Meinung

Als der Intendant der Hamburgischen Staatsoper, Gustav Everding, 1975 überraschend seinen Wechsel nach München verkündete, kam es zu einer Sondersitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst der Hamburgischen Bürgerschaft.

Die Sitzungen waren seinerzeit noch nicht öffentlich, der Ablauf vertraulich. Den Parlamentsmitgliedern drohten Sanktionen, wenn sie Informationen nach draußen trugen.

 

Die Verhinderung seines Wechsels nach München

Der Senator für Wissenschaft und Kultur, der Zweite Bürgermeister Prof. Dieter Biallas (FDP) kam mit einer für Hamburg schlimmen Botschaft. Intendant Everding wolle John Neumeier, der schon in den wenigen Jahren an der Oper ein Star wurde, mit nach München nehmen. Und die Chancen, so Biallas wären nicht schlecht. Das liege an Everdings Nachfolger Christoph von Dohnanyi, zurzeit noch Intendant der Frankfurter Oper, an der Neumeier zuvor beschäftigt war. Dort hätte es zwischen beiden Differenzen gegeben. Christoph v. Dohnanyi wollte – so Biallas – dem Ballett nicht die gewünschten Aufführungstermine geben. Das sollte in Hamburg verhindert werden. Everding wurde mit einer Kontaktsperre zum Ballett-Chef versehen. Ab sofort sollte nur der Staatsoperndirektor Rolf Mares für Neumeier zuständig sein. Es war einer der selten Fälle, dass SPD, FDP und die CDU, also Regierung und Opposition, einig waren. Einmütige Zustimmung: der Ablauf blieb geheim. John Neumeier blieb Hamburg bis heute erhalten und es wurden feste Termin mit Everdings Nachfolger vereinbart.

 

Der Erfolg der West Side Story

Aber der Erfolg sprengte dann bei einer Ballett-Produktion dann doch den Rahmen.

Die Fassung des Musicals West Side Story (1957; Premiere in Hamburg 1978) von Leonard Bernstein war schon wegen den aus den USA importierten Gesangstars ein riesiger Erfolg und hielt mit der bekannten Verfilmung aus Hollywood (1961), die weltweit Maßstäbe setze mit. Man hatte noch den Gesang von Rita Moreno im Ohr, in Hamburg waren es Deborah Sasson Tony (Maria), Michael Licata (Bernardo) und Gillian Scalici (Jon Garrison Anita). Letztere begründete in Hamburg das Fundament in Sachen Musical-Ausbildung.

Leonhard Bernstein konnte sich aus Termingründen erst die fünfte Aufführung ansehen. Für John Neumeier ein Adelsschlag: der Komponist befand, dass diese Fassung seine Idee zu hundert Prozent erfüllt habe.

Alle Ballettabende waren ausverkauft. Der Zeitplan mit der von der Intendanz genehmigten Termine war erschöpft. Da bot sich das leerstehende Operettenhaus als Ausweichquartier an. Auch hier alle West- Side Story-Abende ausverkauft.

Ich meine, dass dieses Werk hätte ein Dauerbrenner für Hamburg werden können, wenn nicht die Renovierung des Deutschen Schauspielhauses angestanden hätte und das Operettenhaus nun für fünf Jahre zum Ausweichquartier des Ensembles unter Niels-Peter Rudolph wurde.

 

2003 Eine verpasste Chance

Meine Idee einer Wiederaufführung von John Neumeiers Version der West Side Story fand zwar ins Hamburger Abendblatt, scheiterte am sofortigen Widerstand der kommerziellen Musical-Szene.

Meine Idee fußte auf dem 9/11-Terroranschlag auf die Zwillingstürme in New York und einige Täter aus Hamburg. Wir konnten den USA dankbar sein, dass New York

nicht weiter auf diesen Umstand herum ritt. Der Inhalt des Werks war damals aktuell und ist es bis heute noch: Die Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen aus Quartieren mit unterschiedlichen Migrationshintergrund.

 

Für mich bot diese Musical-Fassung von John Neumeier nach dem Anschlag 9/11 die Möglichkeit einer kulturellen Brücke zwischen Hamburg und New York zu errichten. Beispielsweise durch jährliche Aufführungen in der Sommerzeit, eventuell auch als Open-Air-Veranstaltung. Ich fand, dass ein solches Angebot auch ein Magnet für Besucher aus den USA werden könnte. Meine Pressemeldung fand lange nicht in die Medien, bis das Abendblatt darüber berichtete. Der Kulturjournalist hatte sich drei Wochen auf die Suche noch John Neumeier gemacht und ihn in New York entdeckt und sprechen können. Neumeier sei für die Idee aufgeschlossen gewesen. Aber sofort meldete sich der Geschäftsführer des Operettenhauses zu Wort. Man wolle mit Neumeier nach dessen Rückkehr sprechen und eine Aufführung mit ihm planen. Mir gegenüber sagte man jedoch, auf keinen Fall werde es zu einer Aufführung der West Side Story kommen. Nun ist dieses klassische Werk schon meist als herausragend für die Branche erklärt worden. Und die Furcht einer Konkurrenz zu den Auftragswerken der Musical-Szene muss sehr groß gewesen sein.

Nun, das war am Ende das Ergebnis.

John Neumeier reagierte diplomatisch. Die Verhandlungen mit Leonard Bernstein wären vor der Premiere im Jahr 1978 schon nicht einfach gewesen. Mit der Erbengemeinschaft wäre es sicher noch schwieriger geworden.


Hinweis: Die Inhalte der Kolumne geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.

 

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