„Glück auf, der Steiger kommt“ war eine der Zugaben an diesem Abend in der ausverkauften Holstenhalle in Neumünster.
Und während Grönemeyer die eigentlich langen Silben staccato-artig zackig verkürzte und in gleichem Atemzug eigentlich kurze Silben melancholisch dehnte, präsentierte er den kundig mit-grönenden Fans seinen Personalstil und das Geheimnis seines Erfolgs: die knappe Musikalisierung des kargen Lebens eines Bochumer Bergmanns.
„Wasser marsch“
Und so tauchte denn Grönemeyer auch gleich zu Beginn wie ein Bergmann glücklich auf: schwarz und einfach gekleidet, freundlich, zugewandt, uneitel. Der Maestro, wie ihn SHMF-Intendant Christian Kuhnt in seiner Einführung vorstellte, erhob den Taktstock und grub sich mit durchgängig gleichmäßigen Vierertaktfiguren eher gröber als nuanciert in den Stollen des Slawischen Marsch von Peter Tschaikowsky ein: mit dem irritierenden Klangergebnis einer sinfonischen Feuerwehrkapelle. Etwas weniger „Wasser marsch!“ hätte dem Stück gut getan! Die Bochumer Sinfoniker führten ihn dabei solide und sicher durchs Werk. Auch in der von seinem Pianisten Alfred Kritzer gekonnt arrangierten sinfonischen Suite aus Grönemeyer-Songs wirkte der Dirigent eher nachgestaltend als führend.
Herbert Grönemeyer dirigiert. Foto: © Agentur 54° John Garve
Musikalische Klanginseln
Nach der Pause dann Rachmaninoff mit der meisterlichen Pianistin Anna Vinnitskaya. Nun übernimmt sie zusammen mit den Bochumer Sinfonikern die musikalische Führung, und das gelingt ihr erwartungsgemäß gut. Gedämpft wird die Freude am Gesamtklang durch eine eher bis an die Grenze des Klirrenden gehende Verstärkung von Klavier und Orchester, aber es gibt jetzt doch musikalische Klanginseln, die berühren, wenn Anna Vinnitskaya brillante Geläufigkeitsausbrüche der rechten Hand wie mit links zelebriert und sie dann als Energie-Quelle des musikalisch Folgenden nutzt, um das Einfache einfach und still darzustellen. Ähnliches gelingt auch dem Solo-Horn und der Solo-Klarinette.
Vielleicht berühren diese wenigen Stellen auch deshalb so besonders, weil sie Rachmaninoffs Charakter am ehesten entsprechen, denn Rachmaninoff war nach Aussage von Vladimir Horowitz nicht nur der „zweifellos größte Pianist“, er war ein an sich selbst zweifelnder Komponist und als Mensch eher verschlossen und grüblerisch. Eine Interpretation, die diesen Eigenschaften Rechnung tragen wollte, würde sicher auf elektrische Verstärkung, auf Verschaufensterung von Virtuosität und auf orchestrale Klangübermächtigung verzichten.
Im Spiel von Anna Vinnitskaya wurde dies alles deutlich, wurde aber von der Bochumer Freude am großen Klang überdeckt. Nach dem von Grönemeyer machtvoll demonstrierten Schluss wurde die großartige Pianistin vom Publikum stürmisch gefeiert, aber auch die erstaunlich jungen Bochumer Sinfoniker und der tapfere Dirigent. Natürlich gab es als Zugabe diverse Grönemeyer-Songs. So kamen auch diejenigen auf ihre Kosten, die einzig und allein wegen dieser Songs gekommen waren.
Herbert Grönemeyer, Andreas Kritzer und Anna Vinnitskaya. Foto: © Agentur 54° John Garve
Alleinstellungsmerkmal des SHMF
Das SHMF schärft mit jeder neuen Saison seinen akustischen Fingerabdruck. Es wird mit jeder Ausgabe demokratischer, versucht sich aber wohl auch an der Kunst der Querfinanzierung. Es bietet ein breites Muiskprogramm mit weiten Teilen auf Weltniveau. Weltniveau gibt es auch anderswo, aber in Schleswig-Holstein ist für „Jedermann“ etwas dabei. Vielleicht ist das die Basis für Pierre Boulez grundsätzliche Forderung an Konzerte: „Man sollte sie als Kommunikationsmittel betrachten, als lebendigen Kontakt zwischen aktiven Personen, seien sie Hörende oder Schaffende.“
Grönemeyer dirigiert!
Das Schleswig-Holstein Musik Festival am 28. Juni in der Holstenhalle in Neumünster
Mit: Anna Vinnitskaya, Klavier
Bochumer Symphoniker
Programm: Sergei Rachmaninoff: Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18
Herbert Grönemeyer: »Suite« (Arr. Alfred Kritzer) sowie ausgewählte Lieder
Peter Tschaikowsky: Slawischer Marsch b-Moll op. 31
Weitere Informationen (SHMF)
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