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Film Festival Cologne 2018

Nach einem eher dürftigen Festivaljahr 2018 ging schon das Raunen durch die Reihen: Wo sind all die guten Filme hin? Die Antwort ist einfach: Man muss nur richtig hinsehen – denn die Einreichungen jenseits etablierter Starbesetzung sind wie so oft die besten. Ein Zwischenbericht vom Film Festival Cologne.

Wer für die Übersetzung dieses Originaltitels verantwortlich war, gehört bestraft. „Zimna Wojna“ (wörtlich: „Kalter Krieg“), der neue Film von Paweł Pawlikowski, macht beim Film Festival Cologne als Auftaktfilm von sich Reden – und muss dabei seinen hochnotpeinlichen deutschen Untertitel „Der Breitengrad der Liebe“ tapfer (er)tragen. Dabei hat Pawlikowskis neues Werk, das der polnische Regisseur wie seinen Oscarprämierten Film „Ida“ (2013) erneut auf Schwarz-Weiß gedreht hat, dankenswerterweise nichts von der kitschigen Liebesschnulze, wie ihn die Trailer suggerieren. Stattdessen zeigt Pawlikowski hier meisterhaft, wie man ein richtig gutes Melodram machen kann, das ganz unironisch „zart“ oder „sinnlich“ genannt werden darf, ohne eben schmachtvoll oder rührselig zu sein.


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Denn „Zimna Wojna“ ist ein großartiger Film geworden: Eine Liebesgeschichte zwischen zwei ganz unterschiedlichen Charakteren, dem Pianisten Wiktor (Tomasz Kot), der das volkstümliche Liedgut des Landes sammelt, um daraus eine Bühnenshow zu machen, und der jungen, eigensinnigen Zula (Johanna Kulig), die gerade erst auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde und sich nun als Sängerin auf einen Posten im Ensemble bewirbt. Eine Liebe, die nicht sein darf, schon gar nicht, da die Beteiligten unter scharfer Beobachtung der kommunistischen Regierung stehen: Bald sollen Propagandalieder für Stalin gesungen werden, und der Beamte, der Zula nachstellt, zwingt sie, Wiktor auszuspionieren. Dieser nutzt einen Gastauftritt in Berlin, um über die Grenze nach Paris zu fliehen – Zula jedoch, die versprochen hatte zu kommen, erscheint nicht. Damit beginnt das lange, qualvolle Hin und Her zwischen zwei Menschen, die trotz aller Widrigkeiten immer wieder zueinander finden, nur, um dann doch wieder auseinandergerissen zu werden, und schließlich einen hohen Preis für ihr Zusammensein zahlen müssen. „Zimna Wojna“ ist dabei ebenso sehr ein Film über die Liebe wie über die Musik, die die Geschichte wie ein weiterer Protagonist begleitet: die kraftvoll-dynamischen Volkslieder, die sanfte Jazzmusik verrauchter Kneipen, der swingende Rock’n’Roll. Dass der Film, der lose auf der Geschichte von Pawlikowskis eigenen Eltern basieren soll, dieses Jahr schon in Cannes prämiert wurde und gerade als heißer Anwärter auf einen Oscar gehandelt wird, überrascht also nicht – in Köln gewinnt er den Hollywood Reporter Award.

