies, B 1984

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