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„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ Foto Hans Joerg Michel

Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) glaubte nicht an die Liebe. Für den genialen Autor und Regisseur gab es nur Qual und Leidenschaft, Abhängigkeit und Ausbeutung. Seine negative Weltsicht goss er 1971 in das homosexuelle Kammerspiel „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Martin Kušej inszenierte das skandalumwitterte Stück am Münchner Residenztheater als furiosen Schau-Kampf bis in den Irrsinn. Nun war es beim Hamburger Theater Festival auf Kampnagel zu sehen.

Wenn die Zuschauer im Gänsemarsch an den Sitzreihen vorbei auf die Hinterbühne geführt werden, rundherum um einen Kasten mit semitransparenten Scheiben sitzen, der das eigene Bild und das der Sitznachbarn spiegelt, dann schleicht sich schon vor der Aufführung ein leichtes Grauen ein. Dieses Grauen sollte im Laufe der Passion der Petra von Kant nicht weichen. Wie durch ein Vergrößerungsglas können die Zuschauer die Gefühlswallungen der exzentrischen Modeschöpferin in diesem Glaskäfig studieren, einer amour fou, die alle Spielarten durchdekliniert, von himmelhochjauchzender Leidenschaft bis zum rasenden Schmerz. Zwischen den Spotlight-artigen Szenen erlischt das Licht und der Glaskasten wird immer wieder zum Spiegelbild der Zuschauer wird. Schon klar, wir sitzen alle in irgendwelchen Käfigen, in kleineren oder größeren. Dieser hier ist ein hermetisch abgeschlossener Raum, gleißend hell beleuchtet. Assoziationen mit einem Aquarium kommen auf, besser noch: mit einem Terrarium. Ein Terrarium mit Laborcharakter, klinisch rein, ausgelegt mit hunderten, säuberlich aufgereihten transparenten Glasflaschen. Ein gefährlicher Parcour, zerbrechlich und verletzend wie die ungleiche Liebe zwischen diesen Frauen, die man hier wie Versuchstierchen beobachtet. Grazile unberechenbare Wesen auf Stilettos, die über und zwischen den Glasmienen herumstaksen, herumhüpfen, herumtorkeln, sich mit weit gespreizten Schenkeln raubtierhaft belauern, bis sie sich schließlich zerfleischen. Es ist nur die Frage, wer wen wann frisst und was am Ende übrig bleibt.
Schon im Foyer war Fassbinders „amour fou“ Gesprächsstoff vieler Silberhäupter, die Margit Carstensen als Petra von Kant und die wunderschöne, blutjunge Hanna Schygulla als ihre Geliebte Karin Thimm noch vor Augen hatten. Fassbinder hatte den Film 1972, ein Jahr nach seinem gleichnamigen Theaterstück herausgebracht. Ein „virtuos inszeniertes Melodram… in bewusst künstlich-kitschigem Stil“, wie es im Lexikon des internationalen Films heißt.

petra von Kant Foto Hans Joerg MichelKitschig ist Martin Kušejs Inszenierung nicht. Aber die Künstlichkeit und bürgerliche Dekadenz, die Fassbinders Film (unter anderem) in gewagten Pailletten-Kleidern à la Asta Nielsen versinnbildlicht, kann Kušej noch toppen, indem er das Luxusappartement ins Surreale dreht, unglaublich starke Bilder in einem Raum entwirft, der auch als Kunstinstallation Furore machen könnte (Bühne Annette Murschetz). Bis Petras Freundin Sidonie (Michaela Steiger) im schrill-bunten Outfit einer Puffmutter auftritt, dominiert minimalistisches Schwarz-Weiß die Szene.
Der Auftakt erinnert an Fotos des Erotik-Meisters Nobuyoshi Araki: Petras Bedienstete Marlene (hinreißend in ihrer stummen Rolle: Sophie von Kessel) hängt als gefesseltes Bondage-Girl mit verbundenen Augen und Knebel im Mund von der Decke. Stärker lässt sich totale Unterwürfigkeit, die geradezu sklavische Hingabe des Mädchens für alles wohl kaum zum Ausdruck bringen. Marlene gehört zum Inventar der Leading Lady der Modewelt. Spricht nicht, zeigt keine Gefühle, lässt sich anschnauzen, demütigen, rumkommandieren. Doch sie behält stets ihre Würde. Marlene verkörpert das, was Petra in Bezug auf ihre Geliebte Karin zu spät begreift: „Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern“. Als sie es erkennt, ist der Boden längst ein Trümmerfeld, ein Berg weißer Matratzen überdeckt die zerschlagenen Flaschen, das Terrarium schimmert grünlich-morbid. Und wieder hängt Marlene an der Decke – hat ihre Chefin verlassen. Diesmal für immer. Und Petra von Kant, dem Wahnsinn nah, richtet zum ersten Mal keinen Befehl, sondern eine Bitte an sie: „Erzähl mir aus Deinem Leben…“

