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In einer ingeniösen Studie fächert Lenz Prütting alle Aspekte des Lachens auf.

 

Unterscheidet sich der Mensch grundsätzlich vom Tier, oder ist er selbst nur ein Tier unter anderen, den „anderen Tieren“ zwar intellektuell überlegen, aber doch gleichartig und gleichwertig? Viele Jahrhunderte lang wurde nach dem einen Kriterium gesucht, das den Menschen vom Tier unterscheidet, aber heute ist das nicht mehr en vogue – es ist einfach nicht mehr üblich, einen Unterschied des Wesens zwischen Tier und Mensch zu erkennen.

 

In einer Sendung über die Intelligenz von Tieren („So schlau sind Tiere“) hat die Philosophin Anna Sophie Meincke den Mainstream zu diesem Thema in folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Es gibt diesen Unterschied nicht als einen substanziellen, sondern nur als einen des Grades, und das ist das, was wir ohnehin annehmen müssen, wenn wir uns im Kontext der Evolution betrachten. Wie Darwin schon sagte: Es kann gar nicht anders sein, dass wir viele Fähigkeiten finden bei anderen Tieren, die wir selbst haben.“

 

So recht ernstnehmen kann man diese Äußerung eigentlich nicht – schon deshalb, weil sie sich selbst als die Bestätigung einer vorgefassten Meinung zu erkennen gibt. Weil wir an die Evolution glauben („wir uns selbst im Kontext der Evolution betrachten“), finden wir deren Voraussetzungen überall bestätigt. In diesem Fall ist es das Dogma, dass sich Mensch, Tier und Pflanze nicht in ihrem Wesen unterscheiden, sondern dass alle Lebensformen fließend (gradweise) ineinander übergehen. Ein Buchtitel wie „Die Stufen des Organischen“ von Helmuth Plessner schreckt von vornherein ab: So etwas will heute niemand mehr lesen, denn von Stufen will niemand etwas wissen.

 

Auf isolierte Eigenschaften oder Fähigkeiten zu schauen – das ist etwas, das Plessner klug vermieden hat –, führt ohnehin nicht weiter. Denn fast alles, was Menschen können, können auch Tiere; und vieles davon sogar viel besser. Es gibt nur wenige Ausnahmen: Der Mensch wurde als das sprechende Tier definiert, denn Tiere können nicht sprechen. Aber auch diese Behauptung wird mehr und mehr angezweifelt und deshalb versucht, Affen mit der Hilfe von Tastaturen und Symbolen eine menschenähnliche Kommunikation beizubringen. Aber bis dahin, sich selbst als „ich“ anzusprechen, gelangte auch nicht der schlaueste Orang-Utan oder Schimpanse, so wenig wie zu dem Verständnis von anderen Vokabeln, die sich auf ihn selbst und seine Position beziehen (zum Beispiel „hier“ oder „jetzt“).

Tiere, so viel stand lange fest, können sich selbst nicht im Spiegel erkennen, bis endlich ein koreanischer Biologe mit Experimenten herausgefunden haben wollte, dass auch das nicht stimmte. Es stimmte dann aber doch, denn seine von ihrem schlechten Gewissen geplagten Studenten gaben zu Protokoll, in welcher Weise er die Ergebnisse manipuliert hatte, und so endete seine schöne Karriere etwas abrupt im Abseits.

 

Es gibt noch eine weitere Fähigkeit, die seit langem – sogar seit der Zeit des Aristoteles – als Alleinstellungsmerkmal des Menschen angesehen wird, und das ist das Lachen. Auch deshalb bot es sich dem Theaterwissenschaftler, Theaterpraktiker und philosophischen Autor Lenz Prütting an, sich mit dem Lachen und der buchstäblich uferlosen Literatur zu diesem Thema zu beschäftigen. Vor einigen Jahren schon gab er „Homo ridens“ heraus, ein gewaltig dickes Werk, in dem er nicht allein seine eigene Theorie vorstellt, sondern sich zusätzlich noch ausführlich mit der Forschung zum Lachen auseinandersetzt. Diesem Buch folgt jetzt eine abgespeckte Version, das die konzentrierte Fassung seiner Theorie enthält, aber nur wenige Ausflüge in die Geschichte der Lachforschung.

