Kunsthandwerk, Grafik & Design

„Die Innenstadt muss Chefsache werden“, titelte das Hamburger Abendblatt Ende Januar und zitierte damit David Erkalp, CDU-Fachsprecher für Handel, Tourismus und Innenstadt.

Was Erkalp in seinem Interview nicht erwähnte: Die Hamburg Kreativ Gesellschaft, hundertprozentige Tochter der Stadt, hat die Innenstadt bereits zur Chefsache erklärt. Mit ihrem Förderprogramm „Frei_Fläche: Raum für kreative Zwischennutzung“ ist sie angetreten, Hamburg neu beleben. Bestes Beispiel: Der Pop-Up-Store der Arbeitsgemeinschaft Kunsthandwerk (AdK Hamburg). Ob Schmuck, Keramik, Papierobjekte, textile Accessoires oder Tafelaufsätze – wer „excellent arts and crafts“ sucht, hervorragendes Kunsthandwerk für jede Gelegenheit, der wird bis zum 30. April 2022 am charmanten Gustav-Mahler-Platz fündig.

 

Wer die Entwicklung der vergangenen Jahre verfolgt, der weiß, wie dramatisch die Lage ist. Nur noch Luxuslabel, Multis oder Billigketten können sich die explodierenden Mieten in guten Lagen leisten. Der klassische Einzelhandel, der einst die Vielfalt und Attraktivität der Innenstadt prägte, wurde zusehends verdrängt. Corona wirkte in dieser Entwicklung wie ein Brandbeschleuniger.

 

Die Hamburg Kreativ Gesellschaft steuert mit ihrem Fonds für Kreative Zwischennutzung dagegen, indem sie Kreativen aller Sparten für kleines Geld Leerstände vermietet. Sicher wird sich Hamburg dadurch nicht neu erfinden, doch ein breites Spektrum feiner Neueröffnungen, wie der Premium Lingerie in der Opern Plaza oder der Affenfaust Galerie am Alten Wall, erweckt die Schaulust und macht einen Stadtbummel wieder zum Erlebnis.

Die rund 140 Quadratmeter große Galerie für Angewandte Kunst der AdK im Herzen Hamburgs nimmt dabei einen Spitzenplatz ein. Hier findet sich jene kreative Vielfalt der Handwerkskunst, die in der City so rar gesät ist und die man bislang vor allem in der Galerie Hilde Leiss am Großen Burstah und im Haus des Kunsthandwerks (Koppel 66) fand. Mit dem AdK-Pop-Up-Store an dem kleinen Gustav-Mahler-Platz, einem der wenigen Hamburger Orte mit fast schon Pariser Flair, ist nun ein Dreiklang in Sachen Angewandter Kunst entstanden, der hervorragend zusammenspielt.

 

Galerie - Bitte Bild klicken
Mehr als ein Dutzend vielfach ausgezeichneter Angewandter Künstler*innen präsentieren hier Schmuck, Holz, Keramik, Papier und Textil und bieten zudem Einblicke in ihre Arbeitsweise. Selbstredend ist jedes Objekt ein Unikat, das heißt, es stammt von der Idee bis zum fertigen Produkt aus einer Hand – aus einer Meister*innen Hand, wohlgemerkt.

 

Die Armbänder der Goldschmiedin Heike Ahrens beispielsweise sind von den Kindheitserinnerungen der Künstlerin inspiriert. Ahrens übersetzt Haargummis und Strohhalme in unkomplizierte, sehr lässige Armreife aus recyceltem Gold oder Silber. Mit ihren „Permanent Bracelets“ bietet die Goldschmiedin auch permanenten Schmuck aus feinen Gold- und Silberketten an, der direkt vor Ort am Handgelenk „zusammengeblitzt“ wird, wie sie sagt. Eine hochwertige, moderne Variation der Freundschaftsbänder.

Die erlesenen Schmuckstücke und Trinkgefäße ihrer Kollegin Kathrin Heinicke hingegen sind zumeist architektonisch geprägt. Wie kleine, funkelnde Edelsteine tragende Brücken wirken ihre Ringe und Anhänger. Und ihre hauchdünnen, mit Gedichten punzierten Schalen aus getriebenem Silber faszinieren nicht nur in ihrer Optik, sondern überraschen auch, sobald man sie zur Hand nimmt: Sie besitzen die Elastizität von Stahlfedern.

