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In einem Festakt vor rund 200 internationalen Gästen wurde heute, am 270. Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes, in Weimar die Goethe-Medaille vergeben: Geehrt wurden der deutsch-türkische Schriftsteller Doğan Akhanlı, die iranische Künstlerin und Filmemacherin Shirin Neshat sowie der mongolische Verleger und politische Publizist Enkhbat Roozon. Mit dem offiziellen Ehrenzeichen der Bundesrepublik Deutschland zeichnet das Goethe-Institut jedes Jahr Persönlichkeiten aus, die sich in besonderer Weise für den internationalen Kulturaustausch einsetzen.
 
Die Goethe-Medaille wurde unter dem diesjährigen Titel „Dichtung und Wahrheit“ von dem Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann überreicht. In seiner Eröffnungsrede hob Lehmann hervor: „Mit der diesjährigen Preisträgerin Shirin Neshat und den Preisträgern Doğan Akhanlı und Enkhbat Roozon zeichnen wir Persönlichkeiten aus, die durch ihre Arbeiten das Spannungsfeld gesellschaftlicher Wirklichkeit zwischen Beeinflussung und Mündigkeit, Ignoranz und Debattenkultur, Unwissenheit und Bildung thematisieren, ohne Rücksicht auf mögliche persönliche Gefährdung oder eigene Nachteile. Sie geben außergewöhnliche Beispiele für eine engagierte verantwortungsbewusste kulturelle Verständigung, die neue Denkprozesse anstößt, Alternativen aufzeigt und der Kraft der Kultur vertraut. Sie sind feinfühlig in ihrer Wahrnehmung und stark in ihrer Botschaft. Ihre Glaubwürdigkeit beruht auf ihrer Unabhängigkeit, nicht auf politischem Aktionismus.“
 
Die Verleihung der Goethe-Medaille fand statt in Anwesenheit von Peter Kleine, Oberbürgermeister der Stadt Weimar, Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei, sowie Andreas Görgen, Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt.
 
Die erste Vizepräsidentin des Goethe-Instituts und Vorsitzende der Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille Christina von Braun betonte im Vorfeld der Verleihung: „Die Goethe-Medaille hat herausragende Preisträger und eine Preisträgerin prämiert, deren Arbeiten zeigen, welche zentrale Rolle Kultur im internationalen Austausch einnimmt. Ob Literatur, bildende Künste, politische und pädagogische Publikationen oder Filme: Ihre Arbeiten sind offen für den länder- und gesellschaftsübergreifenden Dialog, der aufrüttelt und Beziehungen stiftet.“
 
Der Schriftsteller Doğan Akhanlı setzt sich in seinen Romanen, Essays und Theaterstücken sowie mit seinem politischen Engagement seit vielen Jahren für die Völkerverständigung ein, insbesondere der Armenier, Türken und Kurden. Literaturkritikerin Insa Wilke führt in ihrer Laudatio aus: „Er schreibt damit keine politische Literatur, sondern er schreibt politisch. Das ist eine der höchsten, eine riskante, die Mentalitäten des Marktes ignorierende Kunst in der Literatur. Sie ist selten. Noch seltener ist, dass ein Schriftsteller den Raum zwischen den Buchdeckeln verlässt und seinem literarischen Werk ein performatives, ein kulturpolitisches Werk zur Seite stellt, auf einem zweiten Weg versucht, seine Einsichten weiterzugeben. Ganz altmodisch: einen Unterschied zu machen, etwas zu verändern. (…) Was Goethe unter Zeit verstanden hat, stimmt nicht mehr. Verstehen zu wollen, was Doğan Akhanlı uns über die Zeit sagt, wäre der Anfang einer neuen.“
 
