„Faszination Japan – auf zu den Sternen“ lautete das Motto des 26. Japanischen Filmfestes Hamburg (JFFH) mit mehr als 50 aktuellen japanischen Produktionen, die an fünf Tagen im „Metropolis“ und im „Studio Kino“ zu sehen waren.
Gezeigt wurde kreatives Gegenwartskino, das den Blick aufs Heute, auf die Vergangenheit und auf die Zukunft lenkte – den Blick den Sternen zugewandt.
Gestrige Wertevorstellungen kämpften filmisch-konkret gegen aktuelle gesellschaftliche Zwänge. Träume, Sehnsüchte Hoffnungen und Wünsche begegneten hier der auch in Japan – wie überall auf der Welt - mitunter harten Realität. Ein buntes Kaleidoskop also als Abbild der aktuellen Filmszene Japans.
Den Auftakt machte der Arthouse-Film „Wings oft the Phoenix“ von Tsukasa Kishimoto. Wahrlich eine gute Wahl hat der Festival-Veranstalter, der Verein Nihon Media, mit diesem Start getroffen. Auch deshalb, weil dieser zweiteilige Film eine eindeutige Liebeserklärung an das Kino ist. Im Schatten des über die Jahrhunderte immer wieder ausgebrannten und aus den Ruinen auferstandenen Schlosses Shuri in Okinawa kämpft Mr. Kinjo, Besitzer eines kleinen Kinos, um das Überleben seines in die Jahre gekommenen Kulturtempels. Der arbeitslose junge Schauspieler Naoshin hilft dem Besitzer gegen geringes Entgelt und kann so seine Kinoleidenschaft ausleben. Ebenfalls Stammgast ist ein junges Mädchen. Mit ihr teilt Naoshin die Liebe zum Kino. In einer berührenden Szene sprechen die beiden über die Bedeutung des Kinos und des Films.
Klare Schritte und Schnitte
Im zweiten Teil von „Wings of the Phoenix“ kehrt die junge Kanade nach Hause zurück. Wie zuvor ja auch Noashin heimgekommen ist in das Haus seiner Eltern (das von seiner Schwester mit Partnerin bewohnt wird, was einen weiteren Konflikt bedeutet). Ebenso wie Noashin hat Kanade den Glauben an ihr Talent, an die Karriere als Künstlerin verloren. Also verschenkt sie ihr Saxophon an ein Kind. Auch hier spielen neben persönlichen Hoffnungen und Enttäuschungen das Kino und der Film als kulturelle Einheit und Notwendigkeit eine Rolle… Eingefangen ist all dies mit klaren Schritten und Schnitten, die von einer Szene abrupt in eine andere wechseln. All das ist eingetaucht in atmosphärisch stimmigen Farben, szenisch eingetaucht mal in lichter Landschaft, mal in dunklem Fabrikgelände. Mal kommt die Handlung heiter daher, mal tragisch – wie es in guten Filmen zu sein hat.
Ein Problem ist trotz all der guten Dinge zu benennen: dass der Film aus zwei Teilen besteht. Die beiden Teile haben – außer dass der gesamte Film in derselben Gegend angesiedelt ist, das Kino(-Theater) thematisch eine verbindende Rolle spielt – wenig miteinander zu tun. Der springende Problempunkt ist, wir Zuschauer müssen uns auf verschiedene Protagonisten einstellen. Dabei wären wir gerne bei dem einen als auch bei dem anderen Personal gerne länger geblieben. Statt „Wings oft he Phoenix“ in zwei Teile zu splitten („Echoes of a Dream“ und „Spring oft the Phoenix“), hätte Regisseur und Autor Kishimoto gut und gerne auch zwei Spielfilme aus diesem einen machen können. Wir hätten beide Filme gerne gesehen!
