Bildende Kunst
Louiose Bourgeois - Passage dangereux - Hamburger Kunsthalle

„Meine Werke haben immer mit Sex zu tun, aber was geht Sie das an“, blaffte Louise Bourgeois (19011-2011) einmal einen Fernsehjournalisten an.

Da war sie schon eine alte Dame, doch von Altersmilde keine Spur. Die Französin, die seit 1938 in New York lebte und noch bis kurz vor ihrem Tod arbeitete, war zweifellos eine Ausnahmeerscheinung – schon deshalb, weil sie erst (oder noch) mit 71 Jahren den internationalen Durchbruch in der Kunstwelt schaffte. Das ist ungefähr so selten, wie in Sechser im Lotto. Doch es passte zu dem unkonventionellen Wesen der Bildhauerin.

Louise Bourgeois war ein Phänomen, eine Jahrhundertkünstlerin, die ihre kreative Kraft aus einer unglaublichen Fülle an persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen schöpfte. Zum 100. Geburtstag widmet ihr die Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung im Hubertus Kunst Forum, die sich auf ihre letzte Schaffensphase zwischen 1996 und 2009 konzentriert. Unter dem Titel „Passage dangereux“ werden Installationen, Stoffobjekte und ein großformatiger Radierzyklus vorgestellt, die erstmals in Deutschland zu sehen sind. Dazu eine Vielzahl ornamentaler kleiner Stoffbilder, die noch nie in der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Die späten Arbeiten seien ihre besten, hatte die Künstlerin noch kurz vor ihrem Tod gesagt – wer wollte ihr da widersprechen.

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Seit die riesige Plattform zwischen Kunsthalle und Galerie der Gegenwart existiert, wird sie von Skatern und BMX-Radlern beturnt, ansonsten jedoch kaum genutzt. Vor fünf Jahren, immerhin, stand der schwarze Kubus von Gregor Schneider hier. Doch als Klotz zwischen zwei Klötzen war das optisch wenig attraktiv. Nun aber thront Louise Bourgeois‘ „Maman“ (1999) hier, die mehr als neun Meter hohe Spinne aus Bronze und Edelstahl, die wie gemacht zu sein scheint für diesen Platz hoch über der Binnenalster. Die Spinne ist eine Art Wahrzeichen der Künstlerin. Immer wieder tauchen die Wesen in ihren Werken auf. Aber nicht als das verkörperte Böse, als Schrecken oder Tod. In der Traumdeutung stehen sie für künstlerische Kraft, sexuelle Begierden und Leidenschaften. Und auf spiritueller Ebene gar für die Große Mutter in ihrer Rolle als Weberin. Genauso sieht die auch Louise Bourgeois. Doch darüber hinaus steht das Tier bei ihr für eine ganz konkrete Person: „Maman“ ist eine Hommage an die über alles geliebte Mutter, die mit ihrem Mann ein gutgehendes Geschäft für Antiquitäten und Tapisserien in Paris führte. Während sich der Vater um kaufmännische Belange kümmerte, war Joséphine Bourgeois auf die Restaurierung historischer Teppiche spezialisiert. Sie hielt im Sinne des Wortes die Fäden in der Hand, behütete die Kinder und ertrug mit unerhörter Geduld die Liebschaften ihres Gatten, der seine Mätresse sogar als Englischlehrerin der Kinder ins Haus holte. Für Louise eine unerhört belastende Situation, an der sie sich immer wieder abarbeitete. „Die Ehefrau in Frankreich muss sich mit den Geliebten des Mannes abfinden“, sagte sie einmal. Das sei auch der Grund gewesen, warum sie Frankreich mit ihrem Mann verlassen hätte.

Wie stark die Künstlerin, selbst dreifache Mutter, zeitlebens „eine Gefangene“ ihrer Erinnerungen blieb, zeigt die Ausstellung im Hubertus-Wald-Forum in höchst eindringlichem Maße. Zwar experimentierte die Bildhauerin seit den 60er-Jahren schon mit weichen Materialien, mit Gummi und Latex, auch erweiterte sie den Skulpturenbegriff hin zur Installation, doch hier, in diesem abgedunkelten, völlig entkernten Ausstellungsraum, scheint ihre Kindheit im Boulevard Saint-Germain wieder lebendig zu werden. Am direktesten zeigt sich das wohl in dem fragilen Werk „ohne Titel“ von 1996: Es ist eine Art Kleiderständer, an dem ihre eigenen Kinderhemdchen und Unterröcken an Bügeln aus Knochen hängen. Alles weiß und unschuldig – bis auf ein aufdringlich glitzerndes schwarzes Abendkleid, das wie ein bedrohlicher Fremdkörper wirkt. Die vier untereinanderstehenden Worte am Boden machen das (Mit)Leid des Kindes von einst überdeutlich: „Seamstress (Schneiderin), Mistress (Geliebte), Distress (Elend), Stress“, steht dort in Metall für die Ewigkeit geschrieben.

