
Die Zeit der Romantik ist nicht nur in der Musik, sondern auch in der Literatur und bildenden Kunst mit dem Begriff „Erhabenheit“ verknüpft. Der empfindsame Mensch fungiert als Mittler zwischen Gott und Natur. Die Seele ist noch ganz im Glauben und in der Religion verhaftet, auch wenn der Verstand allmählich die neuen aufklärerischen Zeichen der Zeit erkennt und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Technik- und Fortschrittsglaube Einzug hält.
Das Deutsche Requiem könnte in diesem Zusammenhang wie ein Abschied gelesen werden und als tröstendes Omen eines Kampfes zwischen Seele und Verstand – eine durchdringende, ideologische Wachablösung.

Vielleicht musste Brahms im engen Hamburger Gängeviertel geboren und mit materiellen Entbehrungen aufwachsen sein, um zu einer derartig weitausladenden, himmelwärtsstrebenden und freiheitsliebenden Musik zu gelangen, die keine Horizonte kennt.
Das Deutsche Requiem wurde 1869 erstmals in Leipzig vollständig aufgeführt, die hier rezensierte Live-Aufnahme stammt vom November 2013 aus der Kreuzkirche Dresden. Und die ist erlebenswert! Solisten, Knabenchor, gemischtes Vokal-Ensemble und Orchester öffnen den ohnehin schon großen Klangraum der Kirche.

Zu meinen Lieblingspassagen gehört „Denn wir haben hier keine bleibende Statt“ (Hebräer 13,14). Der Übergang ins Jenseits mit Textpassagen aus dem ‚1. Brief des Paulus an die Korinther’ endet mit der Frage: „Hölle, wo ist Dein Sieg?“. Brahms lässt den Sieg der Hölle nicht zu, und die hellen Stimmen des Knabenchors zitieren die ‚Offenbarung’ mit schöpferischer Kraft.
„Seelig sind die Toten, die in dem Herren sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ (Offenbarung 14.13). Am Ende steht das Credo: Egal welche Wachablösung kommen mag – wir sind alle aufgehoben, unabhängig davon, in welcher Epoche wir leben.
Das CD-Cover zeigt das wohl bekannteste Werk Arnold Böcklins: „Die Toteninsel“. Die verwendete dritte Version stammt aus dem Jahr 1883. Die morbide Atmosphäre und die von Trauerzypressen umgebene mediterrane, monolithische Gräberstätte geben die Melancholie, die auch im Deutschen Requiem steckt, passend wieder.
Johannes Brahms – Ein Deutsches Requiem
Dresdner Kreuzchor
Vocal Concert Dresden
Sibylla Rubens (Sopran)
Daniel Ochoa (Bariton)
Dresdner Philharmonie, Leitung: Roderich Kreile
Berlin Classics
1 CD 0300569BC
Ab 4.4.2014 erhältlich
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Abbildungsnachweis: Alle Fotos: Berlin Classics
Header: Kreuzchor in der Kreuzkirche Dresden.
Kreuzkantor Rederich Kreile
CD-Cover
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