„Wings of the Phoenix“
Sanfter Horrorfilm – cineastisches Kleinod
Das Programmheft des JFFH weist farblich gekennzeichnet und gut gegliedert vier Genre-Bereiche aus: Noh (Arthouese), Rakugo (Comed), Naginata (Action und Horror) und Anime (Trickfilm). Neugierig, interessiert und mutig habe ich in den Naginata-Bereich hineingeschnuppert. Und ich hatte gleich beim ersten Versuch Glück: Als sehenswerter Horrorfilm der eher sanften Art – also kein Hardcore-Horror – erwies sich „Occultic Summer“ von Higuchi Shōich. Dieser Film feierte beim JFFH Weltpremiere und war dort für den Publikumspreis nominiert. Erzählt wird die Geschichte von Natsuki, die mit Hilfe von Maeda, dem Leiter der Gesellschaft für okkulte Forschung, und dem Schreinmädchen Chihiro nach ihrer verschwundenen Schwester Miki sucht. Ungewohnte Einstellungen, schräge Perspektiven, Großaufnahmen auch von alltäglichen Gegenständen, wechselnde Farben – von hellen Pastelltönen hin zu rosagefärbten Brauntönen, bis hin zu nachtdunklem Schwarz, vordergründig mit der blutrünstigen Farbe Rot (filmisch klug) besetzt. Dies und mehr, beispielsweise die wechselnden Stimmungen, machen den Film zu einem cineastischen Kleinod, zumal die Schauspieler wunderbar agieren – einzeln und miteinander.
Komödie und Tragödie
Im Bereich Rakugo/Comedy angesiedelt hat das JFFH-Team „Let`s Play Family“ von Tatsuo Satō. Dieser kurze Film (21 Minuten) ist als Tragikomödie anzusehen. Zum Inhalt: Ein paar Stunden Familienatmosphäre gegen Bezahlung bietet die Anzeige einer Frau an. Sechs Personen treffen in einem abgelegenen Haus zusammen, einer von ihnen darf oder muss sogar den (Familien-)Hund spielen. Das mag zum Komischen an und in diesem Film gehören. Ansonsten ist die Sache ernst zu nehmen, gehört jedoch nicht zu meinen Favoriten: einerseits wirkt alles räumlich begründet statisch, andererseits inhaltlich begründet bewegt. Das Zusammengehen dieser beiden Pole (statisch/bewegt) wollte nicht so recht funktionieren, der Film blieb in meinem Fall resonanzlos. Der gewünschte Effekt, die gewünschte (An)Rührung blieb bei mir aus.
„Let’s Play Family"
Großartige Schauspielkunst
Eine ganz andere Wirkung hatte der Film „For the Family“ von Tabata Ryūnosuke auf mich. Auch ein Familienfilm also. Doch hier ergriffen mich Handlung und Schauspieler von Anfang an. Die junge Frau Mayumi kümmert sich liebevoll um ihren körperlich beeinträchtigten Bruder Masato. Umso mehr muss sie das tun, als der ältere Bruder, der als einziger in der Familie etwas Geld verdient, sich das Bein bricht und nicht arbeiten kann. Zu den ohnehin schon vorhandenen Existenznöten kommen nun noch immense Kosten für den Krankenhausaufenthalt des Bruders hinzu. Eine weitere Rechnung, die beglichen werden muss. Mayumi sieht sich gezwungen, ihren Körper zu verkaufen. Etwas, das sie offensichtlich aus der Not heraus schon früher getan hat und nie wieder tun wollte. Eine schwierige Entscheidung, auch weil sie bald heiraten möchte und der richtige Kandidat schon da ist… Diese katastrophale Situation erreicht weitere ungeahnte Höhen, die allesamt nicht erstrebenswert sind. Eigentlich wäre das alles nicht schön anzusehen – wenn da nicht diese überzeugenden schauspielerischen Leistungen wären. Sie machen uns atemlos und lassen uns gnadenlos mitleiden.
