Bildende Kunst

Die produktivste Epoche der vielseitigen Künstlerin Mary Bauermeister präsentiert noch bis zum März 2023 die Kunsthalle Kiel.

 

Mary Bauermeister, geboren 1934, ist eine über die Jahrzehnte hinweg immer wieder neu aufbrechende, neue Konzepte entwickelnde Künstlerin. In Kiel wird die erste und immens produktive Phase von der Mitte der Fünfziger Jahre bis zum Anfang der Siebziger gezeigt.

 

Dabei ist nicht allein die Künstlerin Mary Bauermeister von Bedeutung, sondern auch die Netzwerkerin, die in Köln ein Atelier in der Lintgasse betrieb, in das sie die Avantgarde einlud. „Bauermeisters Rolle“, so Kunsthallen-Direktorin Anette Hüsch in ihrem den Katalog eröffnenden Essay, in dem sie der Künstlerin eine bedeutende Rolle in der Avantgardekunst zuschreibt, „ist die einer Ermöglicherin und Torwächterin des intensiven Austausches innerhalb einer jungen und vitalen Kunstszene mit Figuren wie Otto Piene, John Cage oder Nam June Paik“.

 

Zu dieser Avantgarde zählten zunächst bildende Künstler (unter anderem aus der Fluxus-Bewegung), aber auch Musiker. Der bekannteste von ihnen – er wird auf einem der Wandtexte zu einem der „bedeutendsten Komponist*innen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ erklärt – wurde später ihr Ehemann. Gemeinsam mit Karlheinz Stockhausen (1928-2007), dem bekanntesten Pionier serieller und elektronischer Musik, entwickelte Bauermeister zahlreiche Konzepte und trug sie bis nach New York, wo sie Anfang der Sechziger große Erfolge feiern konnte, die sie allerdings in Deutschland nicht bekannter machen sollten. Die Ausstellung dokumentiert die Kölner wie die New Yorker Phase im Leben Bauermeisters mit zahlreichen Fotos und Dokumenten. Und auch die elektronische Musik findet sich in Kiel – Bauermeisters Sohn Simon Stockhausen hat, in den Fußspuren seines Vaters wandelnd, eine Komposition für diese Ausstellung seiner Mutter geschaffen.

 

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Markenzeichen der Künstlerin war von Anbeginn die Einbindung sogenannter „kunstferner“ Materialien, also von Steinen, die sie am Strand aufsammelte, von Strohhalmen aus Plastik, von Holz, Bienenwaben oder Textilien – sie nahm sich, was sich ihr bot, hat im Anschluss an einen ersten Fund aber auch ganz systematisch gesammelt, um diese Gegenstände zu Objektcollagen zu verarbeiten. Besonders merkwürdig sind die Bettlaken, die sie zuerst auf Sizilien entdeckte, um sie mit der Hilfe von Lichtquellen zu „Lichttüchern“ zu verarbeiten – es scheint, dass sie immer noch über einen großen Vorrat verfügt. Von diesen Lichttüchern lässt sich dasselbe wie von der Mehrheit ihrer Objekte sagen: Sie sind ästhetisch sehr reizvoll, sogar so sehr, dass man sie sich ins Wohnzimmer stellen möchte.

 

Das vielleicht interessanteste Konzept waren (oder sind…) ihre „als Erzählräume konzipierten Linsenkästen“ (so die Kuratorin Regina Göckede). In einem Uhrmacherladen hatte Bauermeister Linsen verschiedener Brennweiten entdeckt und sich sogleich einen großen Vorrat besorgt, um sie in Holzkästen einzubauen, in denen sich verschiedene Gegenstände unter Glas befanden; auf diesem Glas lagen dann die anfangs freibeweglichen Linsen, durch die man die Gegenstände betrachten konnte. Es gehörte von Anfang an zum Konzept, dass jeder Kasten eine Fülle von Perspektiven bot. Ursprünglich lagen die Linsen so auf den Objekten, dass die Besucher sie ergreifen und hin und her bewegen konnten; aber dann stellte sich heraus, dass es doch einen erheblichen Schwund an Linsen gab, so dass Bauermeister die Linsenkästen mit einer weiteren Glasscheibe nach oben abschloss.

 

Ein wenig erinnert dieses Konzept an „Das große Glas“ von Marcel Duchamp, das dieser 1926/27 präsentierte: „Die Jungfrau von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar“. Der bizarre Titel des „Großen Glases“ könnte Vorbild gewesen sein für die offenkundige Absurdität von Mary Bauermeisters Signatur, die über der ganzen Ausstellung steht: „1+1=3“. Ganz selbstverständlich wird hier jeder Sinn verweigert, mit diesem Titel und auch sonst – wohl auch im bewussten Gegensatz zu der ideologischen Kunst der zwanziger und dreißiger Jahre –, und es finden sich an keiner Stelle Symbole, die eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchen könnten. Konsequenterweise tragen die ersten gezeigten, ausnahmslos abstrakten Arbeiten – sogenannte „Pünktchenbilder“ – den Titel „Untitled“. Vielleicht griff die Künstlerin deshalb immer wieder zum Stift, um sich innerhalb ihrer Objekte sprachlich zu äußern? Das Ergebnis sind allerdings Notizen, die einen allein biographischen und damit eigentlich privaten Sinn transportieren.

 

Der Name, den sie gefundenen Objekten verleiht – „Ready-trouvés“ – muss wohl als Hinweis auf Marcel Duchamp und Kurt Schwitters verstanden werden. Dieser setzt sich aus „Ready-made“ und „Objet trouvé“ zusammen. Ihre Objekte wurden „fertig gefunden“, und anders als die Arbeiten Duchamps hat sie viele der Natur entnommen, nicht konsequent unseren Alltags- und Industriegefertigten-Gegenständen.

 

Der Katalog enthält nicht allein Abbildungen der ausgestellten Werke, sondern auch noch Essays von Anette Hüsch, Regina Göckede und Hauke Ohls, der bis heute Assistent von Bauermeister ist und mit einer Arbeit über sie promoviert wurde. Einen großen Raum nimmt ein Interview ein, das der Schweizer Kurator und Interviewspezialist Hans Ulrich Obrist mit Bauermeister geführt hat. Den Abschluss bildet ein Essay von Regina Göckede, in dem sie die Sammelleidenschaft Bauermeisters darstellt und deutet.

 

Die sehr lichten und hohen, weiß gestrichenen Räume der Kunsthalle Kiel sind sehr geeignet für die Präsentation der Arbeiten Mary Bauermeisters. Durch die elektronische Musik erhält die Ausstellung darüber hinaus eine ganz eigene Note.


„1+1=3“ – Die Kunstwelten der Mary Bauermeister

Zu sehen bis 5. März 2023 in der Kunsthalle zu Kiel, Düsternbrooker Weg 1, 24105 Kiel.

Geöffnet: Di-So 10-19, Mi 10-20 Uhr, Mo geschlossen. Führungen: Mi 18, So 11.30 + 16 Uhr.

 

Katalog: 1+1=3. Die Kunstwelten der / The Art Worlds of Mary Bauermeister. Herausgeberinnen Regina Göckede und Anette Hüsch. Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln

 

Hauke Ohls: Yes, No, Perhaps. Mehrwertige Ästhetik im Œuvre von Mary Bauermeister. Verlag Silke Schreiber 2022

 

Die Ausstellung wird gefördert durch: Die Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein.

Weitere Informationen (Kunsthalle Kiel)

 

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