Bildende Kunst
Ausstellungsansicht. Foto: Ulrich Perrey

Denkt man an die Bildhauerei des Surrealismus, denkt man an Hans Arp, Constantin Brancusi, Max Ernst, Alberto Giacometti, Joan Miró oder Marcel Duchamp – an Männer.

 

Im Bucerius Kunst Forum rückt nun die Ausstellung „In Her Hands“ drei Bildhauerinnen des Surrealismus ins Rampenlicht, Die Tatsache, dass sie noch nicht Kunstgeschichte schrieben, hat nur einen Grund: Es sind Frauen.

 

„Natürlich waren die Frauen wichtig – als unsere Musen. Sie waren keine ‚Künstlerinnen.‘“ Vielleicht war es dieser Satz des surrealistischen Künstlers Roland Penrose, der Kathrin Baumstark, seit 2022 Direktorin des Bucerius Kunst Forums, so empörte, dass sie sich vornahm, das Gegenteil zu beweisen und die hervorragenden Werke wenig bekannter Künstlerinnen aus ihrem Schattendasein zu holen. Das komplette Jahr 2023 hatte sie „Genialen Frauen“ gewidmet. Malerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts ebenso, wie der Künstlerin Gabriele Münter, Weggefährtin von Wassily Kandinsky und Mitbegründerin der Gruppe „Blauer Reiter“. Oder der Fotografin Lee Miller, die heute – neben dem Spielfilm „Die Fotografin“ (2023) auch dank der fulminanten Ausstellung im Bucerius Kunst Forum – weitaus bekannter ist als ihr ignoranter Ehemann Penrose.  

 

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Gemeinsam mit den beiden Kuratorinnen Katharina Neuburger und Renate Wiehager präsentiert Kathrin Baumstark nun das erste Mal drei hochkarätige, in Deutschland weitgehend unbekannte Bildhauerinnen: Die Dänin Sonja Ferlov Mancoba (1911–1984), die Brasilianerin Maria Martins (1894–1973) und die Schweizerin Isabelle Waldberg (1911–1990).

Der Ausstellungsraum am Alten Wall ist zum ersten Mal vollständig geöffnet, die Seitenfenster fluten die zumeist kleinen und mittelgroßen Plastiken (überwiegend Bronzen) und skulpturalen Ensembles mit Tageslicht, so dass man auf den ersten Blick die erstaunliche Wahlverwandtschaft der drei Künstlerinnen erkennen kann. Alle drei waren zu Lebzeiten durchaus erfolgreich und in großen Ausstellungen vertreten, erhielten etliche wichtige Auszeichnungen und Aufgaben, auch sind sie heute noch in ihren Heimatländern bekannt. Im Gegensatz zu den anfangs genannten Künstlern gehören sie (bislang) jedoch nicht zum sogenannten „Kanon der Moderne“. Dabei stehen ihre Werke denen ihrer Kollegen in nichts nach.

 

Maria Martins O canto do mar 1952 Privatsammlung

Maria Martins: (Links) L'impossible, Guß nach dem Original von 1946, Fundação Itaú, São Paulo. (Rechts): O canto do mar, 1952, Privatsammlung. Alle: © Estate of Maria Martins, © Fotos: Vicente de Mello

 

Wie die gesamte europäische Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren auch die drei Frauen fasziniert von außereuropäischen Kulturen, insbesondere von afrikanischer Kunst. In allen drei Oeuvres finden sich abstrahierte Masken und archaisch anmutende, amorphe Figurationen wieder. Die spirituell anmutenden Wesen von Sonja Ferlov Mancoba sind zum Teil stark komprimiert, das facettenreiche Werk von Isabelle Waldberg changiert zwischen blockhaft-schweren Bronzeplastiken und filigranen Konstruktionen aus Buchenholzstäben oder Eisen, die von den Seekarten aus Muscheln und Fasern der indigenen Südsee-Bevölkerung inspiriert sind. Maria Martins wiederum rückt afrobrasilianische Mythen und das Thema Sexualität in den Vordergrund. Als Gattin eines brasilianischen Botschafters ist sie die schillerndste Persönlichkeit in diesem Reigen, war selbst Sammlerin präkolumbianischer und afrobrasilianischer Artefakte, war international auf wichtigen Ausstellungen vertreten und baute die Biennale von Sao Paulo mit auf. 2012 waren ihre Arbeiten auf der Documenta 13 zu sehen, auch das Hauptwerk der Hamburger Schau: Die raumgreifende Bronze „The Impossible“, ein ineinander verzahntes, stacheliges Paar, das hervorragend die Hassliebe zwischen Mann und Frau, den unauflösbaren Geschlechter-Clinch verkörpert.  

 

Es lohnt sich sehr, den Katalog über die bewegten Lebensgeschichten der drei Künstlerinnen, insbesondere während des Zweiten Weltkrieges, zu lesen. Ob sie Kontakt untereinander hatten, ist nicht belegt, doch sie haben sicher voneinander gewusst. Ferlov Mancoba und Waldberg studierten zeitgleich in Paris (an unterschiedlichen Akademien), alle drei waren innerhalb der internationalen Surrealisten-Szene, auch im US-Exil, bestens vernetzt. Martins und Waldberg stellten in der Pariser Galerie Maeght 1947 sogar gemeinsam aus – kuratiert von Marcel Duchamp, den mit beiden Künstlerinnen ein zeitweiliges Liebesverhältnis verband. Sein Bronzekopf auf einem Schachbrett mit zwei kleinen (weiblicher?) Figuren, Isabelle Waldbergs Reminiszenz an ihren Freund und Mentor, ist vielleicht auch eine Anspielung darauf, wie geschickt Duchamp seine Frauen über das Schachbrett des Lebens zu dirigieren vermochte.


„In Her Hands“, Bildhauerinnen des Surrealismus

Zu sehen bis zum 1. Juni 2025, im Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12. In 20457 Hamburg.       

Öffnungszeiten: täglich 11–19 Uhr, donnerstags 11–21 Uhr

Sonderöffnungszeiten: Karfreitag 11–19 Uhr, Ostersonntag 11–19 Uhr, Ostermontag 11–19 Uhr, Tag der Arbeit 11–21 Uhr, Pfingsten 11–19 Uhr, Christi Himmelfahrt 11–21 Uhr

Es ist ein Katalog erschienen im Hirmer Verlag mit Beiträgen von K. Neuburger und R. Wiehager

Text: Deutsch, 176 Seiten, 151 Abbildungen, 22,5 x 28 cm, gebunden

ISBN: 978-3-7774-4494-9


Die Ausstellung wird gefördert von der Hapag-Lloyd-Stiftung

Weitere Informationen (BKF)

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