Bildende Kunst

Neben seiner bedeutenden Sammlung niederländischer Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts ist das Staatliche Museum in Schwerin besonders für zeitgenössische Kunstausstellungen von Marcel Duchamp bis Günter Uecker bekannt.

In diesen Wochen kann man sich in einer Kabinettsausstellung mit einigen charakteristischen Arbeiten des Amerikaners George Brecht (1926-2008) bekanntmachen und sich außerdem in zwei Sälen mit der Malerei des in England lebenden Deutschen Alf Löhr (*1957) beschäftigen.

 

Kabinettsausstellung bedeutet: Es sind zwei ziemlich kleine Räume, in denen sich einige Arbeiten des Konzeptkünstlers und Komponisten George Brecht versammeln, die allesamt aus dem Besitz des Sammlerpaares Christina und Jürgen Kelter stammen. Brecht, der eigentlich George Ellis Mac Diarmid hieß, schloss ein Chemiestudium ab und erwarb in der Zeit bis 1956 sogar einige Patente, bevor er sich endlich ganz der Kunst zuwandte. Unter anderem beeinflusste ihn John Cage, bei dem er studiert hatte, und auch Marcel Duchamp lässt grüßen. Wie dieser produzierte Brecht „Ready mades“. Einen großen Teil seines Lebens verbrachte er in Europa. 1965 zog er nach Frankreich, wo er lange mit mit Robert Filliou arbeitete – einen anderen wichtigen Vertreter des Fluxus-Bewegung –, in Leeds fand man ihn in den späten 60ern am Col¬le¬ge of Art and De-sign als Professor. Via London zog er 1970 nach Düsseldorf und 1972 nach Köln, wo er 2008 verstarb.

 

Brecht stand also dem Fluxus nahe, einer der wichtigen Kunstrichtungen der sechziger Jahre. Die von George Maciunas (Jurgis Mačiūnas, 1931-1978) in SoHo, New York, benannte Kunstrichtung war radikal, aggressiv und zuweilen subversiv und sinnentleert. Ihr ging es abgekürzt darum, die saturierte Kunst und deren Betrieb vom Sockel zu holen, und die beteiligten Künstler, Komponisten, Designer und Performer versuchten das einerseits mit Witz, andererseits mit der Betonung des Eventcharakters der Kunst. Aber auch – ähnlich wie in der musikalischen Kompositionslehre – mit Kontrapunkt und vollkommen gegenteiligen Aussagen. Sichtbar wird dies im Werkkomplex der „Non-École de Villefranche-sur-mer“ (Nicht-Schule von Villefranche-sur-mer), 1965-1968, einem nicht registrierten Laden- und Buchgeschäft für „Missverständnisse, Witze, Wortspiele, Irrtümer und permanente Kreativität“, mit Sitz in der Nähe von Nizza, an der Brecht, Robert Filliou u.a. wirkten. Zu finden waren die Künstler allerdings seltener im Laden als vielmehr im benachbarten Café.

 

Diese unkonventionellen Auffassungen verbinden die beiden aktuellen Schweriner Ausstellungen untereinander.

 

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Ist im Werk von Brecht das parodistische Element entscheidend oder sein wissenschaftlicher Charakter? Denn nicht allein, dass Brecht Chemiker war und erfolgreich geforscht zu haben scheint, sondern auch sonst war er sehr ernsthaft und konsequent in dem was er tat. So erlernte er sogar Chinesisch, weil ihn das „I Ging“ („Buch der Wandlungen“, ein klassischer chinesischer Text aus ältester Zeit) interessierte oder besser: weil er einen Text, dessen Weisheitsdichtung ihn ansprach, im Original lesen wollte.

Eventcharakter heißt in der Ausstellung: Brecht plante Kunstaktionen, und die kleinen Karten mit seinen ziemlich knappen handschriftlichen Anweisungen kann man jetzt in Schwerin anschauen. Die kleine Ausstellung präsentiert ein Video, das eine solche, posthum aufgeführte Aktion aus Basel dokumentiert, wo 2011 ein Hupkonzert mit Autoscheinwerferbegleitung aufgeführt wurde. Das wiederum erinnert an die DADA-Bewegung der 1920er.

