Bildende Kunst
Licht, Wasser, Klang: Haegue Yang und Rivane Neuenschwander in der Overbeck-Gesellschaft

Die Overbeck-Gesellschaft in Lübeck präsentiert in ihrer neuen Ausstellung zwei international renommierte Künstlerinnen: Haegue Yang aus Süd-Korea und die Brasilianerin Rivane Neuenschwander.
Beide setzen sich in ihren Installationen und Bildern explorativ mit unterschiedlichsten Materialien auseinander. Yang thematisiert das Licht als sinnliche Erfahrung und visuelle Funktion, Neuenschwander dagegen widmet sich den Themen Wasser, Bewegung und Klang. Als Bindeglied zwischen diesen Positionen sind die Buchpakete des in Lingen lebenden Künstlers Peter Lütje zu sehen.

Die raumgreifende Installation „Rain Rains“ von Rivane Neuenschwander (*1967) empfängt den Besucher beim Eintritt in den Kunstverein. An Stahlseilen hängen von der Decke sechzehn große Aluminiumeimer aus denen Wasser in jeweils einen darunter stehenden Eimer tropft. Je nach Wasserstand, erzeugen die Tropfen ganz unterschiedliche Klangrhythmen auf der Wasseroberfläche und bilden im Eimer differenzierte Wellenbewegungen. Ist der untere Eimer voll, muss das Aufsichtspersonal auf eine Leiter steigen und das Wasser in den oberen Eimer zurück schütten. Wer jetzt an den armen Sisyphos aus der griechischen Mythologie denkt, liegt falsch. Die Idee zu dieser Arbeit ist ganz trivial. Denn Wasser, sprich Regen, und Eimer gehören zum brasilianischen Alltag. Da nicht alle Dächer den tropischen Regengüssen standhalten, werden einfach Eimer unter das Leck gestellt. Neuenschwander transportiert diese simplen Gebrauchsgegenstände aus dem alltäglichen Kontext in ihre Wasserinstallation. Die Künstlerin verarbeitet ihre persönlichen Erlebnisse mit den Klängen des tropfenden Regens. Ihre Installation hat aber auch symbolische Bedeutung: sie ist eine Parabel für den ewigen Kreislauf des Wassers, für das Verrinnen der Zeit oder des eigenen Lebens. Der Titel „Rain Rains“ erweckt dagegen eher sentimentale Erinnerungen an den Schlager eines brasilianischen Musikers aus den 1960er-Jahren.

Auch ihr Video „The Fall“ fokussiert Bewegung und Geräusche. Der fünfzehnminütige Film konzentriert sich auf einen Eierlauf, bei dem die Künstlerin einen Löffel mit Ei im Mund balanciert. Voller Spannung wartet der Zuschauer, dass das Ei vom Löffel rutscht und auf den Boden klatscht. Fällt es nun oder fällt es nicht? Als Soundtrack dienen die Atemgeräusche der unsichtbaren Läuferin, das Klappern der Eierschale und Vogelgezwitscher.

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Interessant ist Neuenschwanders Reihung „Anonymous Dialogues“ aus viermal zwanzig kleinformatigen Schreibmaschinenzeichnungen. Im Jahr 2005 bat sie Besucher der Biennale in Venedig die Impressionen der Schau auf einer Schreibmaschine festzuhalten. Die mit einem schwarz-roten Farbband ausgestattete Maschine war dahingehend manipuliert, dass sie keine Buchstaben sondern nur Leer- und Sonderzeichen besaß. Die Zeichnungen spielen mit der Fantasie des Betrachters, er meint das unermüdliche Klappern der Tastaturen zu hören. Die in unglaublicher Akkuratesse ausgeführten Arbeiten - Tippfehler sind nicht erkennbar - zeigen konkrete Motive sowie abstrakte Figurationen. Letztere erschließen sich erst in größerem Abstand zum Bild.

Peter Lütjes (*1968) Bücherpakete „Engagierte Schönheit“ sind einerseits ein Bindeglied zwischen den konträren Positionen der beiden Künstlerinnen, andererseits sind sie eine Hommage an Rivane Neuenschwander. Die Brasilianerin liebt es über die Wochenmärkte ihrer Heimat zu schlendern. Als aufmerksame Beobachterin sammelt sie die Einkaufszettel der Dienstmägde, die häufig statt Schrift mit Zeichnungen der Lebensmittel versehen sind. Auch Lütje hat Märkte besucht und alte Bücher gesammelt. Nicht Titel und Inhalt waren ausschlaggebend, sondern das unterschiedliche Format. Arrangiert und verklebt zu Paketen, folgen sie allein ästhetischen Konzepten.

