Festivals, Medien & TV
Das Zebra Poetry Film Festival in Münster

Eine kleine Irritation war es schon, dass das seit 2002 stattfindende „Zebra Poetry Film Festival“ nicht in Berlin – wie gewohnt – sondern in diesem Jahr in Münster stattfinden sollte.
Das bislang mit Popularität und Poetry-Film-Qualität wachsende Nischen-Festival musste sich nach postulierter, fehlender finanzieller Unterstützung Berlins nach einem neuen Austragungsort umschauen, wenn man nicht verschwinden wolle. Man wurde fündig.

Vorgespräche mit Ministerien, Behörden und anderen Partnern führten die Vertreter des Festivals und des „Haus für Poesie“ in die Literaturstadt Münster nach Westfalen. Die große Schriftstellerin des 18. Jahrhunderts Annette von Droste-Hülshoff ist nur ein Name, die für Literaten von Format in Münster stehen, ebenso sind es Elias Marcus, Peter Paul Althaus (auch bekannt unter den Initialen PPA), Burkhard Spinnen, Jürgen Kehrer und weitere.

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Nun, das Festival nach Münster zu transferieren ist nicht allein Überlebensstrategie, sondern machte insofern Sinn, weil mit der Filmwerkstatt Münster als Veranstalter und vielen örtlichen und regionalen Förderern vor allem der Standort gestärkt werden soll. Zudem bietet das „Schloßtheater“ als „Austragungskino“ mit Größe, Anordnung der drei Kinosäle und Erreichbarkeit einen adäquaten Rahmen. Zugegeben ein paar Kinderkrankheiten hat es durchaus gegeben: So waren die Besucherzahlen auf Grund mangelnder Werbung und eines kaum sichtbaren Brandings sowie fehlender Medienpartner bescheiden, ab und an wurden von weit her angereiste Poeten und Regisseure leider gar nicht dem Publikum vorstellt und standen für Fragen/Antworten also auch nicht zur Verfügung. Die Qualität der verfilmten Lyrik jedoch konnte sich, wie in den vielen Jahren zuvor, sehen lassen.

Gut 120 Poesie-Filme aus 86 Ländern wurden für das Publikum ausgewählt. Inhaltlich – so erklärt der künstlerische Leiter Thomas Zandegiacomo Del Bel – sind die asiatischen Einreichungen besonders mit Lyrik befasst, die sich auf Umwelt, Natur und Zerstörung der beiden fokussiert, während in Europa und Nordamerika, die Migrationsströme und die Radikalisierung von Gesellschaften thematisiert sind.

Neben einem großen Teil von animierten Filmen setzten die eingeladenen Regisseure dokumentar-, spielfilm- und collage-artige Mittel ein. Digitale Tricks und aufwändige Verfahren waren ebenso zu finden wie analoge, schwarz-weiß und historisch wirkende Kurzfilme. Lyriker die Regie führten; Filmemacher, die Lyrik verfilmten; Regisseure, die ihre eigene Poetik verfilmten oder gestellten Aufgaben nachgingen, etwa Gedichte von Guillaume Apollinaire ins Bild zu setzen, die Bandbreite war gewaltig. Konzentration und Ausdauer waren die gefragtesten Eigenschaften, die der interessierte Besucher mitbringen musste – natürlich neben anderen.

Die Brücke zwischen Literatur (Poetik) und Film (Kurzfilm) hat einen sehr speziellen und funktionierenden Reiz, auch wenn einmal das eine Genre dominiert und mal das andere. In der Kombination einer Lesung und Filmvorführung wie etwa bei „Masterclass Poetry Across the Borders“ funktionierte Nähe und Distanz der beiden künstlerischen Genres auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Der gemeinsame Workshop zwischen Münster und Nimwegen/NL ermöglichte dieses Zusammenspiel. Die deutsch-niederländische Schriftstellerin Frouke Arns las ihre Gedichte zunächst in Niederländisch vor, anschließend wurden die jeweiligen dazugehörigen „Verfilmungen“ gezeigt und danach trug sie den Text erneut in deutsch vor. Wer nun meint, die Filme seien schnöder Kommentar der Texte irrt ebenso wie derjenige der glaubte, es handelt sich um die reine Bebilderung eines Gedichts. Die Ergebnisse waren gegenseitige Inspiration, denn die Filmwerke nahmen die Lyrik zum Anlass für eigene, individuelle Auseinandersetzungen. Geschichten, Bilder und Atmosphären kreierten ihre persönlichen Kosmen, allen voran der ein wenig zu lang geratene assoziative „Film“ nach dem Arns-Gedicht „Landstreicher“ von Christian Fries, der sich aus der Lyrik fast traumwandlerisch ins eigene Regie-Ich begab und „Kismo“ von Ruut van der Beele und Jonah Falke – die das Gedicht „Grundriss“ als Quelle nutzten.

Natürlich sind bei weit mehr als hundert Poetry-Filmen nur eine Hand voll herausragend, aber die gilt es zu benennen:
Hail the Bodhisattva of Collected Junk“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Ye Mimi, (TWN 2015), Regie: Ye Mimi. Lumpen- und Schrottsammler, die weggeworfene, ungewollte Elektro, Haushalts- und Kfz-Geräte in Taiwans Straßen und Hinterhöfen auflesen und in die Kamera singen: „Verkauft an mich, verkauft an mich!“ und dies im Stil buddhistischer Liedtradition. Poetik des Textes und der Bildsprache gehen hier eine unglaublich authentische Symbiose ein und die Sozialkritik und Aussage des Films erhielt zu Recht den „Preis für den besten Film für Toleranz“.

