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Teresa Präauers erster Roman „Für den Herrscher aus Übersee“ wurde 2012 mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Ihr zweiter Roman „Johnny und Jean“ war 2015 für den Leipziger Buchpreis nominiert. Der aktuelle, Teresa Präauers dritter Roman, trägt den Titel „Oh Schimmi“.
Hierbei handelt es sich um das Buch zum Text, den die Autorin beim Bachmannwettbewerb 2015 vortrug und dort vom Publikum gefeiert wurde. Dieser neue Roman handelt von einem zuckerversessenen Spinner, der sich – kurz gesagt - zum Affen macht. „Oh Schimmi“ hat gute Chancen, zum Bestseller aufzusteigen. Diesen Eindruck belegte auch der kräftige Applaus der Zuhörer bei der Buchvorstellung im Rahmen der „LiteraTourNord“ im Gewölbekeller des Lübecker Buddenbrookhauses.

Teresa Präauer, Autorin und Bildende Künstlerin, hat Malerei und Germanistik studiert. „Diese Mischung ist ihr ganz wichtig“, betonte Professor Dr. Hans Wißkirchen, Literaturwissenschaftler und Lübecks Museumsdirektor, gleich zu Beginn der Lesung. „Ich habe im Kunststudium gelernt, die Grenzen des Schauens zu erweitern“, ergänzte Teresa Präauer. Das gilt auch für ihr schriftstellerisches Werk. Ihr schreibendes Schauen erstreckt sich auf das Kleine und Große, auf das Primitive und Erhabene. Doch worauf genau schaut sie in diesem Roman? „Es geht um das Tier im Menschen, das Menschliche im Tier“, so Wißkirchen. Das Tier im Menschen, das Menschliche im Tier.

Bildende Kunst und Literatur sind für Teresa Präauer eng miteinander verbunden. So zeichnete sie das Postkartenbuch Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken (Edition Krill 2009) und illustrierte das Bilderbuch Die Gans im Gegenteil von Wolf Haas (2010). Im Sommersemester 2016 hat die österreichische Autorin und bildende Künstlerin Teresa Präauer die Samuel-Fischer-Gastprofessur an der Freien Universität Berlin inne. Ihre Antrittsrede trug den Titel „Tier werden“. Das Tierische also liegt ihr nahe. Doch: „Literatur wird nicht aus den Dingen der Welt gemacht, sondern aus Sprache“, erklärte Hans Wißkirchen bei der Lesung aus „Oh Schimmi“ im Buddenbrookhaus. Diesen Satz sage er häufig und gerne, hier aber gelte er ganz besonders. Wißkirchen lobte daher auch und vor allem die Radikalität, mit der dieser Anspruch an gute Literatur im Schimmi-Roman umgesetzt wird.

Oh Schimmi BuchumschlagVergnügt und knallhart zeigt sich in „Oh Schimmi“ die Lust am Sprechen, an Sprache, am Fabulieren. Neue Sprachbilder und Wortschöpfungen (americänistisch, grammatikalistisch, opponierbar, paradoxical, economicalisch, zoophobical usw.) blitzen auf. Ein rasanter Rhythmus trägt den gesamten Text, hebt und senkt ihn, spielt mit ihm, jongliert mit Kontrasten, formuliert mal Komik, mal Tragik, defiliert hin- und her zwischen deftigem Witz und heiligem Ernst, zwischen dümmlichem Frohsinn und unfassbarer Traurigkeit.

Ein Mensch macht sich zum Affen in diesem furiosen Werk. Schimmi Schamlos heißt der Held, der keiner ist, sondern ein überhebliches fernsehsüchtiges Monster, das nicht mit normalen Maßstäben zu messen ist. Seit einem Rodeo-Unfall als Kind, nun mannhaft behindert, lebt Schimmi im obersten Stock eines Appartements bei seiner überbesorgten, mit Blaufuchsfell und „Schtilettos“ bekleideten, halbseidenen Mutter. „Mama, Mutti, Mutter“ – so vielfältig benennt Schimmi diese in einem Atemzug – nervt den Sohn mit ständigen Anrufen auf dem Handy – mit Dschungelsound im Klingelton. Schimmi, der heldenhafte Antiheld, „körperlich frühreif, geistig unterentwickelt“, lebt in seiner Fantasiewelt. Die wird aus Tier- und Sexvideos im Fernsehen, sexistischen Blicken durchs Fernrohr auf die Nachbarinnen des gegenüberliegenden Hochhaustowers und Anrufen bei der Erotik-Hotline gespeist. „Fitamine“ sind ihm ein Greuel, der Zuckersüchtige stopft sich den Bauch lieber mit Marshmallows voll.