Neuenschwanders Wasserinstallation steht im Dialog mit Haegue Yangs (*1971) „Seven Basel Lights“: eine aus sieben skulpturalen Elementen bestehende Lichtinstallation mit den rätselhaften Titeln „Languid Understatement, Colorful Leftover, Drip Drawing, Moderato Cantabile, Second Teenage Riot, Warm Melancholy, Drag Queen“. An der Wand und von der Decke hängend oder an Infusionsständern befestigt, zeigen sie ein unüberschaubares Gewirr von Kabeln mit weißen und farbigen Glühbirnen, roten Wärmelampen, kaltleuchtenden Neonröhren sowie Netzen und anderen Alltäglichkeiten. Zu dem ästhetischen Reiz dieser Farbillumination kommt ein Geruch, der in zeitlichen Intervallen freigesetzt wird. Die Szenerie wirkt wie eine farbenfrohe Theaterkulisse, in der die Besucher durch Begehen des Raumes wie Statisten agieren.
Yangs Lichtkunst korrespondiert mit ihrer großformatigen Papiercollage „Trustworthies Ray“. In akribischer Feinarbeit sind Streifen aus Millimeterpapier und gemusterten Innenseiten von Briefumschlägen zu einer ornamentalen Collage arrangiert. Die Streifen verlaufen in diagonalem Rapport achsensymmetrisch zur Bildmitte. In der schützenden Glasscheibe des Bildes spiegeln sich die Farben der Lichtobjekte.

Die sensibel installierte Ausstellung „Haegue Yang – Rivane Neuenschwander“ in der Overbeck-Gesellschaft ist sehr dazu geeignet, mit Sinnenvielfalt die Besucher für zeitgenössische Moderne zu sensibilisieren.


Die Overbeck-Gesellschaft ist in Lübeck „die erste Adresse“ für zeitgenössische Kunst. Der 1918 gegründete und nach Lübecks berühmtesten Maler Friedrich Overbeck benannte Kunstverein, ist eine Tochter der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit. Ziel des Vereins war es moderne Malerei, Plastik, Graphik sowie angewandte Kunst zu fördern und „das heranwachsende Geschlecht zu eigenem Urteil und zu verständnisvollem Genuss der Kunst heranzuziehen“. In dieser Tradition standen und stehen auch die Ausstellungen, die keine tradierte Kunst zeigen. Immer am Puls der zeitgenössischen Avantgarde, bietet das Haus ein facettenreiches Spektrum von Malerei und Skulpturen, Zeichnungen und Grafik, Schmuck, Videos sowie Installations- und Objektkunst. Viele der präsentierten Künstler genießen internationales Renommee; sie haben an der Documenta, den Biennalen in Venedig und São Paulo sowie an der Manifesta teilgenommen.
Der schlichte, rechtwinkelige Ausstellungspavillon liegt eingebettet in den Bürgergärten hinter dem Behnhaus. Rund 200 m² Ausstellungsfläche verteilen sich auf drei untere Räume und einen im Obergeschoss. Nach den Entwürfen des Lübecker Architekten Wilhelm Bräck, im Stil des Neuen Bauens errichtet wurde das Haus im Oktober 1930 eingeweiht.


Haegue Yang – Rivane Neuenschwander, zu sehen bis 1. April 2012
In der Overbeck-Gesellschaft, Verein von Kunstfreunden e.V.
Königstraße 11
23552 Lübeck

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 – 17 Uhr
www.overbeck-gesellschaft.de

Fotonachweis:
Header:
Detail aus Haegue Yang,"Series of Vulnerable Arrangements - Seven Basel Lights", Lichtinstallation, 2007. Foto: Overbeck-Gesellschaft
Galerie:
01. Overbeck-Gesellschaft zu Lübeck, Außenansicht. Foto: Overbeck-Gesellschaft
02. Rivane Neuenschwander, "Rain Rains", Wasserinstallation, 2001. Foto: Christel Busch
03. Rivane Neuenschwander, Filmstill aus "The Fall”, Video. Foto: Overbeck-Gesellschaft
04. Rivane Neuenschwander, "Anonymous Dialogues", Schreibmaschinenzeichnungen, 2010, und Peter Lütje: Engagierte Schönheit”, Objekte, 2005. Foto: Overbeck-Gesellschaft
05. Peter Lütje, "Engagierte Schönheit", Objekte, 2005. Foto: Christel Busch
06. Haegue Yang, "Series of Vulnerable Arrangements - Seven Basel Lights", Lichtinstallation, 2007. Foto: Christel Busch
07. Haegue Yang, "Trustworthie Ray", Collage, 2012. Foto: Christel Busch

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