
In seinem Debütroman „Hasenmeister“ entwirft Tilman Strasser das tragisch-komische Porträt eines Musikers, der den Verstrickungen seiner eigenen Vergangenheit nicht zu entkommen weiß.
„Ich mag diese Stille. Sie ist künstlich.“ Der Violinist Felix Hasenmeister ist geflohen, hat sich verschanzt hinter den dick isolierten Wänden einer „Übezelle“ im Konservatorium. Herauskommen – unmöglich. Zu schnell fährt das Gedankenkarussell des jungen Protagonisten, kreisend zurück in die frühe und allzu nahe Vergangenheit, es dreht sich beharrlich und unerbittlich um all die Dinge, die zu diesem Fluchtmoment geführt haben. Da sind Felix’ erste Übungsstunden als Geigenschüler und die grotesken Lehrerfiguren, die seine Laufbahn begleitet haben; da ist sein übermächtiger Vater und die Leerstelle, die seine Mutter hinterlassen hat; da ist die Affäre mit der verheirateten Carla und das wichtige Abschlusskonzert, das er nicht hat zu Ende bringen können. Im selbstgewählten Versteck der Zelle nun, beengt, kahl, stinkend und grell durchflutet von Neonlicht, sucht Felix Zuflucht und Schutz vor all dem, was draußen vor der verschlossenen Doppeltür drohend auf ihn wartet. Die ihn umgebende Stille, die den eigenen Herzschlag hörbar macht, wird nur unterbrochen von den drängenden Kurznachrichten Carlas, die zunehmend verzweifelt nach ihm sucht.

„Hasenmeister“ ist sorgfältig in seiner Figurenausarbeitung, aber dabei nicht sentimental. Erst Schritt für Schritt kommt man den Charakteren auf die Spur, werden ihre Abgründe, Ängste und Sehnsüchte offenbar. Der Übervater, hinter dessen Bedrohlichkeit die eigene Hilflosigkeit sichtbar wird; Carla, die anfangs nur zögerlich auf Felix eingeht, dann aber eigenmächtig und selbstbestimmend in sein Leben eingreift und im Versuch, die Vergangenheit geradezurücken, beinah alles zerstört; und Felix, der mit unterschiedlichen Handlungsmustern und Wahrnehmungsstrategien versucht, seine Welt zu ordnen, sie in den Griff zu kriegen – und bei deren Scheitern in die Übungszelle flüchten muss.
So ganz zuverlässig ist unser Erzähler, auf dessen Perspektive wir uns verlassen müssen, dabei nicht, allzu häufig rutschen Felix’ Erinnerungen ins Surreale, Absurde: zum Beispiel scheint es ihm zeitweise so, als würde seine erste Geigenlehrerin, eine temperamentvolle Russin mit verschiedenfarbigen Augen, tiergleich ums Haus zu schleichen: „Meine erste Lehrerin schabte an der Fassade. Sie kratze die Hauswand entlang. Es jagte mir Schauer über den Rücken. Rannte ich hinaus, war niemand zu sehen. […] Am Nachmittag war sie fort. Ich stellte meine Tasche in den Flur und begann, den Garten abzusuchen. Nichts war zu finden außer einem Stöckelschuh, der einsam im Rosenstock hing.“ Auch hat sich Felix von seinem Vater das beinah zwanghafte Ritual abgeschaut, bei dem die Geige gereinigt, poliert und abschließend daran geschnuppert wird – eine Bewältigungsstrategie, die der Vater ergreift, wenn er zornig ist, und Felix, um seine Nerven zu beruhigen.
Ein tiefenpsychologischer Seelenstrip ist „Hasenmeister“ trotzdem nicht. Mit viel Sprachwitz – hier meint man, die Slam-Poetry-Erfahrung des Autors nachspüren zu können – bewahrt sich die Geschichte ihre Leichtigkeit. Tilman Strasser skizziert wortgewandt episodenhafte Szenen, die häufig multisensorisch funktionieren, meist über die sprachlich nachgezeichneten Melodien des Geigenspiels, die für den Protagonisten als Erleichterung und Bestätigung dienen, aber auch zur Waffe werden können: „der Klang fährt mir in die Magengrube.“ Auch wenn die Erzählung zum Ende hin etwas zu schwächeln beginnt – tatsächlich hätte die ein oder andere retardierende Gedankenschleife vor der finalen Auflösung durchaus eingekürzt werden können – ist „Hasenmeister“ insgesamt eine unterhaltende, leichte und lesenswerte Lektüre.
Tilman Strasser: „Hasenmeister“
Salis Verlag, Zürich 2015; gebunden, 240 Seiten,
ISBN: 978-3-906195-25-4.
Zur Verlagsseite
Tilman Strasser schreibt auf seinem Blog: www.wildedinge.de
Abbildungsnachweis:
Autorenportrait Tilman Strasser. Salis Verlag AG
Buchumschlag
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