Unter seinem Bett liegt eine gefesselte Frau: Maguro Mitarbeiterin eines Nagelstudios. Auch sie muss von und mit Marshmallows leben, besser gesagt: überleben. Doch sie ist nur eine Nebenfigur. Schimmi kümmert sich vor allem um Ninni, die im Nagelstudio Maniküre und Pediküre genießt, eine Zigarette nach der anderen raucht - manchmal sogar mehrere gleichzeitig - und schwarze Zähne hat. Schimmi sieht seine Traumfrau, seine Königin allerdings mit ganz anderen Augen: „Ninni hat auf ihrem Thron gesessen, halb gelegen, die Augen geschlossen, und sie hat die Hände seitlich rechts und links über die Stuhllehne hängen gehabt. Eigentlich hing sie dort als Ganze, die Haut zwar jung und rosig, das Leben aber, ehrgeizlos, bereits wie entwichen aus ihrem Inneren.“ (Seite 12) Die Liebe zu dieser Göttin, die keine ist, macht Schimmi im wahrsten Sinne des Wortes zum Affen. Im Affenkostüm aus „Daktari“, entliehen vom Kostümverleih, macht er sich auf den Weg durch die Großstadt, zunächst in Richtung Supermarkt, um Affenfutter zu kaufen. „.. die Leute kreischen. Sie sind der Natur so entfremdet, dass sie beim Anblick eines Affen im Supermarkt gleich an Überfall denken.“ (Seite 185)
Und dann sitzt er wieder in seinem Ford Escort, um möglichst bald bei seinem Girl zu sein. „So schau ich zum Fenster hinaus: Was grau gewesen wird jetzt bunt.“ Wie bunt es plötzlich geworden ist im Asphaltdschungel, wo just der Asphalt aufgebrochen ist und die nasse Erde sich emporwölbt, das ist phantastisch schön beschrieben: „Grüne Melonen sind auf den Boden gefallen, entzweigesprungen und rot, schwarze Kerne ploppen raus. Sonne, Regen, Sonne. Kokosnüsse hängen in den Bäumen, die jetzt Palmen sind, bunte Papageien fliegen dort. Ein Regenbogen legt sich übers Blau des Himmels, das gleißend ist, beinah ganz weiß.“ (Seite 188) So wie diese lyrische Textstelle gibt es viele in diesem sprachgewaltigen und gewalttätigen schillernden Buch. „Do-the-Monkey-Twist“ möchte man gemeinsam mit Schimmi singen oder rappen oder hip-hoppen und mit und für ihn hoffen, dass Ninni ihn erhört. Doch das ist leider nicht der Fall in diesem Liebesreigen, dieser Taugenichtsgeschichte, gemacht aus den Elementen, Bildern und Codes des 21. Jahrhunderts. Oh Schimmi! U-u-u!

„Schimmi, was willst du?“, fragt Ninni./ „Dich li-li-lieben“, sage ich. Mein Telefon klingelt. Dschungelmusik, schon wieder./ „Mutter, ruf mich nicht an, nein -, ja ich bin daheim, nein, bei keinem Mädchen. Was heißt Kreischen, welches Kreischen? Mutter, ich lege jetzt auf, ja, ich bin warm angezogen.“/ Das war natürlich nicht die Art von Dialog, die bei Ninni auf fruchtbaren Boden gefallen wäre. (Seite 195)

Teresa Präauer: „Oh Schimmi“
Wallstein Verlag 2016, Göttingen
ISBN 978-3-8353-1873-1
Gebunden, 204 Seiten.
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Teresa Präauer, geboren 1979, ist Autorin und bildende Künstlerin und lebt in Wien. Sie studierte Malerei und Germanistik in Salzburg, Berlin und Wien. Ihr Roman „Für den Herrscher aus Übersee“ wurde zur Frankfurter Buchmesse 2012 mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet. Im Herbst 2014 erschien der Künstlerroman „Johnny und Jean“, ausgezeichnet mit dem Droste-Literaturförderpreis und dem Förderpreis zum Hölderlinpreis 2015 und nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015. 2015 war sie als „Honorary Fellow in Writing“ im „International Writing Program“ an der University of Iowa, 2016 lehrt sie als S.-Fischer-Gastprofessorin am Peter-Szondi-Institut der FU Berlin, 2017 als Writer in Residence am Grinnell College in den USA. Teresa Präauer schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine zu Theater, Kunst, Literatur, Mode und Pop. Das Cover zum Buch „Oh Schimmi“ hat sie selbst gestaltet. (Quelle: Wallstein Verlag)


Abbildungsnachweis:

Buchumschlag, Wallstein Verlag

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