Bildende Kunst

Seit dem Bauhausjahr 2019 ist Dörte Helm keine Unbekannte mehr. In Fernsehfilmen wie „Lotte am Bauhaus“ oder der Serie „Die neue Zeit“ trat sie als fiktionale Figur auf, verwickelt in politische Kämpfe und Affären.

Nicht nur die historische Wahrheit blieb dabei teilweise auf der Strecke, auch die Künstlerin Dörte Helm. Welches Talent und künstlerisches Potential sie in ihrer Studienzeit am Weimarer Bauhaus bewiesen hat, würdigt jetzt eine Ausstellung im Kunstraum des Puppenmuseums Falkenstein in Hamburg.

Im Jahre 1931, lange nach ihrer Bauhauszeit, malt Dörte Helm ein Selbstporträt in neusachlichem Stil: eine schlichte Frisur umrandet das zarte Gesicht einer ernsten jungen Frau mit dunklen melancholischen Augen. Zu dem Zeitpunkt lebt die Malerin und Innenraumgestalterin in Rostock und ist seit einem Jahr mit dem Journalisten Heinrich Heise verheiratet. Diese eindrückliche Pastellzeichnung hängt im Eingang zur Ausstellung, gleich neben biografischen Fotos und Texten von 1919, als Dörte Helm ihr Studium am Staatlichen Bauhaus in Weimar begann und sie eine romantische Liebe mit ihrem Kommilitonen, dem Bildhauer Johannes Ilmari Auerbach verband. An der gegenüberliegenden Wand verkündet der Architekt Walter Gropius in seinem Bauhausmanifest von 1919 das Ideal des Gesamtkunstwerks: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeiten ist der Bau!“, und weiter: „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück!“

 

Es ist eine Qualität der Ausstellung, Dörte Helms Bilder und Textilarbeiten mit nur wenigen Zitaten unaufdringlich in ihren Entstehungszusammenhang einzubetten. So erfährt man aus dem Protokoll einer Meisterratssitzung von 1922, dass Frauen von der Mitarbeit am Bau ausgeschlossen sein sollten. Trotzdem hatte Walter Gropius Dörte Helm mit der Farbgestaltung für das Haus Otte in Berlin beauftragt, was zum Konflikt mit dem Meister Carl Schlemmer führte. Recht durchsetzungsstark hatte sich Dörte Helm gegen dessen Protest Zugang zur Baustelle verschafft. Daraufhin unterstellte Schlemmer Gropius und Helm eine Affäre, ein Gerücht, das sich hartnäckig bis in die heutige Fernsehwirklichkeit gehalten hat.

 

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Dörte Helm stammte aus einem gutbürgerlichen Berliner Elternhaus, ihr Vater war Altphilologe und seit 1907 Professor an der Universität Rostock. Er förderte die künstlerische Ausbildung seiner Tochter im Sinne einer klassischen akademischen Lehre. Stationen waren u.a. die Kunstgewerbeschule Rostock, die Kunstakademie Kassel und schließlich 1918 die Großherzogliche Kunsthochschule Weimar. Die wurde im April 1919 zusammen mit der aufgelösten Kunstgewerbeschule zum Staatlichen Bauhaus in Weimar zusammengefasst mit Walter Gropius als Direktor. Was am Ende des Kaiserreichs 1918 im revolutionären Berlin an neuen Ideen im Arbeitsrat für Kunst diskutiert worden war, konnte Gropius jetzt hier in Weimar versuchen umzusetzen. Kunst sollte nicht mehr dem Genuss weniger dienen, sondern dem Glück und Leben aller. So war die 20-jährige Dörte Helm, als sie im Juni 1919 in die neue Schule aufgenommen wurde, mit einem Kunstbegriff konfrontiert, der den Vorstellungen ihres Elternhauses und ihrer bisherigen Lehrer widersprach. Sie absolvierte zunächst den legendären Vorkurs bei Johannes Itten. Der versuchte mit Kreativitäts- und Sensibilitätsübungen die Wahrnehmung der Studierenden zu schärfen und vermittelte eine spezielle Formen-, Farben- und Materiallehre. Ziel war es, konventionelle Denkmuster aufzubrechen, um zu neuen Formen und einem neuen Ausdruck zu finden.

 

Dieses Moment des Aufbrechens ist in den ausgestellten Arbeiten von Dörte Helm deutlich sichtbar. Zum Beispiel die drei Kohlezeichnungen „Alter Mann“: zuerst sieht man einfach einen alten Mann auf einem dreibeinigen Hocker sitzen, sehr locker gezeichnet, doch Details wie Schuhe und Hände sind deutlich zu erkennen. Schon auf dem zweiten Blatt werden diese Details nur noch angedeutet oder weggelassen wie z.B. die Hockerbeine. Auf der dritten Zeichnung scheint die Schwerkraft aufgehoben, der Mann schwebt mit seinem Hocker, um ihn herum wilde Striche und Schraffuren, die den Raum in der Tiefe explodieren lassen. Dörte Helms Fähigkeit, gezielt mit der Leere des Blattes zu arbeiten, um Raum entstehen zu lassen oder ein Objekt zu definieren, zeigen auch ihre Männerakte. Abgesehen davon, dass die Geschlechter- und damit Blickbeziehung in diesem Fall ungewöhnlich war: mit nur wenigen Strichen und gezielten Auslassungen setzt sie die Körperhaltung expressiv ins Bild.