In seiner bewegenden Dankesrede erinnerte Doğan Akhanlı daran, dass unsere Gegenwart noch immer bestimmt ist durch Repressionen, die systemkritische Intellektuelle erleiden müssen, und betonte: „Ich nehme die Goethe-Medaille gerne entgegen, und ich widme sie in Gedanken der inhaftierten Kölner Künstlerin Hozan Cane, die wie zehntausende andere Menschen Opfer staatlicher Willkür und Arroganz in der Türkei geworden ist, darunter Ahmet Altan, Osman Kavala und Selahattin Demirtaş.“
 
Die Künstlerin Shirin Neshat versteht es, mit ihren Filmen, Videos und Fotografien Politik und Poesie wirksam zu verbinden. Frauen der muslimischen Welt stehen dabei im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeiten, die sie trotz Einreiseverbots in ihr Heimatland immer weiterentwickelt. Kunstwissenschaftlerin Britta Schmitz betonte in ihrer Laudatio: „Neshat fokussiert in ihren Projekten den visuellen Diskurs auf historische und aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen im Iran, deren Verschiebungen sie seismografisch bemerkt, weil sie sich immer als politische Künstlerin verstanden hat und eng mit der weltweiten iranischen Diaspora und Exilgemeinde verwoben ist. (…) Mit allen ebenso fein wie behutsam konzipierten Werken gelingt Shirin Neshat eine einzigartige narrative Verschränkung, indem sie eindringliche Geschichten und Bilder hervorbringt, die man so schnell nicht vergisst und die kulturelle Grenzen überschreiten.“
 
In Vertretung der Künstlerin, die selbst nicht nach Weimar reisen konnte, nahm ihre enge Freundin Vahideh Mahmoodi den Preis entgegen. Shirin Neshat bedankte sich in einer Videobotschaft, in der sie sich ausdrücklich mit der Exilgemeinde aller nach Deutschland Geflüchteten solidarisierte. 
 
Der Verleger, Buchhändler und Publizist Enkhbat Roozon erhielt die Goethe-Medaille für seinen Mut und seine Kraft, sich in der Mongolei unermüdlich für eine offene, kritische und mündige Zivilgesellschaft einzusetzen. Insbesondere arbeitet er dafür, das mongolische Bildungssystem durch seine Publikationen zu verbessern. Laudator Damian Miller, Professor an der Pädagogischen Hochschule Thurgau, stellte heraus: „Bildung, insbesondere die öffentliche Bildung, ist nicht Privileg, sondern conditio sine qua non einer Demokratie. (…) Öffentlichkeit meint spätestens ab dem 18. Jahrhundert kompromisslose Rechenschafts- und Diskurspflicht aller staatlichen Machtausübung. Dazu braucht der Souverän unentgeltliche schulische – öffentliche Bildung. Enkhbat Roozon widmet seine Tätigkeit genau diesem Engagement.“
 
Roozon nahm die Goethe-Medaille entgegen, indem er die aktuellen Herausforderungen seines Heimatlandes skizzierte, die eines grundlegenden, gesellschaftlichen Wandels bedürften: „Die Mongolen entstammen einer jahrhundertealten nomadischen Tradition, die hervorragend an unsere extremen klimatischen Bedingungen angepasst ist. Die Herausforderungen heute sind zunehmend andere – nämlich gesellschaftliche und politische. Beim Umgang mit diesen neuen Herausforderungen können wir von westlichen Kulturen lernen, insbesondere von der Tradition der europäischen Aufklärung.“
 
Musiker der Hochschule für Musik Franz Liszt, Lehrstuhl für Transcultural Musical Studies, haben für die Preisverleihung eigens selbst komponierte Stücke zur Aufführung gebracht, die musikalische Bezüge zu den jeweiligen Preisträgern herstellten. Kuratiert wurde das Programm von Peter Lell und Tiago de Oliveira Pinto. Das vierköpfige Ensemble bestand aus Mehdi Aminian (Ney), Emmanuel Hovhannisyan (Duduk), Nora Thiele (Perkussion) und Yessun-Erdene Bat (Gesang und Morin Khuur).
 
Quelle: Goethe-Institut e.V.

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