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Nils Wülker und Arne Jansen. Foto: © Thomas von Aagh

So müsste es am Timmendorfer Strand den ganzen Sommer lang zugehen: Überall OpenAir Musik, entspannte, gutgelaunte Besucher und herrliches Wetter. Kurz: Die Jazz Baltica 2025 war ein voller Erfolg.

Spontane Standing Ovation für Festivalleiter Nils Landgren vor dem Abschlusskonzert in der Maritim MainStage, der dem begeisterten Publikum versprach: „Wir sehen uns nächstes Jahr wieder“.

 

Kein Zweifel, es ist das „Festival der Silberrücken“: Wohin man schaut, ergraute Häupter und junggebliebene „Best Ager“, die es sich zwischen den OpenAir-Bühnen im Park gemütlich machen. In jedem Fall sind die Jazz-Liebhaber im Publikum durch die Bank deutlich älter, als die Akteure auf der Bühne. Von dem reichhaltigen Programm, das am Donnerstagabend (wie in jedem Jahr seit 2012) mit einem „Warm Up“  von Nils Landgren und der Big Band des Ostsee-Gymnasiums Timmendorfer Strand eröffnet wurde, hat die Autorin dieser Zeilen leider nur einen kleinen Ausschnitt erlebt – aber immerhin zwei Höhepunkte des Festivals: Der Samstag der Jazz Baltica endete mit einem Mitternachtskonzert, das in Erinnerung bleiben wird: klanglich wunderbar, atmosphärisch dicht – aber körperlich durchaus fordernd. In der schwülwarmen Standhalle des Maritim Seehotels präsentierten Trompeter Nils Wülker und Gitarrist Arne Jansen ihr gemeinsames Duo-Programm „Closer“, basierend auf ihrem gleichnamigen Album.

 

Aber zunächst eroberte die Französin Célina Bonacina mit Kostproben aus ihrem neuen Album „Jump!“ die Bühne, eine Reminiszenz an den Achtzigerjahre-Fusion-Jazz. Bonacina ist zweifellos eine Ausnahme-Saxophonistin. Mit ihrer dreiköpfigen Band (Julian Caetano/Piano, Chris Jennings/Bass, Stéphane Galland/Drums) schafft sie eigenwillige, streckenweise fast trancehafte Klanglandschaften, in denen sie zwischen langen, repetitiven Grooves mit ihrem Baritonsaxophon immer wieder energiegeladene Akzente setzt. Sieben Jahre lang hat Bonacina auf La Réunion gelebt, heute gilt sie als führende Vertreterin des „Neuen Europäischen Jazz‘“, doch afrikanische und kreolische Einflüsse sind in ihrem Rhythmen- und Formenmix unverkennbar.

 

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Céline Bonacina. Foto: © Nathalie Courau-Roudie 

 

Wer dann bis zum „Mitternachtskonzert“ von Nils Wülker und Arne Jansen durchhielt, wurde mit einer virtuosen Klangreise belohnt. Wülker betonte anfangs die Freundschaft mit Jansen, doch man spürte auch ohne Worte, dass sich diese beiden Musiker seit Jahrzehnten gut kennen und absolut miteinander harmonieren. Gleichsam traumwandlerisch aufeinander eingestimmt schufen sie mit Flügelhorn, Trompete, E-Gitarre, Akustikgitarre und einem reichhaltigen Arsenal an Effekten und Loopstations ebenso lyrische wie sphärisch geprägte, wunderschöne melodische Klagräume. Besonders eindrucksvoll: „Beyond the Bavarian Sky“, ihre Hommage an das Metheny/Haden-Duoalbum „Beyond the Missouri Sky“.

 

Den krönenden Abschluss der Jazz Baltica 2025 bestritt am Sonntagabend dann das phänomenale Quartett „Les Égarés“ – bestehend aus Ballaké Sissoko (Kora), Vincent Ségal (Cello), Émile Parisien (Sopransaxofon) und Vincent Peirani (Akkordeon).

 

Les Égarés heißt auf Deutsch die Verlorenen, die Verirrten, doch diese vier grandiosen Musiker haben sich weder verloren noch verirrt. Im Gegenteil: Sie haben zueinander gefunden!  Ihr genreübergreifendes Projekt ist ein eindrucksvolles Plädoyer für die Kraft des einander Zuhörens und der musikalischen Kommunikation.

Und genau das war in jedem Moment ihres Auftritts bei der Jazz Baltica spürbar. Hier ging es nicht um Solisten, die sich in den Vordergrund spielen, sondern um ein fein austariertes Gesamtkunstwerk.

 

Ein herausragendes Beispiel dafür war das Stück „Orient Express“, eine Bearbeitung des gleichnamigen Titels von Joe Zawinul. Ohne Schlagzeug, ohne Elektronik, nur mit den akustischen Mitteln der Kora (der westafrikanischen Stegharfe), von Cello, Saxofon und Akkordeon entwickelten die vier Musiker eine treibende rhythmische Kraft. Besonders Vincent Peirani, wie immer barfuß auf der Bühne, sorgte mit seinem Akkordeon für den pulsierenden Groove, der Émile Parisien Raum für seine weichen, tänzelnden Saxofonlinien ließ.

 

Zum Mitklatschen verführte dann das folkloristisch geprägte Stück „Esperanza“, eine Komposition des französischen Akkordeonisten Marc Perrone. Hier zeigte das Quartett seine Vielseitigkeit: Ein hinreißendes, fast schon tänzerisches Stück mit südamerikanischen und iberischen Anklängen - lebendig, leicht schwebend und doch tief verwurzelt im kollektiven Groove. Peiranis Akkordeon übernahm dabei die melodische Führung, während Sissokos Kora – mitunter auch seine Hände - und Ségals Cello eine federnde rhythmische Basis bildeten. Parisien setzte mit seinen Saxofon-Interventionen improvisatorische Glanzpunkte.

 

Was diese beiden Stücke, im Grunde ja das gesamte Konzert verband, war der spürbare Respekt dieser vier Virtuosen füreinander. Die musikalische Bandbreite des Abends reichte von der westafrikanischen Malinké-Kultur, über orientalische Skalen und die französische Musette Neuve Kultur bis hin zu Klezmer-Anklängen und frei improvisierten Jazzpassagen. Jedes Stück war dabei ein weiteres Kapitel einer musikalischen Reise, die das Publikum restlos begeisterte. Standing Ovation für vier schier unglaubliche Musiker, die sich leider nur mit einer Zugabe verabschiedeten. Aber, wie Nils Landgren augenzwinkernd verkündete – es gibt ja ihre Alben, die man unbedingt erwerben sollte - und die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen.


Jazz Baltica 2025

Weitere Informationen (Jazz Baltica)

 

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