Film
„Jimmy’s Hall” – Oder die Swing Rhythmen des Antichristen

Dies soll sein letzter Film sein, hatte Ken Loach verkündet, aber so ganz glaubt er selbst nicht daran.
Ein Rebell wie er geht nie in den Ruhestand. Der britische Regisseur und bekennende Sozialist ist 78 Jahre alt. Seinen Überzeugungen treu inszeniert er das historische Politdrama: leidenschaftlich, ästhetisch virtuos, zuweilen mit fast beschwingter, ungewohnter Leichtigkeit. Aber nichts täuscht darüber hinweg, worum es geht: Ausbeutung, Unfreiheit, damals wie heute.

Irland 1932. Nach zehn Jahren im amerikanischen Exil kehrt Jimmy Gralton (Barry Ward) zurück in sein Heimatdorf. Der Bruder ist gestorben, er will sich um die Mutter und den winzigen Hof kümmern. Eine Landschaft von überwältigender, herber Schönheit, die politischen Verhältnisse dagegen sind erschreckend. Kirche und Obrigkeit paktieren, die reichen Großgrundbesitzer vertreiben die kleinen Pächter von deren Farmen.

 
Film
Mut zur Utopie, ein Relikt der Vergangenheit? – „Die Geliebten Schwestern”

In Dominik Grafs unkonventionellem Historiendrama wird Dichterrebell Friedrich Schiller nicht zu unserem Zeitgenossen sondern wir zu seinem.
Die wahren Revolutionäre der Leidenschaft sind aber Frauen.

Im Sommer 1788, im thüringischen Rudolstadt beginnt die anrührende Ménage-à- trois zwischen dem Autor der “Räuber” (Florian Stetter) und den Schwestern Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius).

 
Film
„Feuerwerk am helllichten Tage” – Konkurrenz für Philip Marlowe

Diao Yinan inszeniert seinen makabren düsteren Thriller als bildgewaltige Allegorie auf die heutige Gesellschaft Chinas.
Eine abgehackte Hand zwischen schwarzer Kohle auf einem Förderband, ein menschliches Auge in der Nudelsuppe eines Schnellimbiss’, an den verschiedensten Orten tauchen weitere Leichenteile auf. Im tristen Norden des Landes sind bizarre Verbrechen keine Seltenheit. Die Ermittler glauben dem Mörder auf der Spur zu sein, doch die Festnahme endet als blutiges Fiasko. Zwei Polizisten werden erschossen, der leitende Kommissar, Zhang Zili (Liao Fan) kommt nur knapp mit dem Leben davon, muss seinen Dienst quittieren. Der Fall bleibt unaufgeklärt. Noch kurz zuvor sah der Zuschauer den glücklosen Detektiv auf einem Hotelbett zwischen Spielkarten und wutdurchtränkter Leidenschaft mit seiner Frau: das Abschiedsritual einer zerstörten Ehe. Am Bahnhof die letzte Umarmung, sie gleicht einem tödlichen Angriff und Zhang mehr einem Täter als dem Vertreter von Recht oder Ordnung. Ein Film Noir von abgründiger Schönheit.

 
Film
„Die Karte meiner Träume” Wenn der Tod die Kindheit zerstört

Eine betörende melancholische Fabel, manche Kritiker aber empfinden ihre Poesie als puren Kitsch.
2001 verzaubert Jean-Pierre Jeunet das Publikum mit „Die fabelhafte Welt der Amélie”. Jetzt hat der französische Kult-Regisseur den gleichnamigen Bestseller von Reif Larsen als skurriles wie hintergründiges Roadmovie inszeniert. Atemberaubende Bilder, magische 3D Technik und ein kurioser Protagonist, den der 60jährige Filmemacher zu seinem Alter Ego auserkoren hat: T.S. Spivet (Kyle Catlett) ist ein genialer Erfinder, Kartograph und zehn Jahre alt.

