
Sie ist eine großartige, wenn auch traditionell-orientierte Komposition, die 3. Sinfonie von Alfred Schnittke (1934-1998), voller Dramatik, Kraft, Sinnlichkeit und historischer Versatzstücke.
Das viersätzige Werk, Fertigstellung im Jahr 1981, ist die Auftragskomposition zur Eröffnung des neuen Gewandhauses in Leipzig. Der Auftrag war mutig, weil das „Abenteuer Schnittke“ immer klingende Gedanken von einem hervorbrachte, der im sowjetischen wie im deutschen Kulturdunst beheimatet war und trotzdem dort nie ankam. Dirigent Vladimir Jurowski nannte ihn den „Seismographen der kulturellen Albträume seiner und unserer Gegenwart“.

Auch die Moderne gestaltet sich in der 3. Sinfonie: Anton von Weberns Kontrastidee des festen und lockeren Tons, den Schnittke Ende der 1960er-Jahre in seine Fundus übernimmt ist hörbar sowie Dessau, Hindemith und Orff. Die Liste ließe sich fortführen. Es ist ein prismatischer Ritt durch einen Teil der Musikgeschichte, mit Zitatcharakter, aber ohne ärgerlichen Eklektizismus.
Manche Kritiker vermissen das einzigartig Neue im Werk, die Leistung ist jedoch vielmehr: Bruchstücke so zusammenzufügen, dass sie neu klingen und das hat Alfred Schnittke mit seiner „Polystilistik“ bravourös geschafft.
„Ich möchte erwähnen, dass alle Antiquitäten in meinen Stücken von mir nicht gestohlen, sondern gefälscht worden sind“, kommentierte der Komponist einst selbstironisch.
Vom feinsten Pianissimo, einer nahezu gespenstigen Stille zu Beginn des Moderato über die gewaltigen Höhen von Blechbläsern, großer Trommel, Orgel und E-Gitarre atmet die Sinfonie schließlich im letzten Satz dann ruhig durch. Wie bei Gustav Mahler endet sie im Adagio.
Schnittke spielt zudem in allen Sätzen mit Begriffs-Ton-Anspielungen. Die Tonfolge e-d-d-e steht für Erde, d-es-c-h-a-d für Deutschland, e-g für Leipzig und zum Schluss gibt es dann noch b-a-c-h der tiefen Streicher.
Die Aufnahme des ältesten deutschen Rundfunkorchesters – gegründet 1923 – ist wahrlich vergleichbar mit der ebenfalls großartigen Aufnahme des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra unter Eri Klas aus dem Jahr 1994. Jurowski – so jung er noch ist – hat durchaus Erfahrung und den Kern des Werks durchdacht. Sein Repertoire mit Brahms, Tschaikowski, Mahler und Rachmaninow passt gut zu Schnittke. Er kennt die 3. Sinfonie nach eigenem Bekunden seit seiner Jugend und schätzt die Kombination aus internen musikalischen Ideen und außermusikalischen, sprich philosophischem Gedankengut. Beides – Herz und Kopf führen Dirigent und Orchester konzentriert durch die 52 Minuten im Großen Sendesaal des „Haus des Rundfunks“ in Berlin und machen diese CD zu einem beeindruckenden Musikerlebnis.
Alfred Schnittke Sinfonie Nr. 3 (1981)
Rundfunksinfonie-Orchester Berlin, Vladimir Jurowski
Aufgenommen im Juli 2014 im Haus des Rundfunks Berlin. Eine Koproduktion von Pentatone, Deutschlandfunk und der Rundfunk-Orchester und Chöre gGmbH Berlin
Pentatone Classics | 1 SA-CD
PTC 5186 485 | Hybrid Multichannel
EAN 827949048562
YouTube: A. Schnittke — Symphony No.3 (V. Jurowski & Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin)
Abbildungsnachweis:
Header: Vladimir Jurowski. Foto: Matthias Creutziger
CD-Cover, Pentatone
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