Meinung

Wer nicht bereits im frühesten Kindesalter das Violinspiel zu erlernen beginnt und also auf die diversen Schwierigkeiten, die nicht nur dieses Saiteninstrument dem sich ihm Nähernden bereitet, sich besinnt, mithin seine praktische aber auch theoretische Aufmerksamkeit auf das zu Bewältigende lenkt, wird als erstes auf die hochgradige Vertracktheit des Fingersatzes aufmerksam.

Und das bereits in der grundlegenden ersten Lage. Was es bedeutet, die über einen längeren Zeitraum verinnerlichte Relation zwischen dem Notenbild und der Greifhand in die höheren Lagen zu transferieren – welcher Note entspricht in ferneren Gefilden die Stelle auf dem Griffbrett?, womit das mühsam Erlernte als so gut wie nicht geschehen vorübergehend wieder ins zweite Glied des Interesses rückt –, davon schweige ich an dieser Stelle.

 

Obwohl ich als Autodidakt in relativ hohem Alter mit zeitlich arg begrenzter Erfahrung in noch vergleichsweise jungen Jahren – und zwar unter Anleitung eines etwas besonderen, da nicht nur zu verbaler Gewalttat neigenden Geigenlehrers – davon ein Lied singen kann, was es bedeutet, die Höhen der drei niedriger gestimmten Saiten zu erklimmen, und aus der Höhe der einen auf die Höhe oder Tiefe, je nachdem, einer anderen zu wechseln…

 

Bevor sich aber diese Klippen vor dem Educandus auftun, merkt er ganz schnell, was für eine hochgradig asymmetrische Angelegenheit das Geigenspiel ist. Das meint, dass die Aktivitäten der rechten Streichhand schlechterdings nichts mit dem zu tun haben, was die linke Greifhand auf dem Griffbrett vollführt. Wobei, kleiner Trost, immerhin anzumerken ist, dass der Rechtshänder vermutlich der irrtümlichen Meinung aufsitzt, dass die ungelenke linke Hand vor nicht zu bewältigende Probleme gestellt ist, wenn sie sich daran machen soll, ihre akrobatischen, sinnverwirrenden Bewegungen auf dem Griffbrett zu vollführen. Weit gefehlt! Beim Violinspiel macht man die unwillkürliche Erfahrung – auf die man, weil sie eine unwillkürliche ist, deswegen auch nicht extra reflektiert –, dass die linke Hand nicht weniger tauglich ist für das, was ihr beim Geigenspiel abverlangt wird. So stümperhaft sie sich zunächst auch auf ihrem ihr angestammten Terrain bewegen mag…

 

Mit all dem ist der interessierte Adept bereits längst und immer wieder aufs Neue bei jedem, womöglich täglichen, Anlauf heillos überfordert, was mit Sicherheit zur Folge hat, dass weit über die Hälfte derer, die sich dieser Mammutaufgabe zu stellen beschlossen haben, nach vermutlich einem eher kürzeren Zeitraum das Weite suchen und die Flinte ins Korn werfen. Egal welchen Alters die den Anforderungen nicht Gewachsenen auch sein mögen. Es sei denn, das strenge Auge der Erziehungsberechtigten lässt den keimenden Fluchtgedanken wenn nicht verstummen, so doch sich in einen geheimen Winkel des uneingestandenen und darum umso intensiver nagenden Abscheus verkrümeln…

 

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Anna Agafia mit Violine. Foto: Larsen Strings, PR/AA

 

