Bildende Kunst

Magisch, mythisch, märchenhaft. Inge Pries schafft im Wortsinn fabelhafte Bildwelten aus Menschen, Tieren, Metamorphosen. Bis Ende August 2021 sind ihre Gemälde und Gouachen in der Galerie Hilde Leiss am Großen Burstah zu sehen.

Inge Pries ist eine Geschichtenerzählerin par excellence: Seit Ende der 1980er Jahre, damals noch eine Zeit, da allem Figurativen der Ruch des Rückwärtsgewandten anhaftete, verwebt die Hamburger Künstlerin biographische Erlebnisse, Träume und die Gedanken zu komplexen Gemälden und Zeichnungen von ungeheurer Suggestionskraft. Viele ihrer altmeisterlich ausgeführten Figuren in winzig kleinen, aber auch XXL-Formaten beschwören in ihrer Detailbesessenheit und erzählerischen Präzision die grotesken Welten eines Bosch, Brueghel oder auch Kafka.

 

Inge Pries liebt Verwandlungen und Verkleidungen und so sind viele ihrer Bilder, insbesondere die frühen Werke aus den 1990er Jahren, auch als Selbstporträts zu deuten. Da zeigt sie sich behaart und gnomenhaft als Äffchen im Kleid, auf dem Baum, oder als Zwitterwesen, mit Menschenkopf und Affenkörper auf einem Stein, neben sich ein ebensolches Kind. Dann wieder erscheint sie als gepanzertes Insekt, als zerbrechliche Porzellanfigur oder behelmte Weltraumforscherin. Wunderschön das Bild aus einer Hamburger Privatsammlung, in dem sie - über und über tätowiert - mit den Delfter Kacheln im Hintergrund zu einem einzigartigen Mosaik verschmilzt. Als Insektenforscherin in einem Fliegenkostüm mutiert sie gleichsam selbst zur Fliege. In einem Käferpanzer erscheint sie als das weibliche Pendant zu Kafkas unglücklichem Gregor Samsa.

 

Die Geburt ihres Sohnes, Ende 2000, leitete das Ende der „Selbstbeschau“ ein und eine neue Serie an hintersinnigen Cowboybildern entstand, in denen der amerikanische Mythos und mit ihm ein überzogenes Männlichkeitsbild persifliert wurde.

„Im Prinzip sind meine Arbeiten eine Aufarbeitung von dem, was ich gesehen habe und was durch mein Erinnerungsvermögen gelaufen ist. Wie bei einem Sieb kommen bestimmte Bilder durch, vermengen sich mit anderen und es entsteht etwas Neues“, erläutert die Künstlerin, die niemals Skizzen oder Vorzeichnungen anfertigt.

 

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Inge Pries entwickelt ihre Gemälde von der zentralen Figur aus, fügt assoziativ Mythen, manchmal auch Science-Fiction-Gestalten dazu, all das stark überzeichnend. So entstehen albtraumhafte, surreale Geschichten und Figuren aus einer Märchenwelt, die mitunter auch comichafte Züge trägt. Der aber immer etwas gemein ist: Die Einsamkeit, Melancholie und Verlorenheit ihres Personals.

 

Im Laufe der Jahre sind die Bilder deutlich politischer geworden. Seit 2015 setzt sich Inge Pries mit Flüchtlingskrise, Massensterben im Mittelmeer, sowie der westlichen Sicht auf andere Ethnien auseinander. Oftmals in einer von Tragik durchzogenen Komik, wie bei dem Aquarell mit dem Titel „Mischehe“, in dem sich ein mit Micki Maus-Ohren und -Hose bekleideter Schwarzer und eine Weiße im Baströckchen und afrikanischer Maske zärtlich die Hand reichen.

 

Voller düsterer Poesie und traurigem Hintergrund dagegen das Gemälde „Ich und Du“ (2015), in dem eine Weiße ins Wasser schaut und einen Schwarzen als Spiegelbild erblickt.

Ihr Hauptthema aber ist, wie sie sagt, „der Mensch in seiner tragischen Art, die Verbindung zur Natur zu verlieren“.

 

Ihre Ausstellung bei Hilde Leiss trägt deshalb nicht ohne Grund den Titel „doux amour de soi, doux amour propre“. Ein programmatischer Titel: „Amour de soi/ Amour propre“ nennt Jean-Jacques Rousseau das auf physische Selbsterhaltung zielende natürliche Gefühl der Selbstliebe, das nur die wahren, elementaren Lebensbedürfnisse befriedigt wissen will und zu einem in sich ruhenden Selbstgefühl führt“ (Quelle: Metzler Lexikon Philosophie).

 

Diese elementaren Lebensbedürfnisse verkörpern bei Inge Pries die Krokodile, die einzig ihrem Arterhaltungs-Instinkt folgen. So schmiegt sich eine Frau in dem Bild „Symbiose“ (2006) an den Rücken eines Krokodils. So eng und farblich so harmonisch, dass sie von Weitem von dem Reptil kaum zu unterscheiden ist.

 

In dem Gemälde „Rohstoffe“ (2005) steht eine Frau (die Künstlerin?) mit Minikleid und Kroko-Tasche in einem grün-graubraunen Meer aus Krokodilen, die ihr offenbar nichts anhaben. Ein anderes Mal durchqueren zwei Schwarze und ein Weißer einen von Krokodilen nur so wimmelnden „Sumpf“. Trotz dieser gefräßigen Urviecher, die allein ihrem Überlebenstrieb folgen, wirkt der Krokodil-Zyklus nicht vordergründig angsteinflößend. Eher morbide und apokalyptisch. Ein Abgesang auf unsere Welt. Eine Vorahnung vielleicht, dass einst nur diese Bestien überleben werden.

 

Ein Abgesang auf unsere, von der Weimarer Klassik geprägten Kultur scheint in ihrem jüngsten, bezaubernd lyrischen Gemälde „Fabries“ auf: Es zeigt einen ernst blickenden Mann mit breitkrempigem Hut, Kniebundhose und gemusterten Samtschuhen, der in Denkerpose am Fuße eines Baumes im Laub ruht. Die Komposition erinnert stark an das berühmte Tischbein-Gemälde „Goethe in der Campagna“, nur dass dieser Dichter beim Denken schon Moos angesetzt hat. Spinnenweben umranken seinen Hut, Raupen fressen sich bereits durch die Kleidung. Wie schrieb Heine doch so treffend: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“.


Inge Pries: „doux amour de soi, doux amour propre“

Zu sehen bis Ende August 2021

in der Galerie Hilde Leiss, Großer Burstah 38, 20457 Hamburg.

Geöffnet: Mo bis Fr 10 bis 19 Uhr, Samstag 10 – 16 Uhr.

Eintritt frei.

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