Wie haben Opernkomponisten die dramatische Kraft ihrer Bühnenwerke auf die intime Welt eines Streichquartetts übertragen, bei der man auch von der Königsdisziplin der Kammermusik spricht? Dieser Frage spürt das Pacific Quartet Vienna in seiner neuen CD-Einspielung nach.
Die vier erfahrenen Musikerpersönlichkeiten aus Wien und Zürich teilen einen künstlerischen Ansatz, bei dem „jeder die volle Verantwortung für den Moment und für den Dialog“ trägt. Diese vertiefte Auseinandersetzung mit der musikalischen Rhetorik prägt ihre Interpretation von Mozarts „Dissonanzenquartett“, Gaetano Donizettis Streichquartett Nr. 17 in D-Dur und Giuseppe Verdis einzigem Quartett in e-Moll.
Am Anfang dieses Projekts stand Mozart. „Es ist einfach hörbar, wie stark Mozart von der Opernwelt beeinflusst ist, die aus Italien ganz Europa erfasst hat", erläutert das Ensemble seine Werkauswahl. Sein 1785 entstandenes Quartett in C-Dur, KV 465 widerspiegelt eine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit Joseph Haydn. Der Beiname „Dissonanzenquartett" verweist auf seinen für die damalige Zeit beachtlichen experimentellen Wagemut. Die berühmte Adagio-Einleitung fesselt durch spannungsreiche Zusammenklänge und kühne Querverbindungen, die Zeitgenossen als Regelverstöße gegen den „reinen Satz“ attestierten. Doch Mozart wäre nicht Mozart, wenn er das Gelehrte nicht völlig souverän im Galanten aufgehen ließe. Seine reichhaltige harmonische Palette und die überraschenden Dur-Moll-Wechsel offenbaren die Darstellungslust der großen Oper: Italienische Sanglichkeit und deutsche Formstrenge verschmelzen zu einer Einheit. Das dramatisch sprudelnde Finale mit seiner reichen Chromatik und den wilden Molleinbrüchen vertreibt das anfängliche Helldunkel.
Das Pacific Quartett Vienna zeigt mit Donizettis Streichquartett Nr. 17, dass der norditalienische Belcanto-Meister auch in der Kammermusik Außergewöhnliches schuf. Seine späten Quartette, darunter die Nr. 17, stehen in ihrer Eigenständigkeit den berühmten Bühnenwerken in nichts nach. Die Interpreten fühlen sich besonders von der „unmittelbaren, dynamischen Art“ seiner Stimmführung angesprochen, die ein opernhaftes Drama im Quartettformat entfaltet. Im Larghetto cantabile folgt auf charakteristisch italienische Klangfarben eine sehnsuchtsvolle Nocturne mit Pizzicato-Begleitung, während das vitale Menuett und das von Volksweisen inspirierte Finale den mediterranen Charakter des Werkes unterstreichen.
Hat Giuseppe Verdi sein einziges Streichquartett, mitten während der heißen Probenphase für seine Aida-Uraufführung, einfach nur so zum Zeitvertreib geschrieben? Er wollte es zunächst noch nicht einmal veröffentlichen – umso mehr überrascht die vollendete formale Meisterschaft dieser Komposition. Nach der Verdi-„untypischen“ Strenge des Kopfsatzes entfaltet sich im Andantino eine poetische Synthese aus Walzer und Canzone. Der dritte Satz besticht durch eine elegante Cellokantilene, während das kunstvoll fugierte und rhythmisch aufregende Finale bereits auf das Buffo-Finale des „Falstaff“ vorausweist, der zwei Jahrzehnte später sein Œuvre krönen sollte.
Pacific Quartet Vienna
Das Pacific Quartet Vienna hat sich seit seiner Gründung der Aufgabe verschrieben, dem Publikum immer neu „die Essenz ihrer Forschung mitzuteilen“. Die künstlerische Arbeit des multinationalen, in Wien und Zürich beheimateten Ensembles zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Vielfalt aus. Regelmäßig entwickelt das Quartett auf Museen zugeschnittene Konzertprogramme und setzt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf zeitgenössische Musik. Daneben engagiert sich das Ensemble intensiv für interkulturelle Austauschprojekte zwischen Europa und Asien. Ein einzigartiges Märchenkonzert-Programm vermittelt Kindern und Erwachsenen Klänge, Sprachen und Philosophien aus verschiedenen Kulturkreisen.
Die vier Musiker des Ensembles vereinen höchste internationale Expertise: Der Primarius Yuta Takase, in Yokohama geboren, studierte am Pariser Conservatoire und in Wien, wo er zahlreiche internationale Wettbewerbserfolge errang. Der Schweizer Simon Wiener, zweite Violine und Gewinner des Internationalen Johannes Brahms Wettbewerbs 2019, studierte bei Zakhar Bron, Renaud Capuçon und Ilya Gringolts. Die aus Taiwan stammende Bratschistin Chin-Ting Huang absolvierte ihr Studium an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bei Ilse Wincor und Johannes Meissl mit Auszeichnung. Die Cellistin Sarah Weilenmann aus Zürich, Absolventin des New England Conservatory of Music und der Universität für Musik Wien, verbindet ihre Quartett-Tätigkeit mit Engagements bei den Wiener Symphonikern und als Dozentin am Konservatorium Zürich.
Zu den Höhepunkten der vergangenen Konzertsaisons zählten Auftritte im Wiener Musikverein, in der Wigmore Hall London und im Brucknerhaus Linz sowie bei renommierten Festivals wie der Styriarte Graz, dem Trame Sonore Mantova Chamber Music Festival, den Haydn Festspielen Burgenland, dem Kalkalpen Festival und dem Lucerne Festival. Mehrere CD- und Rundfunkaufnahmen mit dem österreichischen Label Gramola, dem Österreichischen Rundfunk ORF und dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF sowie erfolgreiche Tourneen nach Italien, Japan und Taiwan unterstreichen die internationale Bedeutung des Ensembles. Das Pacific Quartet wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem 1. Preis, dem Publikumspreis und dem Preis für die beste Interpretation eines Werkes von Joseph Haydn beim 6. Internationalen Joseph Haydn Kammermusikwettbewerb in Wien 2015. Weitere Auszeichnungen folgten mit dem August Pickhardt Preis der Stadt Basel 2016 und dem New Austrian Sound of Music Preis 2018/19.
Pacific Quartet Vienna: Szenen ohne Worte
Yuta Takase und Simon Wiener Violinen | Chin-Ting Huang Viola | Sarah Weilenmann Violoncello
Label: Solo Musica
EAN: 4260123644666
Wolfgang Amadeus Mozart: Streichquartett in C-Dur, KV 465 „Dissonanzenquartett“
Gaetano Donizetti: Streichquartett Nr. 17, D-Dur
Giuseppe Verdi: Streichquartett in e-Moll
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