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Schöne Gedichte vom Segen und Fluch des Alters

Louise Glück hat bisher dreizehn Gedichtbände und zwei Essaysammlungen veröffentlicht. 2020 wurde sie mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Nur wenige ihrer Bücher sind bisher auf Deutsch erschienen, genauer gesagt, sind es zwei, „Wilde Iris“ und „Averno“ (Übersetzung: Ulrike Draesner). Nun ist Louise Glücks jüngstes Buch mit dem Titel „Winterrezepte aus dem Kollektiv“ wie die beiden Vorgängerinnen im Verlag Luchterhand erschienen. Dieser neue Lyrikband ist ein denkwürdiges lyrisches Alterswerk voll sprachlicher Schönheit. Er enthält 15 Gedichte, längere und kürzere. Original und Übersetzung (Uta Gosmann) befinden sich auf gegenüberliegenden Seiten. Das Buch nimmt uns Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit, auf eine Reise ins Innerste und lässt uns tief in die Gedankenwelt der amerikanischen, vielfach preisgekrönten Autorin eintauchen. Eindringen möchte man an dieser Stelle nicht sagen, wohl aber dies: es sind eindringliche Gedichte, die wir aufblättern.

 

Uta Gosman, selbst Lyrikerin, Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin, hält sich als Übersetzerin in diesem Fall dicht ans Original. Das nehmen einige Kritiker der Übersetzerin übel (z.B. im Beitrag Deutschlandfunk 16.12.21, Autor: Tobias Lehmkuhl). Mir hingegen hat gerade das gefallen. Wer hier Recht hat, möge jeder Leser, jede Leserin für sich entscheiden. Die neuen Gedichte der Literaturnobelpreisträgerin sind wunderbar schnörkellos. Sie bieten uns Lesern Raum zur Reflektion, Raum für eigene Gedanken. Und das ist gut so. Denn der Leser dichtet bekanntlich mit. „Sie (die Gedichte) wenden sich an ein Individuum, schwellen an zu einem Chor und weisen auf das große Ganze, das Kollektiv“, heißt es im Klappentext, „Lebensgeschichten sind in ihnen verborgen, Segen und Fluch des Alterns, die Kunst, einen Bonsai zu beschneiden, der Tod der Schwester, die Labsal der wärmenden Sonne, deren Helligkeit sich an den dunklen Schatten ermessen lässt, die sie wirft.“ Auch unsere Schatten, wärmende Sonnenstrahlen dichten wir mit…

 

Manch eines dieser Gedichte liest sich wie ein Märchen, manch anderes wie eine Geschichte aus längst vergangener Zeit, wie eine auferweckte, wiedererwachte Erinnerung. Das Lyrische ist überall in diesem Buch. Es ist mittendrin, versteckt sich nicht und muss doch und will immer wieder gesucht werden. Denn obwohl in leicht verständlicher Sprache verfasst, liegt Offensichtliches der Autorin fern – ebenso wie alles Verschnörkelte, Gedrechselte. Es ist genau diese klare Sprache, die uns gefangen nimmt. Als Beispiel diene hier ein kurzer Auszug aus dem Buch, das mit dem Titel „Gedicht“ beginnt.

 

Tag und Nacht kommen

Hand in Hand wie ein Junge und ein Mädchen

und halten nur ein, um wilde Beeren aus einer Schale zu naschen,

bemalt mit Bildern wie Vögel

– so der Anfang des Gedichts.

 

Und fast am Ende heißt es hier:

Und die Welt zieht vorüber,

alle Welten, eine schöner als die andere.

 

Im Original klingt das so:

And the world goes by,

all the worlds, each more beautiful than the last.

 

Ja, es sind schöne Welten, die hier an uns vorüberziehen und uns beglücken.

Im Langgedicht „Die Verleugnung des Todes“ (The denial of death) wird im ersten Teil von einem Reisetagebuch erzählt und im zweiten Teil vom Pass der Ich-Erzählerin, den diese in einem Gasthaus liegengelassen hat, weswegen das nächste Hotel sie zunächst nicht, dann aber doch aufnimmt. Dort gibt es einen Concierge, einen Portier, den wir getrost als Petrus an der Himmelstür erkennen dürfen.

