Bildende Kunst

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Nach diesen visuellen Eindrücken, empfiehlt sich ein Spaziergang durch die riesige Gartenanlage, die, wie sollte es anders sein, ebenfalls einer strengen gestalterischen Planung unterliegt. Denn Landschaft und Architektur sollten eine kompositorische Einheit bilden. Durch Hecken und Baumreihen aus Kiefern oder Birken optisch strukturiert, finden sich hier Heideflächen, Obstbaumgärten, Wiesen, ein Stein- und Gemüsegarten - hier standen auch die Ställe für Enten, Hühner, Schafe und Schweine. Nördlich vom Kunsttempel liegt der Baumtempel, eine Anlage aus quadratisch angeordneten Fichtenreihen. Er ist das organische Pendant zum steinernen Kunsttempel. Eine Allee aus Monolithen und Fichten führt zu einem riesigen Findling, der Grabstelle von Johann und Jutta Bossard. Gegenüber vom Eingang des Kunsttempels stehen fünf Skulpturen, die ihre Fortsetzung finden in einer Skulpturenreihe mit verschiedenen Plastiken.

Wer war dieser Künstler, der zusammen mit seiner Frau in der Einsamkeit der Lüneburger Heide seine Visionen eines Gesamtkunstwerkes verwirklicht hat? Bossard, 1874 in Zug in der Schweiz geboren, machte zunächst eine Ausbildung als Kachelofenbauer in seinem Heimatort. Ab 1894 studierte er figürliche Malerei und Bildhauerei in München und Berlin. Der Auftrag für ein Mausoleum der Familie Franke auf dem St. Georgen Friedhof in Berlin, ermöglichte ihm einen einjährigen Studienaufenthalt in Italien. Ende 1905 nahm er die preußische Staatsangehörigkeit an, eine Voraussetzung für die Teilnahme an öffentlichen Ausstellungen und Ausschreibungen. Erste Erfolge stellten sich mit seinen Plastiken ein, die ihn populär und finanziell unabhängig machten. 33-jährig nahm Bossard 1907 einen Lehrauftrag an der Kunstgewerbeschule in Hamburg an, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1944 tätig sein sollte. 1926, mit 52 Jahren, heiratete er seine 29 Jahre jüngere Schülerin, Jutta Krull. Zwischen 1907 und 1912 erhielt Bossard öffentliche Aufträge der Hansestadt, da Kunst am Bau dem modernen Zeitgeist entsprach. Wer aufmerksam durch Hamburg geht, kann heute noch Bossards zahlreiche Skulpturen an Hamburger Gebäuden entdecken. Von den Bauplastiken seien erwähnt: die Uhr an der Börse am Adolphsplatz, die liegenden Portalfiguren am Curio-Haus, zwei Löwen und vier Figuren über dem Hauptportal des Museums für Völkerkunde, zwei Steinfigurengruppen am Portalvorbau des Eingangs Goernestraße am Bahnhof Kellinghusenstraße.

Nach einem Besuch bei dem Ehepaar Hülse in Wiedenhof bei Jesteburg kaufte Bossard 1911 spontan ein 30.000 Quadratmeter großes Heidegrundstück. Bereits während seiner Studienzeit träumte er von einem Gesamtkunstwerk, das Architektur, Kunst und Landschaft vereinen sollte. Die Idee war nicht neu, denn bereits um 1889 gründeten mehrere Künstler im Teufelsmoor vor den Toren Bremens eine Gemeinschaft, die „Künstlerkolonie Worpswede“. Bis heute leben und arbeiten dort Maler, Bildhauer und Kunsthandwerker. Ein weiteres, seit 1899 existierendes Projekt war die Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe. Finanziert und protegiert vom damaligen Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt entstand quasi ein kleiner Stadtteil mit Ateliers, Werkstätten und Wohnhäusern. Nach dem Ersten Weltkrieg zerbrach endgültig die Vision einer Künstlergemeinschaft. Der Großherzog musste abdanken; viele Häuser waren durch den Krieg zerstört. Fazit: Die Künstlerkolonie existierte nur 15 Jahre. Sie wurde 1914 aufgelöst.
Ob Bossard etwas Ähnliches in der Lüneburger Heide verwirklichen wollte, erscheint fraglich. Denn von Freunden und Zeitgenossen wird er als introvertiert und eigenbrötlerisch beschrieben. Dass er dennoch in kapp 40 Jahren seinen Lebenstraum vom Gesamtkunstwerk verwirklichen konnte, ist auch seiner Ehefrau Jutta zu verdanken, die ihn zeitlebens tatkräftig unterstützte. Das Ehepaar lebte zurückgezogen in seinem Heidedomizil. Der Künstler mied das gesellschaftliche Leben in Hamburg und scheute die Öffentlichkeit. Die Kritik seiner Frau wies er mit den Worten zurück: „Die Meinen werden mich schon finden.“ Er starb 1950 im Alter von 76 Jahren. Seine Frau überlebte ihn um 46 Jahre.
Das Ehepaar Bossard hinterlässt der Nachwelt ein Gesamtkunstwerk, in dem Architektur, Plastik, Malerei, Kunsthandwerk und Gartenbaukunst eine harmonische Verbindung eingehen. Zugegeben, Bossards mystische Malereien wirken auf den heutigen Betrachter etwas befremdlich. Entsprechen sie doch der Germanenideologie des Wilhelminischen Kaiserreiches, die sich in Malerei, Skulptur, Monumentalbauten sowie in der Musik von Richard Wagner manifestierte.

Die Kunststätte Bossard wird heute von der „Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard“ verwaltet. Seit 1997 ist sie für die Öffentlichkeit zugänglich.


Kunststätte Bossard
Bossardweg 95
21266 Jesteburg
Öffnungszeiten:
März bis Oktober Di bis So 10 - 18 Uhr
Montags geschlossen
Internet: www.bossard.de

Fotonachweis:
Header: Kunststätte Bossard, Klostergarten. Foto: Christel Busch
Galerie:
1. Kunsttempel, Westansicht. Foto: Christel Busch
2. Jutta und Johann Bossard vor dem Kunsttempel. (c) Kunststaette Bossard
3. Musikzimmer der Kunststaette Bossard. (c) Kunststaette Bossard
4. Eddasaal. (c) Kunststaette Bossard
5. Sulpturen von Bossard. Foto: Christel Busch

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