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Ein preisgekrönter Roman von den Qualen der menschlichen Existenz.

Der mit dem Booker Prize ausgezeichnete Roman „Das Versprechen“ von Damon Galgut (Deutsch von Thomas Mohr) ist im Februar auf Platz 1 der ORF-Bestenliste und auf Platz 5 der SWR-Bestenliste. Der Roman erzählt eine Familiengeschichte, die sich über fast 40 Jahre des politischen Umbruchs in Südafrika erstreckt – von der Apartheid bis hin zur Demokratie, gesponnen um vier Beerdigungen in vier aufeinanderfolgenden Jahrzehnten.

 

Es ist ein eindringlicher Roman, der das Thema Schuld umkreist, ohne jemals den Figuren zu nahe zu treten. Das ist gut und schlecht zugleich. Gewiss ist dies Absicht des Autors, der die Perspektiven wechselt, den Leser einbezieht, ihn sogar direkt anspricht und gemeinsam mit ihm Möglichkeiten erörtert. Das Gleiche macht er virtuos mit den Protagonisten. Manchmal geschieht dies trotz aller Tragik auch und sogar humorvoll. So weit so gut. Das erschwert allerdings auch die Möglichkeit der Nähe für den Leser. Die Figuren bleiben merkwürdig distanziert. Der Leser, zumal er das Buch wohl kaum in einem Stück lesen kann, bleibt außen vor. Dies, obwohl der Autor ihn immer wieder einbezieht. Damon Galgut selbst hat einmal erklärt, er habe die verschiedenen Perspektiven gewechselt, mit der Erzählerstimme gespielt, um deren Möglichkeiten zu erweitern.  Fakt ist, für seinen Roman „Das Versprechen“ erhielt der 58-jährige Südafrikaner Damon Galgut die wichtigste literarische Auszeichnung in Großbritannien, den Booker Preis 2021. Das Buch verbinde „eine außergewöhnliche Geschichte, reichhaltige Themen und die Geschichte der vergangenen 40 Jahre Südafrikas in einem unglaublich gut geschriebenen Paket“, lobte die Jury bei der Preisverleihung in London am 3. November. Sie würdigte die „unglaubliche Originalität und flüssige Sprache“ des Romans, der „wirklich dicht an historischer und metaphorischer Bedeutung“ sei.

 

Damon Galgut Das Versprechen COVERVom Apartheids-Regime der 1980er Jahre über Afrikas Traum einer Rainbow-Nation mit Nelson Mandela und Thabo Mbeki bis zum Jahr 2018, dem Ende der korrupten Regentschaft von Jacob Zuma, wird der Bogen dieser tragischen Familiensaga gespannt. Hier liebt niemand jemanden wirklich, geschweige denn richtig. Im Buch klingt das so: „Hass und Liebe ließen sich manchmal nur schwer unterscheiden, so nahe standen wir uns.“ Nach und nach lernen wir Leser alle Familienmitglieder und deren Probleme kennen. Angefangen mit Vater Manie, der seiner Frau Rachel einst alle Verfehlungen beichtete und sie um Vergebung bat, um sich zu läutern. Doch seit er ihr alles erzählt hatte, „auch die Sache mit dem Glücksspiel und den Prostituierten, hatte der Himmel ihrer Ehe sich verdüstert“. Manie stirbt an einem Schlangenbiss. Auf dem Weg in den Tod muss er das Zimmer im Krankenhaus mit einem Schwarzen im Nachbarbett teilen. „Die Apartheid war einmal, wir sterben jetzt Seite an Seite, in trauter Nähe. Nur das Zusammenleben müssen wir noch üben.“ Nahezu beiläufig wird die Geschichte Südafrikas aufgearbeitet.

 

Rachel und Manies Tochter Amor saß als Kind unter einem Baum, in den der Blitz einschlug und ihre Füße verbrannte. Sie hat - außer einem Schildkrötenpanzer - weder als Kind noch als Jugendliche überflüssige Gegenstände in ihrem Zimmer. „Auch die Wände sind kahl. Wenn das Mädchen sich nicht darin aufhält, ist das Zimmer wie ein leeres Blatt, fast keine Spuren oder Anhaltspunkte, die etwas über sie aussagen, was vielleicht doch etwas über sie aussagt.“ Amor ist es gewohnt, „wie ein verschwommener Fleck behandelt zu werden, eine Trübung am Rande von anderer Leute Blickfeld. Zu jung, zu albern, um ernstgenommen zu werden. Und seltsam noch dazu, ein seltsames Kind. Ungewöhnlich, vielleicht sogar tragisch, leicht zu übersehen.“ Sie weiß nicht viel über die kleinen Dinge, die einem das Leben schwer machen. Amor ist gern zwischen zwei Orten, zwischen Start und Ziel, heißt es von ihr. Vielleicht ist es genau das, was ihr das Überleben ermöglicht in dieser schwerkranken Familie.