Soweit zum gelungenen Start in die 8-tägige Festivalwoche in Köln. Ein erster Trend, der sich abzeichnet: Erstaunlich viele Spielfilmdebüts und „Erstlingsfilme“, die sich nicht hinter den starbesetzen Produktionen zu verstecken brauchen. Hierzu gehört „Las Herederas“ („Die Erbinnen“) von Marcelo Martinessi, ein Film aus Paraguay und damit ein Land, das – wie uns der Regisseur im anschließenden Gespräch erklärt – keine eigene Filmförderung und im Grunde auch keine eigene Filmindustrie habe. Dadurch habe er erst einmal erproben müssen, wie das paraguayische Kino aussehen könnte, „denn wir haben noch keine eigene Filmsprache, wir haben uns bisher nicht selbst auf der Leinwand gesehen, wir wissen nicht, wie wir im Film sprechen, uns bewegen, wirken.“ „Las Herederas“, der größtenteils mit Laiendarstellern besetzt ist, erzählt dazu die Geschichte von zwei älteren Damen aus der Oberschicht, Chela (Ana Patricia Abente Brun) und Chiquita (Margarita Irún), die seit Ewigkeiten ein Paar sind und nun in Geldnot kommen. Dafür verkaufen die beiden erst das teure Mobiliar ihrer Wohnung, bis die lebendige Chiquita wegen ihrer Schulden ins Gefängnis muss und die eher verzagte Chela beginnt, sich als Fahrerin der reichen Frauen aus der Nachbarschaft verdient zu machen – es beginnt eine langsame Emanzipation, bei der Chela wieder ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche entdeckt. Der Film bricht damit gleich mehrere Tabus des konservativen Paraguays: gleichgeschlechtliche Liebe, die bröckelnde Fassade der Klassengesellschaft, und die Ungerechtigkeit eines korrupten Systems. Erzählerisch bleibt es bei einem eher gemächlichen Tempo und ruhigen Szenen, die sich zu einigen sehr berührenden Momenten verdichten – da sieht man dem Film nach, dass er streckenweise etwas die Puste zu verlieren scheint.

Sein Kinodebüt gibt auch Richard Billingham, der allerdings als Fotograf bereits hinreichend etabliert ist. Erstmals berühmt geworden ist der Brite mit seinem Bildband „Ray’s a laugh“ (1996), in dem er die Lebenswelt einer Familie in den West Midlands während der Thatcher-Ära dokumentiert hatte: den alkoholkranken Vater Ray und die übergewichtige, stark tätowierte Mutter Liz, die mit ihren beiden Kindern in einem verwahrlosten Hochhaus leben. Mit dem Film „Ray & Liz“ kehrt Billingham erneut in diese Bild- und Figurenwelt zurück und überträgt sie leicht fiktionalisiert auf die große Leinwand. Man merkt, dass hier ein fotografisches Auge am Werk ist, wie sorgsam die Einstellungen gesetzt sind, was für ein Gespür Billingham für Farbe und Licht hat, und wie behutsam er sich seinen Protagonisten nähert. Es ist ein schonungsloser Blick auf die Bitterkeit des Alltags, die Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die die Dargestellten begleitet, ihre Sprach- und Handlungsunfähigkeit. Und doch ist da eine warme, zärtliche Nuance, die sich in dieses Bild mischt und uns die Figuren nahebringt.

Wenn wir schon bei tollen Erstlingsfilmen auf dem Film Festival Cologne sind, dann verdient „Girl“ von Lukas Dhont die Krone. Der Film des gerade mal 27-jährigen flämischen Filmemachers erzählt die Geschichte des 15-jährigen Transgender-Mädchens Lara, das Ballerina werden möchte. An der renommierten Ballettschule in Brüssel wird Lara nur auf Probe angenommen, und der Leistungsdruck ist enorm, zumal sich Lara für ihren Körper schämt. Dadurch, dass sie sich parallel auf ihre ersehnte Geschlechtsumwandlung vorbereitet und dafür starke Hormonpräparate nimmt, bringt Lara ihren Körper an seine Grenzen. Und dann kommt da noch die Pubertät mit ihrem Gefühlschaos dazu… Aber Achtung: Hier verbirgt sich kein Feel-Good-Movie rosarotem Happyend, im Gegenteil. „Girl“ bleibt sehr ehrlich und nimmt seinen Gegenstand ernst. Dhont hat mit seinem Hauptdarsteller Victor Polster einen Glücksgriff getan, der es auf unwahrscheinlich beeindruckende Weise schafft, sich in die Figur und ihr Seelenleben einzufühlen.