Der „ZEBRA-Preis für den besten Poesiefilm“ im internationalen Wettbewerb, gestiftet vom Haus für Poesie, ging an den knapp 10-Minüter „Off the Trail“ nach dem Gedicht: „Endless Streams and Mountains“ von Gary Snyder vergeben; (GB 2015)
Regie: Nick Jordan.

Die Litauerin Berta Tilmantaitė sorgte mit ihrem Gedicht (Ko-Autoren sind Andrius Jančiauskas und Paulius Mačiulevičius) und Film „Himalaya“ im „Prisma: Filmpoems“, außerhalb des Wettbewerbs, mit der archaischen Bergwelt Nepals, Tibets und Indiens für großen Applaus. Sie personifiziert das höchste Gebirge der Welt in der Ich-Form, sie stellt es vor, durchwanderte und durchatmet es regelrecht.

Please Listen“ (Послушайте), ein Film der Russin Natalia Alfutova nach dem gleichnamigen Gedicht von Wladimir Mayakowskij und mit einer lobenden Erwähnung der Jury des „Goethe-Filmpreises“ versehen transferiert uns ins Wartezimmer Gottes. Zwei digital animierte weibliche Spiegelbilder imitieren, ein wenig asynchron, menschliche Unterhaltung, choreografiert mit unterschiedlichen rhythmischen Tanzbewegungen des Oberkörpers und der Arme. Ab und zu klappen Bildhälften auf, klinisch-künstliche Räume werden sichtbar. Die technoide Anmutung stellt sinnhaft einen direkten Link zur sowjetischen Aufbruchszeit Mayakowskijs dar. Kürzlich erst war eine intelligente Remix-Version des Film zum Berlin TV tower mapping contest zu sehen.

In der Retrospektive widmete sich das Zebra Poetry Film Festival Klaus Peter Dencker, der nicht nur für seine Werke im Bereich der Konkreten und Visuellen Poesie (nachzulesen bei KulturPort.De) bekannt sein dürfte, sondern auch für die TV-Poesie. Ab 1970 durfte er beim Saarländischen Rundfunk seine Filmexperimente Realität werden lassen. Heute kaum denkbar, dass man länger als ein paar Sekunden im Büro eines Programmverantwortlichen sitzen dürfte, um jene Ideen zu präsentieren, die Dencker noch umsetzen konnte. Wie weit weg Fernsehen heute von Künstlern ist, zeigt sich bei kaum einem anderen Beispiel besser als hier. Nachvollziehbar, dass Klaus Peter Dencker Mitte der 80ger-Jahre seine Fernseharbeit schmiss, weil er später seine Ideen gar nicht umsetzen konnte. Für alle, die seine Filme nur vom Hörensagen kennen – mir ging es da nicht anders – war diese Retrospektive einer der Höhepunkte des Festivals. Die Ehrung hatte einen kompetenten Podiumspartner: Bernd Scheffer, Schwitters-Experte, Medien-Connaisseur und Herausgeber des Katalogs „Schrift und Bild in Bewegung“ begleitete Dencker durch das filmische Oeuvre.

„Starfighter“ (ARD/SWF, 1970/71), der älteste der präsentierten Filme oszilliert zwischen Bild, Text und Buchstaben, es entstehen neue Begriffsfetzten, die zu Mungo Jerrys Musikstück ‚Mighty Man' geschnitten sind. Mal verlieren sich die Bilder von GIs in Vietnam, von abgestürzten Flugzeug-Jets des Typs ‚Starfighter' und Werbebildern von Charles Wilp, der damals eine neue und freie Bild- und Assoziationsästhetik entwickelte, in den abstrakt wirkenden eingeblendeten Buchstaben, mal umgekehrt. Der Film endet mit einem Buchstabenspiel: aus „Starfighter" entsteht das Wort „Sarg-Fighter". Obwohl jeder der Betrachter allein schon durch Themenauswahl und analoger Machart den historischen Kontext realisiert, wirken dieser und weitere Filme zeitlos. Dencker geht sprachlichen, begrifflichen und inhaltlichen Phänomenen so nach, dass er sie immer wieder in neuen Ketten, Drehungen und Wendungen zusammenfügt und damit am Leben hält und die Wahrnehmung schärft. Bild und Text inspieren einander.

Das gleiche gilt für „Rausch“ (ARD/SWF, 1970/71), nur dass dieser Film und die weiteren Filme „Zuschauer“ (ZDF, 1974) und „Weltmeisterschaft“ (ARD/WDR, 1978) noch ausgeklügelter erscheinen und das Medium Fernsehen und deren Mitarbeiter sowie Zuschauerschaft selbst kommentiert, reflektiert und teilweise durch Absurdität hinterfragt werden. Sie sprühen neben gekonnter und notwendiger Kritik und künstlerischen Können sowie einer gewissen selbstreflektierenden Distanz nur so vor Witz und ungeheurem Humor, der bis auf den ersten, allen Filmwerken innewohnt.

Zebra Poetry Film Festival Münster | Berlin
Weitere Informationen

Festival-Trailer

KulturPort.De dankt Münster Marketing für die Unterstützung


Abbildungsnachweis:
Header: Schloßtheater Münster. Foto: Claus Friede
Galerie:
01. Festival-Logo
02. Masterclass Poetry across the borders: „Kismo“ von Ruut van der Beele & Jonah Falke (NL/D 2016)
03. Filmpoems: „Himalaya“ von Berta Tilmantaite (Nepal 2015)
04.
Please Listen", RU 2014 | 03:33. Regie: Natalia Alfutova.
05.
Goldfish"D 2016 Regie: Rain Kencana. Gedicht: "Golden Fish" Shuntaro Tanikawa
07. Klaus Peter Dencker. Foto: Zebra Poetry Film Festival
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