 

Georg Büchners Dramenfragment Woyzeck in schwarzer Tusche, Aquarelle von kosmischen Kompositionen, eine gefällte Tanne in Kohle, Holzschnitte von Christus oder Trauernden an Gräbern: Dörte Helm wählte überwiegend ernste Themen, um unterschiedlichen Techniken zu erproben. Manchmal meint man, den Einfluss der Bauhaus-Meister zu erkennen, z.B. Lyonel Feininger, wenn sie das Bild in geometrische Flächen aufteilt. Doch immer wieder überrascht die Leichtigkeit des Strichs und die Dynamik des Ausdrucks. Nicht wenige Blätter zeigen die Spuren der Zeit, haben Knicks oder Risse. Elke Dröscher, die Ausstellungskuratorin und Leiterin der Puppenmuseums, hat sie mit einem Papier hinterlegt und weiträumig gerahmt, sodass sie quasi in der Fläche atmen können und nicht eingezwängt wirken. Von Dörte Helms Arbeiten für die Häuser Sommerfeld und Otte, ein Vorhang und ein Paravent, sind leider nur noch Schwarzweiß-Fotos erhalten. Im Original sind neben einigen Buchgestaltungen ein gewebter Tischläufer und ein Seidenvorhang mit geometrischen Mustern zu sehen.

 

Nachdem Dörte Helm die Werkstätten für Wandmalerei (bei Oskar Schlemmer und Johannes Itten) und Textil (bei Georg Muche und Helene Börner) durchlaufen hatte, legte sie vor der Handwerkskammer Weimar ihre Gesellenprüfung als Dekorationsmalerin ab und arbeitete weiter am Bauhaus in der Weberei-Werkstatt. 1923 wirkte sie in der Kommission für die erste große Bauhaus-Ausstellung mit und war als einzige Frau an der 20-teiligen Serie von Postkarten beteiligt, die für diese Leistungsschau warb und eine Auflage von 40.000 Stück erreichte. Sie war eine Studentin, die immer wieder auffiel, nicht nur mit künstlerischen Leistungen, manchmal auch durch Aufmüpfigkeit. 1920 bemalte sie mit zwei Kommilitonen eine Plastik des anerkannten Bildhauers Adolf Brütt. Die Weimarer Öffentlichkeit geriet darüber in Aufruhr. Um sie zu beruhigen, wurde Dörte Helm offiziell suspendiert, konnte aber weiter studieren und wurde nach einem Semester wieder aufgenommen.

 

1924 ging Dörte Helm zurück nach Rostock, wo ihre Eltern lebten. Sie arbeitete als freie Innendekorateurin und Malerin, reiste, schrieb ein Märchenstück, für dessen Aufführung am Rostocker Stadttheater sie auch das Bühnenbild konzipierte, beteiligte sich an Ausstellungen in Norddeutschland und Berlin. Zwar bewegte sie sich noch in einem kreativen Milieu, besuchte häufig die Künstlerkolonie Ahrenshoop an der Ostsee, doch das gesellschaftspolitische Klima änderte sich. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus erhielt sie Berufsverbot. Sie galt als sogenannte „Halbjüdin“, da ihre Mutter jüdischer Abstammung war. Durch die Heirat mit dem eher konservativen Journalisten Heinrich Heise schien sie vorläufig geschützt zu sein. Die beiden lebten seit 1932 in Hamburg, wo 1938 ihre Tochter Cornelia Dorothea zur Welt kam. Im Februar 1941 starb Dörte Helm infolge einer Grippe im Alter von 42 Jahren.

 

Das Hamburger Puppenmuseum Falkenstein mit seinem Kunstraum liegt im ehemaligen Haus Michaelsen von Karl Schneider, entstanden 1922 bis 1924. Dieser Pionierbau des Neuen Bauens und der europäischen Moderne ist ein passender Ort für Dörte Helms Kunst. Die Ausstellung zeigt - bis auf das melancholische Selbstporträt von 1931 – nur die Arbeiten aus den Jahren von 1919 bis 1923 am Bauhaus in Weimar. In der freien und experimentierfreudigen Atmosphäre dieser Aufbruchszeit konnte Dörte Helm ihr künstlerisches Potential entdecken. Es voll zu entfalten, blieb ihr letztlich nicht genügend Zeit.


„Dörte Helm. bauhaus weimar“

Ausstellung Kunstraum Puppenmuseum Falkenstein in Hamburg

Zu sehen von Juli, bis September, jeweils Di. bis So. 11 bis 17 Uhr

- Weitere Informationen (Ausstellung)

- Weitere Informationen (Homepage Dörte Helm)

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