Neben diesen eindrucksvollen Filmen gibt es natürlich auch Flops. Da ist zum Beispiel „High Life“ von Claire Denis, die sich hier an ihren ersten Sci-Fi-Film wagt und dafür Stars wie Juliette Binoche, Robert Pattinson und Lars Eidinger verpflichten konnte; leider ist das klaustrophobische Kammerspiel um eine Gruppe Strafgefangener, die als Versuchskaninchen ins Weltall geschossen werden, bestenfalls noch „ganz okay“ zu nennen: Anstrengend verquaste Dialoge treffen auf krude Masturbationsszenen, die aber nicht einmal mehr schockieren können, ansonsten viel Leere und Langeweile. Wenig überzeugen kann auch das Psychodrama „Der Unschuldige“ von Simon Jaquemet: Protagonistin Ruth, als Tierärztin an chirurgischen Experimenten an Affen beteiligt, sonst Ehefrau und Mutter, die mit ihrer Familie Teil einer christlichen Sekte ist, leitet an Paranoia und Wahnvorstellungen. Eines Tages erfährt sie, dass ihr früherer Liebhaber Andreas nach einer langjährigen Haftstrafe wegen Mordes aus dem Gefängnis entlassen wurde, aber kurz darauf ums Leben gekommen sein soll – bis er dann plötzlich wieder vor ihr steht. Oder hat sich Ruth doch nur alles eingebildet? Hieraus hätte ein schöner Mindfuck-Film werden können, aber bis es zu dem frustrierend abstrusen Ende kommt, muss der Zuschauer das Stammeln, Schluchzen und Zittern der Hauptfigur erdulden, die durch die Handlung taumelt und eigentlich immer die falschen Entscheidungen trifft – bis dann auch der letzte Funke Sympathie für sie erloschen ist. Auch hier ein kräftiges Verrühren von Religion und Sex, so bekannt, so wenig originell.

Und was macht der Bereich Fernsehen? Hier zeigt das Film Fest Cologne unter anderem die Emmy-nominierte Serie „Killing Eve“ von Phoebe Waller-Bridge, in den Hauptrollen Sandra Oh und Jodie Comer. Die Serie beginnt vergleichsweise klassisch mit dem Setting „Jagen-und-Gejagt-Werden“. Die MI5-Beamtin Eve Polastri, die ihren Schreibtischjob satt ist, macht sich auf eigenen Faust an Ermittlungen: Sie ist der gewieften Auftragskillerin Villanelle auf der Spur, die sich quer durch Europa mordet, aber bislang noch nie gefasst wurde. Polastris Alleingang wird schnell entdeckt und noch schneller wird die Beamten gefeuert, nur, um gleich wieder für eine geheime Ermittlungskommission wieder angestellt zu werden, der sie vorsitzen darf. Im Katz-und-Maus-Spiel entwickeln Verfolgerin und Verfolgte bald eine Faszination für die andere. Sicher ist die Serie nicht wahnsinnig tiefgehend, aber überraschend witzig und leichtfüßig, davon hat man Lust, mehr zu sehen.

Tag 3 des Festivals ist vorbei, worauf freuen wir uns noch? Zum Beispiel auf die Mini-Serie „The Forth Estate“, der die New York Times auf der Berichterstattung im ersten Amtsjahr von Donald Trump begleitet. Vielversprechend scheint auch Lars von Triers neuer Serienkiller-Film „The House that Jack Built“ zu sein, oder „Suspiria“, der Horrorklassiker von Dario Argento aus dem Jahre 1977, der nun von Luca Guadagnino mit Tilda Swinton und Dakota Johnson neu verfilmt wurde. Gruselkino zu Schmuddelwetter, das passt doch.

Film Festival Cologne

Noch bis zum 12. Oktober 2018
Tickets 7 Euro; Festivalpässe für 5, 10 oder 15 Vorstellungen zum ermäßigten Preis
Weitere Informationen und Programm

Film Festival Cologne 2018 Trailer


Abbildungsnachweis:
Header:
Galerie:
Filmstills aus:
- Cold War
- Las Herederas
- Ray & Liz
- Girl (copyright Menuet)
- High Life (copyright Pandora-Alcatraz)
- Der Unschuldige
- Killing Eve

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