26. Japan-Filmfest Hamburg
Weitere Informationen (JFFH)
Preise:
1. Publikumspreis für den besten Film des Festivals
The Last Goze
Regie: Takizawa Masaharu
Details: https://jffh.de/de/festivals/23-jffh-2022/the-last-goze.html)
Der Publikumspreis für den besten Kinofilm des Festivals wurde an den Film The Last Goze von Takizawa Masaharu verliehen, der das höchste Zuschauervoting auf sich vereinen konnte. Nominiert waren fünf aktuelle japanische Produktionen (Shaman's daughter, Eleven Greed, Ishidan, The White Fang und The Last Goze) aus allen Genres, die das Publikum mittels eines Punktesystems bewerten konnte. Mit der Verleihung wurde der Festivalbeitrag gewürdigt, der das Publikum in besonderem Maße begeistern konnte.
2. Jury-Preis für die beste Independent-Produktion
The White Fang
Regie: Takahashi Yūsuke
Details: https://jffh.de/de/festivals/23-jffh-2022/the-white-fang.html
Der Jury-Preis für den besten und künstlerisch herausragendsten Kinofilm des Festivals wurde an The White Fang von Takahashi Yūsuke verliehen . Nominiert waren ausschließlich unabhängige Produktionen, die keine finanzielle Unterstützung durch eines der etablierten großen Filmstudios erhalten hatten. Mit der Verleihung der Jury soll somit neben der künstlerischen Leistung der Mut des Filmteams gewürdigt werden, den eine unabhängige Kinoproduktion erfordert. The White Fang erzählt eine Geschichte vom Überleben und vom Kampf vor einer beeindruckenden Naturkulisse. Im Laufe seiner 82 Minute entwickelt Takahashi Yusukes Film eine existentialistischen Wucht, die sich auch in der intensiven Bildsprache widerspiegelt.
3. Spezialpreis für die beste Genreproduktion
Eleven Greed
Regie: Shingo Soejima
Details: https://jffh.de/de/festivals/23-jffh-2022/eleven-greed.html
Der Spezialpreis für den unterhaltsamsten und produktionstechnisch überzeugendsten japanischen Genrefilm des Festivals wird an Eleven Greed von Shingo Soejima verliehen. Nominiert wurden alle unabhängig produzierten Genrefilme, insbesondere aus den Bereichen Action, Psychothriller, Science Fiction, Fantasy und Horror. Der Preisträger Eleven Greed ist ein launiger Yakuza-Streifen, der die Gesetze des Genres spielerisch bedient. Gewürzt mit frischen Ideen und irren Humoreinlagen sorgt das Ergebnis für ein breites Grinsen im Gesicht jeden Genre-Fans. Somit wird mit der Preisvergabe insbesondere die kreative Energie und der hohe Unterhaltungswert des Films gewürdigt.
4. Sonderpreis für eine außergewöhnliche künstlerische Leistung
Before The Rainbow Falls
Regie: Koji Uehara
Details: https://jffh.de/de/festivals/23-jffh-2022/before-the-rainbow-falls.html
Der Preis für eine außergewöhnliche künstlerische Leistung wird an Koji Uehara verliehen, dessen Drehbuch zum Film Before The Rainbow Falls bei der Jury bleibenden Eindruck hinterlässt. Before the Rainbow Falls handelt von großen Träumen und Lebenskonzepten, wann diese ausgeträumt sind und was wir bereit sind für sie zu opfern. Der Regisseur und Autor gibt in seinem Drehbuch nicht nur einen Einblick in die Seele eines Künstlers, sondern einen ernüchternden, oft ironisch überzogenen Einblick in die Musikszene Japans. Durch das frische Schauspiel des Darsteller-Ensembles wird das Drehbuch wundervoll mit Leben erfüllt.
Zusammensetzung der Festivaljury
Die Wahl der Preisträger erfolgte durch unsere erfahrene Festivaljury, die sich aus langjährigen Mitgliedern des Vereins Nihon Media e. V. und externen Cineasten und Experten der japanischen Popkultur zusammensetzt. Vorsitzender der Festivaljury war in diesem Jahr der freiberufliche Filmkritiker und Kurator Eckhard Haschen*.
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