 
Film
The Unknown Known

Erschreckend wie faszinierend: Errol Morris’ biographischer Dokumentarfilm über den früheren amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.
Hat der Irak Massenvernichtungswaffen? Das war 2002 die alles entscheidende Frage. Noch heute ist der 81jährige ehemalige Politiker der Bush-Ära ein Meister der Verneblungstaktik. Seine Philosophie entlarvt sich auf der Leinwand schon bald als schier unerträgliche pseudointellektuelle Wortakrobatik. Doch jene rhetorischen Ablenkungsmanöver machten Geschichte und sind Kernpunkt des Interviews.

 
Film
“Violette” – Hungrig nach Liebe

Ihre Poesie war wie ein Aufschrei.
Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Jean Genet, sie alle bewunderten den Mut, die Kompromisslosigkeit, das schriftstellerische Talent von Violette Leduc. Regisseur Martin Provost inszeniert das Porträt der radikalen Außenseiterin als eine Chronik von Hingabe und Verzweiflung. „Ist eine Frau hässlich, kommt das einer Todsünde gleich. Ist man schön, dreht man sich nach Dir um, weil Du schön bist. Ist man hässlich, dreht man sich nach Dir um, weil du so hässlich bist.” Worte voller Bitterkeit. Verkannt, gedemütigt, ungeliebt, so fühlt sich Violette (Emmanuelle Devos) seit frühster Kindheit. 1907 in Arras, Nordfrankreich geboren als uneheliches Kind eines Dienstmädchens, der Vater aus wohlhabender Familie erkennt seine Tochter nicht an.

 
Film
Die unerschütterliche Liebe der Suzanne

Ein ergreifendes Drama: kompromisslos, fesselnd, von seltsam fragiler Schönheit genau wie seine Protagonistin.
25 Jahre Familienleben inszeniert Katell Quillévéré als ungewöhnlichen Mix aus realistischer Chronik und romantischer Fiktion. Ein verstörender Film extremer Gegensätze, lakonisch, doch wenig später schon erbarmungslos emotional, abgründig ohne jeden Pathos, vor allem virtuos erzählt. Ein Puzzle voller Lücken: Unerwartet in fremde Schicksale verstrickt, sieht sich der Zuschauer immer wieder gezwungen, die Handlung weiterzuspinnen, Jahre zu überbrücken, Zusammenhänge zwischen den einzelnen Episoden selber herzustellen.

 
Film
Boyhood

Chronik einer Kindheit oder der Zauber des Alltäglichen.
2002 begann der texanische Regisseur Richard Linklater mit seinem waghalsig genialen Filmprojekt. Bis 2013 drehte er jedes Jahr an drei oder vier Tagen das fiktive Porträt eines Jungen namens Mason (Ellar Coltrane) vom ersten Schuljahr bis zum Eintritt ins College. Die Rolle des Vaters, Mason Senior, übernahm Ethan Hawke, Patricia Arquette spielt Olivia, eine ambitionierte Mutter, Lorelei Linklater die anfangs noch etwas intrigante Tochter Samantha. Eine Familiengeschichte eigentlich wie viele andere: Streitigkeiten, zerbrechende Ehen, Umzüge, fremde Umgebung, neue Jobs, neue Freunde, neue Väter (ziemliche scheußliche), enttäuschte Hoffnungen, der erste Joint, die erste große Liebe, Angst, Staunen und viele, viele Gespräche.

 
Film
Die zwei Gesichter des Januars

Gewalt als Leidenschaft im Griechenland der Sechziger Jahre. Ein elegant elegischer Psychothriller von verstörender Schönheit. Grandios: Viggo Mortensen und Oscar Isaac.
„Ein Buch kann einen oder vielleicht sogar zwei Neurotiker verkraften, aber nicht drei, noch dazu wenn es die Hauptpersonen sind,” mit diesem schnippischen Kommentar begründete 1962 der Verlag Harper & Row seine Entscheidung “Die zwei Gesichter des Januars” von Patricia Highsmith nicht zu veröffentlichen. Es wurde das meist abgelehnte Manuskript in der Karriere der amerikanischen Bestsellerautorin doch am Ende trotzdem ein großer Erfolg. Die Schriftstellerin gab später selbst zu, die erste Version sei „völlig verkorkst” gewesen. Nun hat Hossein Amini den Roman ästhetisch virtuos als poetisch doppelbödigen Noir inszeniert.

