Bildende Kunst

Das Leben eines der eigenwilligsten Maler des 20. Jahrhunderts schildert Eberhard Schmidt in einer guten Biographie.

Franz Radziwill (1895-1983) war als junger Mensch ein sehr eigener Kopf und später ein knorriger alter Mann, und auf jeden Fall ging er über Jahrzehnte hinweg seinen Weg und schuf ein Werk von großer Erkennbarkeit. Ein Meister der „Neuen Sachlichkeit“, lud er seinen Realismus mit Symbolen auf, so dass die Bilder zu seinem Ärger mal dem „Magischen“, mal dem „Symbolischen Realismus“ zugerechnet wurden oder werden. Ihre dramatischen, an den Expressionismus erinnernden (Falsch-) Farben und Szenerien haben von Anfang an das Publikum angesprochen, und noch heute heben sie Radziwills Gemälde aus der Fülle der Bilder heraus.

 

Eberhard Schmidt schildert das bewegte Leben des Meisters, indem er sich selbst mit Wertungen und Kommentaren zurückhält und auch mit ausgreifenden Schilderungen geizt. Dafür greift er sehr viel auf Radziwills Korrespondenz zurück – der Maler war ein fleißiger Briefeschreiber – und zitiert die Erzählungen seiner Tochter oder der Freunde Radziwills. Das Resultat ist ein stringent und zügig, jederzeit lebendig erzählter Lebenslauf aus der Feder eines mit dem Maler sympathisierenden Autors.

 

Radziwill wuchs in Bremen in sehr bescheidenen Verhältnissen auf, und obwohl sich schon früh sein zeichnerisches Talent zeigte, begann er als Vierzehnjähriger eine vierjährige Maurerlehre, die er mit Auszeichnung abschloss. Die vielen filigran gemalten Mauern in seinen Bildern sind sicherlich auf seinen ersten Beruf zurückzuführen. Aber auch sonst – Zeit seines Lebens verstand er sich als Handwerker und verhielt sich entsprechend, sowohl als Maler als auch als Dangaster Bürger. In dem kleinen Ort an der niedersächsischen Nordseeküste hatte ihn erstmals Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) gelockt, aber anders als dieser ließ er sich dort für Jahrzehnte nieder und erwarb auch ein Häuschen, das er dank seiner handwerklichen Ausbildung selbst renovieren und später mit einem Turm ausbauen konnte. Übrigens musste er immer wieder an Sommergäste vermieten, denn erst ab Mitte der sechziger Jahre – also als Siebzigjähriger – sollte er gut und viel verdienen.

 

Der Maler Radziwill verstand sich also als Handwerker, und zwar von Anfang an, selbst zu seinen expressionistischen Zeiten. Das ging so weit, dass er für seine Bilder genau so viel nahm, „wie ein Polier sich als Stundenlohn berechnet.“ Aber von der Mitte der 1920er-Jahre an wandte er sich vom Expressionismus ab und einem anderen, seinem Temperament viel angemesseneren Stil zu, dem akkuraten Realismus der Neuen Sachlichkeit, der unter seinen Händen immer außerordentlich farbenfreudig blieb.

Anfangs war die Möblierung seiner Bilder eher sparsam, und man kann sich denken, dass der Hauptvertreter der Metaphysischen Malerei, der Italiener Giorgio de Chirico (1888-1978) mit den verlassen in der gleißenden Sonne liegenden Piazzi eines seiner Vorbilder war. Im Laufe der Jahre aber wurden die Bilder Radziwills immer voller – durchaus zu Lasten ihrer Intensität. Vielleicht hängt das mit seiner Frömmigkeit zusammen? Denn je älter er wurde, desto frommer scheint er geworden zu sein, und seine Gemälde enthielten immer mehr kryptische Symbole, zu denen er vielleicht von Hieronymus Bosch (um 1450-1516) inspiriert wurde. In jedem Fall wirken nicht wenige seiner späten Bilder überfrachtet.

 

Zusammen mit seinem niederländischen Maler und Freund Mattheus Josephus Lau (1889-1958) besuchte er in den Zwanzigern die holländischen Museen, in denen sie die alten Meister studierten. Und es blieb nicht bei einer passiven Betrachtung, sondern sie versuchten, sich die Maltechniken und Farbmischungen anzueignen: „Sie experimentieren gemeinsam mit warmen Wachsfarben, erproben verschiedene Lösungs- und Bindemittel der Farben. Sie machen auch Versuche, um den Malgründen der Alten auf die Spur zu kommen.“ Radziwills handwerkliches Selbstverständnis – die große Sorgfalt seiner Malweise, die sauberen Linien und die präzise aufeinander abgestimmten Farben auf einer soliden Grundierung – ist es wohl, die bis heute viele seiner Bewunderer in den Bann zieht. Heute würde ihn dieses Selbstverständnis als Künstler noch mehr zu dem Außenseiter machen, der er zu Lebzeiten war. Einer seiner Freunde war übrigens Otto Dix (1891-1961), der ebenso wie er altmeisterliche Techniken beherrschte.

 

Ein dunkler Punkt in der Biographie des Malers ist seine frühe Mitgliedschaft in der NSDAP. Warum schloss er sich dieser Partei an? War es seine Heimatliebe, wie es uns Schmidt nahelegt? „Sinn hat für Radziwill offenbar nur ein Leben, das sich die Einfachheit der Lebensführung und die Nähe zur Natur als Richtschnur nimmt. Diese Werte glaubt er bei der nationalsozialistischen Bewegung zu finden.“ Schmidt erkennt in seinem Weltbild „zutiefst konservative und regressive Züge“, die nach dem Krieg in die Ablehnung von Autoverkehr und Wohnwagentourismus mündeten. Nicht weiter problematisiert wird von Schmidt Radziwills langjährige Freundschaft zu Werner Peiner (1894-1987), dem Leiter der „Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei“ im Taunus. Peiner war zweifellos ein Nationalsozialist und wurde von Adolf Hitler in die Gottbegnadeten-Liste aufgenommen.