 

Sollte er seine Überlegungen mit einer Definition beginnen? Nein, das kam nicht in Frage. Auf den ersten Seiten seines Buches beruft sich der Autor auf Goethe, der in seinen „Maximen und Reflexionen“ gefordert hat, „nichts hinter den Phänomenen“ zu suchen: „sie selbst sind die Lehre.“ Auch auf Immanuel Kant hätte Prütting verweisen können, der 1763 in seiner „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze“ gezeigt hat, wie verkehrt es ist, eine philosophische Abhandlung mit Erklärungen (Definitionen) anzufangen. Vielmehr schlägt Kant, der in seinem Aufsatz die Philosophie scharf von der Mathematik unterscheidet, einen merkwürdig banalen Weg vor: Man soll zunächst einfach die Merkmale eines fraglichen Gegenstan­des aufzählen und „sichere Folgerungen daraus ableiten, ehe man die Definition desselben be­sitzt“.

 

Prütting Spielräume des Lachens COVERIn genau dieser Weise beginnt Lenz Prütting sein dreihundert Seiten starkes und damit im Vergleich zu seinem gewaltigen „Homo ridens“ deutlich verschlanktes Buch über das Lachen. Eingangs seiner Untersuchung zählt er insgesamt zwanzig „Aspekte“ auf, die er am Lachen beobachtete. Die Vielfalt dieser Beobachtungen verhindert es von vornherein, dass er sich, wie es zuvor sogar einem so bedeutenden Autor wie Henri Bergson geschehen ist, auf einen einzelnen Aspekt fokussiert und damit den in Frage stehenden Begriff bis zur Unkenntlichkeit verengt. Stattdessen gelingt es Prütting im Auftakt zu seinem Buch und dann ja auch in seiner Argumentation, die vielen Formen des Lachens ebenso zur Geltung zu bringen wie die verschiedenen Anlässe und Situationen, in denen wir lachen. Denn es gibt keinesfalls nur das Lachen über das Komische oder Lächerliche, sondern auch das Lachen aus Verzweiflung oder Erleichterung oder das verlegene oder das aggressive Lachen, um nur wenige andere Lachformen zu nennen.

 

Aber wenn auch alle diese Formen des Lachens verschieden sein mögen, so haben sie doch eine gemeinsame Basis – und das ist der Leib. Ein leibloses Wesen könnte nicht lachen. Deshalb analysiert Prütting, der eben diesen Zugang von Hermann Schmitz gelernt hat, das Lachen, indem er auf unseren Leib und seine Bewegungen achtet. Besonders das veränderte Ein- und Ausatmen wird von ihm akkurat geschildert. Dabei zeigt es sich zunächst, dass sich das Lachen in einer stotternden Weise vollzieht, und später wird sich herausstellen, dass dieses Stottern von zwei einander entgegenstehenden Impulsen verursacht wird.

 

Schon allein an dieser Beobachtung hängt sehr viel, weil Prütting mit der Hilfe seiner Analysen zeigen kann, dass Tiere wirklich nicht lachen, denn das eigenartig gehemmte und deshalb stotternde Ein- und Ausatmen beim Lachen findet sich bei keinem Tier – auch nicht bei Affen. Zunächst, weil ihr Kehlkopf anders gebaut ist (ein eigentlich ziemlich äußerlicher Grund), sodann, weil ihnen der von Plessner scharf gefasste Antagonismus fremd ist, das Widerspiel von Innen- und Außenaspekt, das die Grundlage bildet für die „Ambivalenz von Selbstbehauptung und Selbstpreisgabe“. Unsere einzigartige Fähigkeit, von außen auf uns selbst zu schauen – von Plessner „exzentrische Positionalität“ genannt – macht einen Unterschied auch zu unseren nächsten Verwandten im Tierreich aus, der eben nicht nur „gradweise“ ist, sondern substanziell. Zwischen dem intelligentesten Affen und jedem Menschen öffnet sich eine tiefe Kluft. Wären sie wie wir, könnten auch sie „ich“ sagen und auf sich selbst schauen. Oder sie könnten lachen.

 

Anhand einer Illustration aus einem Werk des Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt kann sich der Leser von der ideologischen Verbohrtheit vieler Theoretiker überzeugen: Einzelne Abbilder von einem hypothetisch angenommenen primitiven Säuger über Makake und Affe bis zum Menschen sollen die – selbstverständlich gradweise – Evolution des Lachens veranschaulichen – eine Evolution, für die es auch nicht den Hauch eines Beleges gibt, ja, die durch die Lachunfähigkeit der Affen direkt widerlegt wird.