 
Film
„Enemy” – Im Zeichen der Spinne

Ein rätselhafter surrealer Erotikthriller nach dem Roman “Der Doppelgänger” des portugiesischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers José Saramago.
Regisseur Denis Villeneuve inszeniert das klaustrophobisch absurde Verwirrspiel als Spurensuche nach dem eigenen Ich und finstre Parabel auf die heutige Gesellschaft. Eine Herausforderung für Zuschauer wie auch Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal.

 
Film
Watermark

Zivilisation contra Natur. Es dreht sich alles um das Element Wasser, wie der Mensch damit umgeht.
Entstanden ist eine der faszinierendsten Dokumentationen unserer Zeit. Jennifer Baichwal und Edward Burtynsky nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise rund um den Globus in zehn verschiedene Länder: 199 Stunden Rohmaterial, 29 verschiedenen Medienformate, 20 Orte und deren Schicksale sind ästhetisch virtuos miteinander verflochten. Von Hubschraubern aus gefilmt werden gigantische Staudämme, ausgetrocknete Flussadern, künstlich bewässerte Farmen zu abstrakten atemberaubenden Gemälden.

 
Film
Nächster Halt: Fruitvale Station

Oscar Grant war 22 Jahre alt, Afroamerikaner, unbewaffnet. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bahnsteig.
Zwei weiße Polizisten über ihm, einer zog seinen Revolver und erschoss ihn. Fahrgäste filmten den Tathergang mit ihren Handys. Regisseur Ryan Coogler schildert in seiner Dokufiktion die letzten 24 Stunden aus dem Leben des Opfers. Ein erschütterndes Zeugnis von Rassismus und Gewalt.

 
Film
20 Feet From Stardom

Millionen kennen ihre Stimmen, kaum jemand ihre Namen: Die Background-Sängerinnen von Stars wie Bruce Springsteen, den Rolling Stones, Sting und Stevie Wonder haben den Stil der Popmusik aber maßgeblich geprägt.
Dokumentarfilmer Morgan Neville holt sie aus dem Schatten ins Rampenlicht, lässt seine Protagonistinnen erzählen über ihre Sehnsüchte, Abenteuer, Erfolge, Enttäuschungen. Vor allem über ihre Hingabe zur Musik. Dafür gab es zu Recht einen Oscar.

Von Background-Sängerinnen, heißt es, werden drei Dinge erwartet: Dass sie für einen guten Sound sorgen, keine großen Ansprüche stellen und nach der Show schnell verschwinden. Ob „Gimme Shelter” oder „Sweet Home Alabama”, die afroamerikanischen Mädchen gaben ab den Sechziger Jahren Songs jenen unverwechselbaren Klang, Power und Sinnlichkeit, nach dem britische Musiker wie David Bowie gierten. Was für Talente, umwerfend, jede dieser Frauen.

 
Film
Yves Saint Laurent

Seine visionären Kreationen verzauberten Generationen, er selbst wurde zur Legende, das Label YSL ein Welterfolg. Regisseur Jalil Lespert erzählt von der ungewöhnlichen Liebe zwischen dem genialen, fragilen Modeschöpfer und dem französischen Unternehmer Pierre Bergé.
Ein einfühlsamer, kompromissloser, vor allem wunderschöner Film, aber genau deshalb fielen einige der Kritiken recht harsch aus. Es mangle an Substanz, hieß es, doch das stimmt so nicht.

 

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.