Schmidt beschreibt die Ereignisse des Jahres 1933 ziemlich detailliert und diskutiert die Frage nach der Intensität der Verbundenheit des Künstlers mit dem Nationalsozialismus ebenso offen wie nüchtern, ohne Radziwill an irgendeiner Stelle zu kritisieren, aber auch, ohne ihn verteidigen. 1933 zum Professor an der Düsseldorfer Akademie avanciert, sieht sich Radziwill bereits Ende 1934 angegriffen und mit Bezug auf sein expressionistisches Frühwerk („perverse Verfallskunst“) denunziert –, was schließlich zu seiner Entlassung wegen seiner vorgeblichen „pädagogischen Unfähigkeit“ führt.

War er ein Nazi? Seine Parteimitgliedschaft scheint völlig unverständlich – schon deshalb, weil doch schon früh klar war, dass es im Nationalsozialismus keinerlei Sympathie für moderne Kunst gab. Und Radziwill sollte wirklich schnell Probleme bekommen, die dann immer ernsthafter wurden. Ihm widerfuhr die Ehre, dass seine Werke als „entartet“ angesehen und bezeichnet wurden – sie waren Teil der berüchtigten Ausstellung –, und nach dem Verlust der Professur an der Düsseldorfer Akademie war es für ihn schwer, Ausstellungen zu organisieren und Bilder zu verkaufen, so dass es ihm von Jahr zu Jahr schlechter ging. Erst in den späten Fünfzigern hatte er wieder größere Erfolge und verkaufte schließlich sogar gut und teuer – zu einem Zeitpunkt, als er wegen seiner Augenprobleme kaum noch oder überhaupt nicht mehr malen konnte.

 

Mit seiner Ablehnung der Technik reiht Radziwill sich ein in eine Fülle von Autoren und Künstlern der Zwanziger. Schmidt führt seine Technik-Kritik auf die Nietzsche-Lektüre zurück, aber daran mag ich nicht glauben. Sicherlich war das Erleben der Technik im 1. Weltkrieg und später die Dominanz der Autos im Straßenverkehr wesentlich bedeutender. Radziwill konnte Autos nicht leiden, und er kämpfte störrisch gegen die Verschandelung der Natur durch Kiesgruben und Hotels in Dangast. Beliebt machte ihn das nicht.

In vielen Bildern Radziwills wie auch in den Werken anderer Maler – man denke nur an Otto Dix – wird die dunkle Seite der Technik dargestellt. Traumatisch scheint für den Maler insbesondere der Absturz eines Flugzeuges gewesen zu sein, den er in seinem Bild „Der Todessturz Karl Buchstätters“ von 1928 festhielt – ein in seiner Einfachheit und Schärfe zutiefst beeindruckendes Bild. Der Himmel ist tiefschwarz, während auf den Häusern im Vorder- und auf dem Meer im Hintergrund ein bleiches Licht liegt. Vielleicht ist die Schwärze des Himmels für die Emotionalität des Bildes verantwortlich? Ein schwarzer Himmel findet sich auch auf dem düsteren Bild „Der Unterstand am Narocz-See“ von 1929, der eine Erinnerung an den Krieg festhält und mit seinen zerstörten, nackt emporragenden Bäumenstämmen und den Flugzeugen im schwarzen Himmel als Illustration von Ernst Jüngers Kriegsbüchern herhalten könnte. Wie bei diesem Autor oder bei Otto Dix war das Erlebnis des Maschinenkrieges prägend für das weitere Leben Radziwills. – In etwas abgemilderter Form findet sich die Dunkelheit des Himmels auch auf „Der Wasserturm in Bremen“ von 1932, einem seiner bekanntesten Bilder, das uns mit einer mittelalterlich anmutenden Stadt bekannt macht, die es so schon lange nicht mehr gibt.

 

Besonders in den ersten Jahren der westdeutschen Bundesrepublik litt Radziwill Not, denn jetzt herrschte die abstrakte Kunst, der er sich immer entschieden widersetzte: „Ich sage immer: Wer das Ding rausschmeißt aus der Malerei, der macht das Bild um die Hälfte ärmer.“ Hat er damit recht? Während seine Arbeiten in der Nachkriegszeit auf das Publikum altbacken wirkten, sind sie uns heute näher als die Bilder selbst der begabtesten Abstrakten jener Jahre. Es lohnt sich, sich mit ihnen zu beschäftigen, und die Biographie Eberhard Schmidts ist eine gute Einführung in ein bedeutendes Werk.


Eberhard Schmidt: Wohin in dieser Welt? Der Maler Franz Radziwill. Biografie

Mitteldeutscher Verlag 2019

368 Seiten mit 32 Farbtafeln

978-3963111747

Weitere Informationen

 

Zusätzlichen Informationen:

Franz Radziwill in Oldenburg, Kulturjournal.Beitrag vom 25.05.2020, NDR Mediathek (4:00)

Georgios Chatzoudis: "Seine künstlerische Botschaft ist heute so aktuell wie zu seiner Zeit". Interview mit Prof. Dr. Eberhard Schmidt über den Maler Franz Radziwill, 09.04.2020, L.I.S.A. Wissenschaftsportal Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf

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