 

Sei nicht traurig, sagte er. Du hast deine eigene Reise begonnen,

nicht in die Welt wie deine Freundin, sondern zu dir selbst und deinen Erinnerungen.

[…] Alles ist im Wandel, sagte er, und alles ist verbunden.

Auch kommt alles wieder, doch ist, was wiederkommt, nicht,

was ging – […]

Ich spürte,

etwas Wahres war verkündet worden,

und obwohl ich es lieber selbst verkündet hätte,

war ich froh, es zumindest gehört zu haben.

 

Louise Glueck Winterrezepte COVERIm dem Buch titelgebenden Gedicht „Winterrezepte aus dem Kollektiv“ heißt es:

Das Buch enthält nur Rezept für den Winter, wenn das Leben schwer ist. Im Frühling kann jeder ein feines Mahl bereiten.

Im Original klingt das so:

The book contains

only recipes for winter, when life is hard. In spring

anyvone can make a fine meal.

 

Wie gesagt, die Übersetzung bleibt dicht am Original, und mir gefällt`s. Im folgenden Gedicht, in der „Winterreise“, ist der Weg „vom Traum zur These“ kaum noch auszumachen, ist die Linie dazwischen ähnlich jener Linie, „aus der unsere Worte entstehen“. Hier trinkt die Ich-Erzählerin mit ihrer Schwester auf ihrer Lieblingsbank „draußen vor dem Gemeinschaftsraum“ ein Glas Gin ohne Eis.

 

Sah aus wie Wasser, so dass die Krankenschwestern

dir zulächelten, wenn sie vorbeigingen,

zufrieden, wie gut du dich hydriertest. […]

Wir amüsierten uns prächtig beim Altwerden,

alles topp, wie die Krankenschwestern immer sagten,

auch wenn wir merkten,

dass die ersten Flocken fielen,

nicht wirklich fielen, sich eher verwoben von Seite zu Seite,

am Himmel hin und her gleitend –

 

Diese Altersweisheit, diese leichte Wehmut und Schwermut, aber auch die Leichtigkeit und Heiterkeit ist es, die uns Lesern das Lesen dieser Gedichte so leicht macht. Hier finden wir uns wieder, ohne uns zu verstecken. Hier dürfen wir sein wie wir sind und im Einklang sein mit der Dichterin. Sie ist uns eine Freundin, von einer solchen ist auch die Rede in dieser „Winterreise“.

Alle Stunde etwas drehte meine Freundin sich mir zu und winkte,

zumindest schien es mir so, wobei

das Dunkel sie fast verschluckte.

Trotzdem gab mir ihre Gegenwart Kraft:

Einige von euch werden wissen, was ich meine.

 

Ja, wir wissen, was Louise Glück meint. Die Dichterin umarmt uns, ist unsere Freundin. In ihrer Nobelpreisrede, die coronabedingt nicht live gehalten wurde, sondern schriftlich abgefasst, schreibt Louise Glück: „Ich denke, dass die Schwedische Akademie mir den Preis gab, weil sie das Intime, die private Stimme würdigen wollte.“ Genau das ist es: Das Intime, die private Stimme geht uns nahe, trägt uns, nimmt uns mit.

So auch in dem Gedicht „Eine endlose Geschichte“, in der es heißt:

Wir alle in diesem Zimmer warten

immer noch darauf, verwandelt zu werden. Darum suchen wir nach der Liebe.

Wir suchen nach ihr ein Leben lang,

selbst wenn wir sie schon gefunden haben.

 

Wir sind im Winter. Wir frieren nicht. Nicht beim Lesen dieser Gedichte. Und das ist gut und schön. Gerade jetzt, in diesem Winter…


Louise Glück: Winterrezepte aus dem Kollektiv

Deutsche Erstausgabe, Verlag Luchterhand

Aus dem Amerikanischen von Uta Gosmann

Hardcover mit Schutzumschlag, 80 Seiten, 15,0x21,5 cm

Auch als eBook epub

ISBN: 978-3-630-87680-1

Leseprobe

 

Weitere Informationen zur Autorin

 

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