 

Die vier Keramikerinnen im Pop-Up-Store der AdK zeigen die ganze Spannbreite und Schönheit des Materials – von hauchzart bis erdverbunden schwer. Während Susanne Behrens ihr handgedrehtes, meerblaues Geschirr für den familientauglichen Alltag entwirft, hat sich Nana König auf dünnwandige Gefäße und delikate Kristallglasuren spezialisiert: Kleine Preziosen mit bezaubernden Blütenmustern. Ähnlich fragil ist auch das Kordelporzellan von Silke Decker. Sie taucht Textilfäden in flüssiges Porzellan und kreiert auf diese Weise Objekte, die wie gestrickt oder gehäkelt wirken. Ganz anders die massiven, archaisch anmutenden Gefäße von Katharina Böttcher, in denen sich Einflüsse traditioneller Töpferkultur aus dem Mittelmeerraum und dem Orient spiegeln.

 

Während Kira Kotliar, die einzige Papierkünstlerin vor Ort, mit ihren hinreißenden, bunten Pappmaché-Figuren einen ganzen Kosmos an Zirkus- Theater- und Himmelsgeschöpfen beschwört, haben sich vier von fünf Textilkünstlerinnen des Pop-Up-Stores ebenso ausgefallener wie tragbarer Mode verschrieben. So faltet Marina Krog farbenprächtige Capes, Kragen und Schals aus Seide und Kunstfasern, die zum Teil an eine moderne Variante der spanischen und niederländischen Halskrausen des 16. Jahrhunderts erinnern. Aus der Hand der Plissee-Meisterin sind diese Accessoires jedoch so minimalistisch-fein und hauchzart gearbeitet, dass man sie kaum spürt. In jedem Fall verliehen sie ihren Trägerinnen eine schwerelose, fast schon hoheitsvolle Eleganz und Exklusivität. Das gilt auch für die Spitzen-Werke von Kirsten Brinckmann. Sie gehört zu den besten Klöpplerinnen der Republik und führt ihr von der traditionellen Spitzenklöppelei inspiriertes Handwerk gerne auch vor (Termine nach Absprache).

 

Wenn es draußen so richtig ungemütlich wird, sind die Mützen und Kappen von Ulli Meins gefragt. Ihre Kopfbedeckungen für alle Wetter- und Lebenslagen behalten ihre Form, selbst wenn man sie mal schnell in die Tasche steckt. Bei Anna Husemann, der jüngsten Ausstellerin, dreht sich wiederum alles um Farbe, Material und Nachhaltigkeit. Ihre Strickkollektion aus handgefertigten Stirnbändern und Mützen besteht aus in Deutschland gesponnener Schurwolle, natürlichen Garnfarben und einer farbenfrohen, abstrakten Formgebung, die durch eingestrickte Intarsien entsteht. Samira Heidari Nami, die fünfte Textilkünstlerin, lässt sich von ihren orientalischen Wurzeln inspirieren. Ihre reduzierten, minimalistisch-coolen Teppiche aus Industriefilz sind mit abstrakten Ornamenten in Neonfarben bedruckt, die sich bei näherem Hinsehen als Muster-Fragmente traditioneller Perserteppiche entpuppen.

 

Mit Hubert Steffe und Andreas Wencke sind zwei ganz unterschiedliche Holzgestalter am Gustav-Mahler-Platz zu Gast. Während Andreas Wencke, spezialisiert auf Innenarchitektur und Ladenausbau, Skulpturen aus Holz und Metall zeigt, präsentiert der Bremer Hubert Steffe seine vielfach ausgezeichneten Objekte aus Hirnholz. Seine aus unterschiedlichen Hirnhölzern zu Mosaiken zusammengesetzten Schneide- und Servierbretter sind nicht nur außerordentlich robust, sondern auch ein Schmuckstück in jeder Küche – und, wie alles in dem AdK Pop Up Store, absolut einzigartig.


AdK Pop-Up-Store

bis 30. April 2022

Gustav-Mahler-Platz 1, (Große Theaterstraße, Ecke Colonnaden), 20354 Hamburg.

Öffnungszeiten: Mo bis Sa 11-18 Uhr.

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