 

Zwei andere leibliche Aspekte betreffen den Blick bzw. die Verweigerung des Blickkontaktes sowie, noch wichtiger, die Veränderung der Körperhaltung. Nicht umsonst sprechen wir davon, wir müssten uns vor Lachen biegen. Wer so lachen muss, verliert den aufrechten Stand, und dieser Verlust der Haltung ist für Prütting eine gute Gelegenheit, auf ein Phänomen zu sprechen zu kommen, das ganz ähnliche Konsequenzen nach sich zieht wie das Lachen – auf die Verlegenheit. Wenn wir uns einen Menschen anschauen, der sich beobachtet fühlt oder seiner Sache nicht länger sicher ist, „so stoßen wir sofort darauf, daß der Verlegene die generelle Tendenz zu einer konkaven Haltung zeigt, also die Tendenz hat, sich in sich selbst zurückzunehmen, sich geradezu in sich selbst ‚hineinzuschrauben‘, wenn er sich unter dem Blick des überlegenen Anderen buchstäblich windet.“

 

Es ist der „vertikale Impuls“, der für alle Überlegungen Prüttings von entscheidender Bedeutung ist. Wann und wie gewinnen wir ihn, und wann und warum geht uns unsere Haltung verloren? Wie man sieht – wie jeder von uns weiß – unter anderem, wenn wir uns schämen. Nur beiläufig sei darauf hingewiesen, dass allein zu diesem Thema in diesem Buch mehr Erhellendes zu finden ist als in dem seinerzeit sehr wohlwollend besprochenen „Der aufrechte Gang“ von Kurt Bayertz von 2012.

 

Von der Analyse der Scham kommt der Autor zu dem Kern seiner Überlegungen: Weil auch das Lachen mit dem Verlust der Haltung verbunden ist, aber allein Personen eine Haltung besitzen, ist das Lachen ihnen vorbehalten. Nun muss, wer die Haltung verlieren will, sie sich erst einmal angeeignet haben. Das gilt menschheitsgeschichtlich, aber lässt sich ebenso für unsere eigene, für unsere persönliche Entwicklung in Anspruch nehmen. Der kleine Mensch muss es erst lernen, sich aufrecht hinzustellen und sich als eine Person zu begreifen oder besser: sich selbst zu einer Person aufzurichten. Ganz beiläufig: Dabei verändern wir, wie Prütting zeigt, auch unsere Art des Atmens, denn Säuglinge, die auf dem Rücken liegen, kennen nur Bauchatmung, aber mit dem aufrechten Stand beginnen sie mit der Brustatmung. In diesem Moment vollzieht sich ein „Entwicklungs-Sprung“, und erst mit diesem Sprung ist die Voraussetzung für das Lachen gegeben.

 

In dieser Phase des Aufwachens und Hinstellens wird der kleine Mensch „lachmündig, weil er dabei und dadurch das personale Lachen erwirbt, also eine ganz neue Form des Lachens, zu der er vorher noch nicht fähig war.“ Man wird nicht von allein zu einer Person, sondern muss sich selbst dazu erziehen. Mit Blick auf die Phase der kindlichen Entwicklung, in der Säuglinge ein erstes Mal Fremde als Fremde wahrnehmen, spricht Prütting von der „Fremdelphase“. In ihr lernen wir es, uns anderen Personen entgegenzustellen. Prütting möchte deshalb nicht von der „Acht-Monats-Angst“ sprechen, wie es in der Literatur zu diesem Thema geschieht, sondern beobachtet vielmehr eine Trotzhandlung. In und mit ihr werden wir zu einer Person.

 

Hendrick ter Brugghen Bacchante with an Ape Google Art Project

Der Maler der lachenden Menschen: Hendrick ter Brugghen (1588-1629) Bacchante mit einem Affen, 1627, Öl auf Leinwand. Sammlung Getty Center, Los Angeles. Gemeinfrei

 

Prüttings Überlegungen sind so überzeugend, weil sie eine ganze Reihe verschiedener, den Menschen auszeichnender Aspekte zusammenführen und in ihrem Zusammenklang, in ihrem Ineinandergreifen erklären. In einer Rezension können gar nicht alle angesprochen werden – so spielt hier weder die Kritik des Autors an der Lach-Theorie der Psychoanalyse eine Rolle, noch werden seine Hinweise auf die Bedeutung des Lachens für das Theater aufgenommen. Es sind eben weder allein das Lachen noch der aufrechte Stand (so wichtig beide auch sein mögen), sondern es ist die Vielfalt des spezifisch Menschlichen, das in diesem Buch zur Sprache kommt – nicht allein in den Schilderungen, Analysen und Überlegungen des Autors, sondern auch in den zahlreichen, aus allen möglichen Gebieten stammenden Zitaten: aus der Dichtung von Homer über Shakespeare bis hin zu Brecht, aus der Bibel wie aus der philosophischen und psychologischen Forschung und endlich aus dem Leben des Autors. Es ist ein großartiges, uneingeschränkt empfehlenswertes Buch.


Lenz Prütting: Spielräume des Lachens. Eine anthropologische Studie

Königshausen & Neumann 2022.

306 Seiten

ISBN: 978-3826076459

 

Weitere Informationen (Homepage Verlag)

 

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