Bibiana Beglau zeigt als Titelheldin Petra von Kant alle Facetten ihrer Schauspielkunst und Sprachgewalt, vom herrischen Star bis zum verzagt-kleinlauten Mädchen. Die hysterische Kreative nimmt man dieser Ausnahme-Schauspielerin sofort ab. Die coole Geschäftsfrau dagegen nicht. Es schien als müsste Beglau – zumindest an diesem Abend – ihre Rolle erst finden, als probiere sie aus, welcher Art ihre Petra von Kant nun sein sollte. Die Schwankungen zwischen kindlichem Wispern und herrischem Zorn, die laute Wut auf Exmann Frank und die stille Trauer über den ersten Mann und Vater der Tochter Gabriele (wunderbar natürlich Marina Blanke) wirkten so schnell und extrem, dass man schon anfangs an der Zurechnungsfähigkeit dieser Person zweifelt. Das ändert sich in dem Moment, in dem Karin Thimm erscheint. Das bildhübsche Model hat zwar in Australien noch einen Mann, will aber nun in Deutschland Karriere machen. Andrea Wenzl spielt Karin äußerst lasziv im bauchfreien Lederdress, dabei von Anfang an prollig und berechnend. Karin weiß um ihre Wirkung auf Petra und schlägt aus ihrem Körper skrupellos Kapital.

Keine Frage: Bibiana Beglau und Andarea Wenzl sind ein hinreißendes Paar. Ihre leidenschaftlichen Liebesszenen, die durchaus pornografischen Charakter haben, sind atemberaubend. Doch bei aller Raserei, bei allem brennenden Furor, in den sich Beglau als betrogene und verlassene Liebende immer glaubhafter und bis zur Erschöpfung hineinsteigert – es fehlt hier etwas. Es fehlt die Unschuld. Es fehlt die unschuldige Ausstrahlung einer Hanna Schygulla. Die bezaubernde, verzaubernde Ausstrahlung eines vermeintlichen Engels, der sich als teuflisch scheinheilig erweist. Das ist die eigentliche Tragik dieser Liebe, das macht die Tränen der Petra von Kant so bitter. In diesem Fall hat sich eine Modelady in ein Luder verliebt, das war leider von Anfang an klar. So steht man am Ende zwar mitgenommen da, doch mitleidslos, ganz so, wie die wunderbare Elisabeth Schwarz, die als Petras Mutter nur hilflos sagt: „Jeder ist einsam ohne Gott.“ Doch wem soll das jetzt helfen?

„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“

Eine Produktion des Residenztheaters München, eine Kooperation mit Kampnagel
Fr., 5. Oktober 2018, Beginn 19:30 Uhr
Auf Kampnagel, K6, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg
Mit: Bibiana Beglau, Elisabeth Schwarz, Marina Blanke, Michaela Steiber, Andrea Wenzl, Sophie von Kessel
Regie: Martin Kušej, Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Heidi Hackl, Musik: Jan Faszbender, Licht: Tobias Löffler, Dramaturgie: Andreas Karlaganis
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:
Fotos: Copyright: Hans Jörg Michel

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