Aber noch etwas anders offenbart diese wunderbar inszenierte Schau: Louise Bourgeois, die sich immer als eine Art künstlerischer Widerpart zu ihrer Mutter begriffen hatte („Meine Mutter reparierte beschädigte Dinge. Das mache ich nicht. Ich muss zerstören, wieder aufbauen, wieder zerstören“), wandelte sich mit zunehmendem Alter selbst immer stärker in eine Behüterin und Bewahrerin. Davon zeugt der große, maskenhafte Tapisserie-Kopf, der mit groben Stichen zusammengenäht wurde. Davon zeugt die Spinnenfrau in ihrem Kasten („Lady in waiting“, 2003), aber vor allem die zentrale „Passage dangereux“: Das titelgebende Hauptwerk, ist ganz von der sorgsamen Hand einer Restauratorin geprägt. In dem länglichen Drahtkäfig, der ursprünglich einmal begehbar war, sind tausend Dinge aus verschiedenen Lebensepochen zusammengetragen. Der ganze Ballast der Vergangenheit, von dem sie sich durch ihre Kunst immer befreien wollte: Alte Tische, ein zerschlissener Teppich, Glaskugeln voller Knochen, große und kleine Souvenirs, auch ein Likörfläschchen in Form eines gläsernen Pferdchens, das ihr einst Le Corbusier geschenkt hatte. Und natürlich ist auch hier wieder der unverzeihliche „Verrat“ des Vaters präsent: In einer Zelle baumeln alte Stühle ohne Polster von der Decke. Ganz so, wie sie Louis Bourgeois in seiner Scheune aufbewahrte. Am Boden liegt ein Eisengestell mit vier Füßen, das an Beinprothesen erinnert, aber ein kopulierendes Paar darstellt. Und dieses grässliche kalt-hart-kantige Liebespaar wird beobachtet – von einer kleinen Spinne aus einer Ecke.
Eros, Sex und Tod. Schuld, Verrat, Verletzungen – alle Themenkomplexe, die die „späten Feministin“ Zeit ihres Schaffens umtrieben, sind in diesem klaustrophobischen Gefängnis gegenwärtig. Mit der „Passage dangereux“, dem gefährlichen Weg, hat sich für die Künstlerin der Kreis geschlossen. Am Ende ihres Lebens saß Louise Bourgeois wieder als trauriges kleines Mädchen auf dem Dachboden.

Louise Bourgeois, „Passage dangereux“, Hamburger Kunsthalle, bis 17. Juni 2012.

Fotonachweis:
Header: Passage dangereux , 1997, Mixed Media; 264,2 x 355,6 x 876,3 cm. Privatsammlung, Schweiz. Foto: Hamburger Kunsthalle/Kay Riechers © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Galerie:
01. Louise Bourgeois mit SPIDER IV in 1996 
Portrait: © Peter Bellamy/SPIDER IV: © Louise 
Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
02. Untitled, 2005 , Stoff; 61 x 78,7 cm. Privatsammlung, Courtesy Cheim & Read und Hauser & Wirth. Foto: Christopher Burke . © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
03. Untitled, 2005 , Stoff; 23,8 x 27,9 cm. Privatsammlung, Courtesy Hauser & Wirth und Cheim & Read. Foto: Christopher Burke . © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
04. The waiting hours, 2007, Stoff; 12 Bilder, je 38,4 x 31,1 cm. Privatsammlung, Courtesy Cheim & Read und Hauser & Wirth. Foto: Christopher Burke © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
05. Untitled, 2000, Tapisserie und Stahl; 180,3 x 28,6 x 22,2 cm. Privatsammlung. Foto: Christopher Burke © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
06. À l´infini (Detail), 2008, Radierung, Gouache und Bleistift auf Papier, 14 Teile, jedes Blatt ca. 101 x 151,8 cm. The Museum of Modern Art, New York. Erworben mit Mitteln von Agnes Gund, Marie-Josée und Henry R. Kravis, Marlene Hess und Jim Zirin, Maja Oeri und Hans Bodenmann, Katherine Farley und Jerry Speyer, 2010. Foto: Ben Shiff © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 201
07. Untitled, 1996, Kleidung, Knochen, Gummi und Stahl; 300,4 x 208,3 x 195,6 cm. Courtesy Cheim & Read und Hauser & Wirth. Foto: Allan Finkelman © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 201
08. Passage dangereux (Detail), 1997, Mixed Media; 264,2 x 355,6 x 876,3 cm. Privatsammlung, Schweiz. Foto: Peter Bellamy © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
09. Maman, 1999; Installation vor der Hamburger Kunsthalle 2012; Bronze mit Silbernitratpatina, Edelstahl und Marmor; 927,1 x 891,5 x 1023,6 cm. Collection The Easton Foundation, Courtesy Cheim & Read und Hauser & Wirth. Foto: Hamburger Kunsthalle/Kay Riechers © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012
10. Louise Bourgeois, 2009. Foto: Alex Van Gelder © Louise Bourgeois Trust; VG Bild-Kunst, Bonn 2012

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