Das alles klingt wenig erbaulich, ich weiß. Und dennoch, es gibt sie, die lichten Momente eines Quantensprungs im Bewältigen des schwer zu Bewältigenden hinsichtlich des täglichen Rumfuhrwerkens auf diesem delikaten Saiteninstrument. Das betrifft bei mir die Einsicht, dass man beim Erweitern seines virtuosen Horizonts nie die Streichhand aus den Augen lassen und verlieren sollte. Denn der zu perfektionierenden Geschmeidigkeit und Flexibilität der Greifhand korrespondiert eine ganz anders geartete Geschmeidigkeit der bogenführenden Hand. Beziehungsweise des Handgelenks in seiner unglaublich erweiterbaren feinfühligen Schmiegsamkeit. Denn dessen geschmeidige Beweglichkeit ist ganz entscheidend dafür, dass, erstens, das sprichwörtliche Kreischen und Kratzen keine Chance hat, zweitens, das zittrige Auf- und Ab des klappernden Bogens unterbleibt beziehungsweise unter Kontrolle gebracht wird. Drittens schließlich bewirkt diese Leichtigkeit des handgelenkgestützten Hin und Hers das bekannte spielerische Schweben, das diesem Instrument seine ganz besondere, unverwechselbare Note verleiht und es zu einem audio-visuellen Erlebnis werden lässt. Jedenfalls für den, der zu sehen und zu hören versteht. Also eine Ahnung davon hat, was es bedeutet, dieses Instrument nicht zu beherrschen, sondern sich ihm hinzugeben und dabei ganz in ihm aufzugehen, sich in seinem Wohlklang spielerisch zu verlieren.

 

Das alles ist mir unlängst beim YouTube-gestützten Lauschen auf das Spiel der jungen dänischen Geigerin Anna Agafia Egholm – in ihrem Zunamen vermute ich eine Anspielung auf Anton Tschechows Meistererzählung Agafja – erstmals zum vollen Bewusstsein gekommen. Und das, obwohl ich über ein gerütteltes Maß an Seh- und Hörerfahrung in diesem speziellen Kultursegment verfüge.

Ich habe diese Geigerin das weithin bekannte, schon damals, zu Lebzeiten des Komponisten eine Art Gassenhauer, und deswegen von seinem Schöpfer, wenn nicht verschmähte, so doch nicht besonders goutierte Violinkonzert Nr. 1 in G-Moll, op. 26 von Max Bruch zusammen mit dem jütländischen Vejle Symfoniorkester spielen hören.

 

Dabei wurde mir, ich weiß selbst nicht, wie mir geschah, schlagartig klar, wie die Streichhand ihre Bewegungen zu vollführen habe. In Wahrheit und nach einem Moment des Rechenschaft gebenden In-mich-Gehens war und bin ich mir freilich sicher, dass Anna Agafia Egholm tatsächlich über eine unvermittelt in die Augen fallende und sich geradezu visuell aufdrängende unvergleichliche Leichtigkeit, Geschmeidigkeit, um nicht zu sagen spielerisch-schwebende Eleganz verfügt, wenn sie mittels der bogenführenden Hand das Instrument zum schwerelosen Erklingen bringt.

 

Zwischen dem Wissen und danach Handeln liegen, wie bekannt, nicht selten Welten. Aber seit mir anlässlich des videogestützten hingegebenen Lauschens auf das Spiel dieser Geigerin ein Licht darüber aufgegangen ist, worin das Eigentümliche der sensitiven Beweglichkeit der Streichhand liegen sollte und faktisch liegt, mache ich tatsächlich täglich Fortschritte derart, dass mein Spiel mittlerweile spürbar etwas – eine Ahnung nur – von der spielerischen Leichtigkeit besitzt, die für die Geige charakteristisch ist oder sein sollte, wenn man sich wie auch immer frei und freier auf ihr links wie rechts zu bewegen gelernt hat und weiterhin lernt.


Anna Agafia Svideniouk Egholm

wurde 1996 in Kopenhagen, Dänemark, geboren und erhielt ihren ersten Violinunterricht im Alter von fünf Jahren. Nach ihrem zweijährigen Studium an der Royal Danish Academy of Music bei Alexandre Zapolski studierte sie an der Haute Ecole de Musique de Lausanne bei Svetlana Makarova. Seit 2020 ist sie „Artist in Residence“ an der Queen Elisabeth Music Chapel in Belgien in der Fachgruppe der Violinen unter der Leitung von Augustin Dumay. 2011 und 2014 erhielt Anna Egholm das Jacob Gades Stipendium, 2016 das Van Hauen Stipendium und 2017 das Léonnie Sonning Talentstipendium.

(Quelle: https://www.kronbergacademy.de/studium/alumni-projekte/alumni-projekte/person/anna-egholm)

 

Hinweis: Die Inhalte der Kolumne geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.



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