 

Amors Bruder Anton trägt seit seinem Militärdienst ein Trauma mit sich herum, weil er im Einsatz eine schwarze Frau erschossen hat: „Sie warf einen Stein, sie bückte sich danach, und da packte ihn eine Wut, die mindestens so heftig war wie die ihre. Er dachte nicht weiter darüber nach, er hasste sie, er löschte sie aus. Alles binnen weniger Sekunden, ein Augenblick, aus und vorbei. Niemals aus, niemals vorbei.“ Und weil so etwas niemals aus und vorbei ist, verfällt Anton dem Alkohol. Er häuft Schulden an und schreibt an seinem Roman zwanzig Jahre lang, allerdings nur skizzenhaft. Am Ende erschießt er sich mit dem Gewehr. Zu Lebzeiten wird Anton einmal gefragt, wovon der Roman handelt. „Ach, sagt Anton, von den Qualen der menschlichen Existenz. Nichts Ungewöhnliches.“

 

Die Dritte im Geschwisterbund ist Astrid, die sich regelmäßig übergibt, um schlank zu bleiben und ein Verhältnis mit ihrem schwarzen Yogalehrer hat. Astrids Mann hat eine Firma mit einem Schwarzen gegründet, weil er als Weißer in der „Rainbow Nation“ sonst keinen Fuß mehr in die Tür bekommen würde. Der 40-jährigen Rachel, der auch als Tote noch anzusehen ist, dass sie einmal schön gewesen ist, begegnen wir immer wieder, wenn auch indirekt. Sie nahm ihrem Mann Manie kurz vor ihrem Tod ein Versprechen ab. Salome, die schwarze Hausangestellte, die alle Kinder der weißen Farmerfamilie Swart mit aufgezogen hat und die todkranke Rachel bis zuletzt pflegte, soll als Anerkennung für ihre Dienste das kleine Haus auf dem Farmgelände erben, das sogenannte Lombard-Haus, in dem sie seit jeher mit ihrem Sohn lebt. Die 13jährige Tochter Amor war bei dem Versprechen dabei, „an diesem Nachmittag vor kaum zwei Wochen, in demselben Zimmer, mit Ma und Pa. Sie hatten völlig vergessen, dass ich da saß, in der Ecke. Sie sahen mich nicht, ich war wie eine Schwarze für sie.“ Im damaligen Apartheidstaat Südafrika ist es Schwarzen noch verboten, Eigentum zu erwerben. Doch ohnehin denkt weder der Vater oder sonst jemand in der Familie je daran, das Versprechen einzulösen – außer Amor. Sie erinnert den Vater und ihre älteren Geschwister im Laufe der Jahrzehnte immer wieder hartnäckig.

 

Es dauert keine vier Hochzeiten, aber vier Todesfälle, bis das Versprechen letztendlich doch noch eingelöst wird. Aber das Geschenk kommt zu spät. Viel zu spät, mehr als dreißig Jahre zu spät. Vielleicht ist es jetzt sogar nichts mehr wert, jedenfalls nicht für Salome. Denn die Besitzverhältnisse bleiben ungeklärt. Es könnte sein, dass in dem Haus früher andere Menschen lebten, deren Nachfahren Anspruch auf das Haus haben. Erzählt wird eine tragische Geschichte auf und mit vielen Ebenen, mit vielen Einzelschicksalen und viel Politikgeschichte. Sie umfasst fast vier Jahrzehnte Familiengeschichte, begleitet von Apartheid und deren Folgen, gibt Einblicke in die politischen und gesellschaftlichen Probleme der Weißen und Schwarzen im Umland von Pretoria. Als Rachel 1986 an Krebs stirbt, herrscht in Südafrika noch die Apartheid. Sie endet zwar 1994 mit Nelson Mandelas Wahl zum Präsidenten, doch noch weiß hier niemand, wie die neue Demokratie gelebt werden kann und soll. Und wie Familienleben gelebt werden sollte, scheint in der Familie Swart auch niemand zu wissen. Gespräche miteinander finden nur noch statt, wenn sich die Familie alle zehn Jahre bei einer Beerdigung trifft. Näher kommen sie sich dabei nie. Jedenfalls nicht auf Dauer. Was vielleicht einmal an Nähe vorhanden war, ist schon vor langer Zeit an der Realität zerbrochen. Wie überhaupt die ganze Familie zerbricht – nicht zuletzt an der eigenen Habgier. Das Schicksal fordert seinen Preis. „[…] verweigern kann man sich nur anderen Menschen, nicht dem Schicksal. Du hast das vielleicht an dir selbst schon einmal festgestellt, sich seinem Los zu widersetzen, ist vergebliche Liebesmüh, was geschehen wird, wird geschehen, unabhängig von deinem Nein.“ Das Buch handelt von gebrochenen Versprechen, gebrochenen Menschen, gebrochenen Systemen. Es ist unterteilt in vier Kapitel. Jedes dieser Kapitel trägt den Vornamen eines Familienmitglieds: Ma, Pa, Astrid, Anton. Ausgespart bleibt Amor, dabei ist sie doch die tragende Person des Romans und diejenige, die es offensichtlich geschafft hat, ihren eigenen Weg zu gehen. Die rechtzeitig die Farm verlassen hat. Die bereit ist, anderen Menschen zu helfen. Ihr aber ist kein Kapitel gewidmet. Vielleicht, weil sie die einzige ist, die davongekommen ist und überlebt hat. 


Damon Galgut: Das Versprechen

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Mohr

Luchterhand Verlag

Hardcover mit Schutzumschlag, 368 Seiten

ISBN: 978-3-630-87707-5

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