 

Auch Alf Löhr, von Ausstellungskurator Gerhard Graulich wegen seiner Promotion an einer britischen Universität als „pictor doctus“ vorgestellt, ist kein Freund der traditionellen Kunstauffassung; die ins Religiöse hinüberspielende (oder in ihr gründende?) Aura eines Bildes ist seine Sache nicht. Früher, sagt er, habe er aus Bescheidenheit immer nur auf Papier gemalt. Jetzt sind es noch dazu Tücher, die man ja zusammenlegen und in einem Regal verstauen kann. So hängen sie also endlich nicht mehr an der Wand…

 

Ein Video auf der Homepage des Museums zeigt Bilder von den Tüchern, die sich an einem englischen Strand neben verrotteten Pfählen im Wind bewegen und flattern. Ästhetisch ist das wirklich außerordentlich reizvoll. Früher hätte man das wohl „schön“ genannt, aber das tut man schon lange nicht mehr. Angesichts seiner sich blähenden Tücher erzählt der Künstler in dem Video, dass alle sich über ihren Anblick freuen, und fährt fort: „Keiner sagt: Das ist Kunst, und ihr müsst beten, sondern alle haben einen irgendwie lockeren Bezug dazu. Und das ist genau das, was ich will.“

 

In diesem Punkt denkt er wohl wirklich wie George Brecht auch dachte. Für Alf Löhr wie für George Brecht spielt das Happening, das Erlebnis eine wesentliche Rolle. Dass die Tücher der Ausstellung in der Nähe seines in Südengland gelegenen Hauses auf dem Strand lagen oder sich dekorativ im Wind blähten, ist ihm wichtig und wurde für die Ausstellung mit Fotos dokumentiert. Allerdings scheinen seine Bilder wesentlich mehr als die Aktionen Brechts assoziativ oder subjektiv.

 

In „gewisser Hinsicht“, heißt es im Vorwort zum Katalog, stünden die Arbeiten Löhrs „in der Shakespeare-Tradition“. Stimmt das? Sollte man deshalb den „Sturm“ (Shakespeares „The Tempest“) gelesen haben, bevor man in die Schweriner Ausstellung geht? Ist Textkenntnis sinnvoll für das Verständnis der Bilder? Schließlich gibt das Stück der Ausstellung den Namen. Den „Sturm“ fand ich wunderbar, als ich das Stück las, denn es ist eine Feier des Verzeihens und Vergebens mit furiosen Dialogen, und so kann man die Lektüre nur empfehlen; aber umgekehrt (hätte ich nicht zuerst den Titel gelesen) wäre ich niemals auf den Gedanken gekommen, Alf Löhrs durchweg ungegenständliche Bilder könnten überhaupt irgendetwas illustrieren, geschweige denn Shakespeares Stück. Die Beziehungen zwischen dem Stück und den Bildern sind sehr, sehr indirekt, und man braucht viel guten Willen und gewisse Interpretationskünste, um sie zu entdecken. Shakespeare „brachte“, heißt es in den Worten des Kurators Gerhard Graulich, „Natur und Zivilisation in der Erzählung seines Theaterstücks zusammen. Löhr schildert mit seinen Bildern dagegen die Beziehung von Natur und Kunst sowie die Spiegelung des Sturms als psychische Realität.“

 

Löhr selbst erklärte, es sei ihm nicht um Gegenstände gegangen, „sondern um den Rhythmus, den die Farbe auf die Leinwand zaubert.“ Die Ausstellung zeigt verschiedene serielle Arbeiten. Zunächst blaue Bilder an der Wand, deren Farbigkeit von der See bestimmt ist, wie man hört, sodann sehr große Tücher, die der Künstler auf die noch feuchten Bilder legte, so dass sie einen Teil ihrer Farbe annahmen. Die Tücher sind nun um die Säulen des sehr großen, langgestreckten Raumes drapiert (ungefähr bis zu deren halben Höhe). Die weißen Flecke auf den Bildern sind jetzt also die Farbe auf den Tüchern. Der Effekt ist ästhetisch sehr reizvoll und passt gut in den lichten, sehr schönen Raum mit der Kasettendecke und den getürkten Marmorsäulen. Alle Bilder haben die exakt gleiche Größe. Der zweite Raum ist lang und sehr schmal mit lichten Bildern auf der einen, dunklen Bildern auf der anderen Seite.

Es werden insgesamt 35 Gemälde im Format 120 x 150 Zentimeter und zehn große Farbtücher gezeigt.


George Brecht: Fluxus als Event

zu sehen bis 27. September 2020
im Landesmuseum Schwerin, Alter Garten 3, 19055 Schwerin
Dienstag bis Sonntag: 11 – 18 Uhr

 

YouTube-Video:

Car Concert: Motor Vehicle Sundown by George Brecht (Basel, 1960/2011) (4:00)

 

Alf Löhr: Der Sturm. The Tempest.

zu sehen bis 8. November 2020
im Landesmuseum Schwerin, Alter Garten 3, 19055 Schwerin

Vimeo-Video:

"cloud" from Alf Löhr (2.17)

 

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag: 11 – 18 Uhr

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