Kultur, Geschichte & Management

Charakteristisch für die Kaffeehauskultur um 1800 ist, dass im intimen Kreis der Zusammenkünfte Standesgrenzen keine Rolle spielten. In ungezwungenem Beisammensein diskutierte man über Fragen der Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik.

 

Unter Rahel Levin-Varnhagen von Ense erlebte die Kaffeehauskultur in Gestalt eines literarischen Salons um die Jahrhundertwende in Berlin ihren ersten Höhepunkt. An diesen halböffentlichen Orten wurde allerdings nicht bloß debattiert.

Kaffeehaus Kronen Cafe Berlin

Kronen-Cafe in Berlin Mitte, Postkarte um 1929. Gemeinfrei

 

Musikalische Darbietungen im Kammermusikambiente waren ein ebenso fester Bestandteil des Zusammenseins. Bereits Johann Sebastian Bach hatte ja mehrere Jahrzehnte zuvor gemeinsam mit seinen Studenten in Leipziger Kaffeehäusern musiziert. Und kein geringerer als Beethoven hatte im ersten Prater-Kaffeehaus aufgespielt. Seinen Höhepunkt erlebte die von Musik geprägte Kaffeehauskultur durch Johann Strauss (Vater) und Josef Lanner. Zumeist war ‚Populäres‘, zu dem getanzt werden konnte, im Angebot: Ländler, Quadrillen und natürlich auch Walzer.

 

1824 gab sich erstmals ein Streichorchester im Garten des Praterkaffeehauses die Ehre. Die Wiener waren von diesen musikalischen Darbietungen so begeistert, dass das Musizieren in Kaffeehäusern zur ständigen Einrichtung wurde. Auf wirklich hohem Niveau wurde allerdings lediglich im Kaffeehaus des Praters musiziert.

 

Kaffeehaus Prater Wien Museum Online

Gruß aus Rudolf Schneiders II. Kaffeehaus, k. k. Prater, 1901-1904, Verlag Andreas Rauschan, Wien Museum. Inv.-Nr. 205340, CC0

 

Die Grundstimmung im Fin de Siècle von etwa 1890-1918 war pessimistisch. So etwas wie eine kollektive Unsicherheit lag in der Luft. Die Grenze zwischen Schein und Sein schien sich zu verlieren. Todesahnungen, ganz so wie im Barock, hielten in die Kunst Einzug. Die Vergänglichkeit alles Lebendigen fand auch in der Musik ihren eigentümlichen Ausdruck. Die Grundstimmung der Kompositionen eines Gustav Mahler und eines Anton Bruckner war zutiefst pessimistisch, melancholisch und von nervöser Empfindsamkeit geprägt. Selbst die auf den ersten Blick komische Bruder-Jakob-Adaption in der Ersten Sinfonie Mahlers war, bei genauerem Hinhören, von verzweifelter Traurigkeit durchtränkt. Der Titan: ein Anti-Titan. „Jeder Himmelsstürmer findet seine Hölle.“ (Jean Paul)

 

Ohnehin lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass Mahler zusammen mit Wagner und Liszt der Wegbereiter der Neuen Musik gewesen ist. Vor allem Arnold Schönberg war von deren ausgesprochen chromatischem – die vorgegebene tonale Eineindeutigkeit differenzierenden – Vorgehen stark beeinflusst. Wenngleich er es, der ausgeprägten musikalischen Ordnungsliebe halber, die für ihn trotz allem und letztlich unverzichtbar war, nicht zuletzt auch mit Johannes Brahms, vor allem jedoch mit Johann Sebastian Bach hielt. Bei ihm entwickelte sich aus der Chromatik, einer Auflösungserscheinung der Tonalität, für eine relativ kurze Phase die Freie Atonalität. Weil in ihr, auf Grund der Auflösung jeglicher musikalischen Struktur, von einer irgendwie nachvollziehbaren kompositorischen Ordnung keine Rede mehr sein konnte, entdeckte Schönberg, auf der Suche nach einer neuen, nicht mehr tonal gebundenen Ordnung und Tonsprache, um 1921 die Zwölftontechnik oder das Komponieren mit zwölf, quasi mathematisch-logisch aufeinander bezogenen, streng gleichberechtigten Tönen: die dem Komponieren ein neues Tonmaterial erschließende Reihentechnik. Das Ungewohnte und geradezu Umstürzlerische dieser traditionelle tonale Ordnungsschemata rigoros hinter sich lassenden Komponierweise, die freilich lediglich an die Stelle einer als obsolet empfundenen, überlebten Ordnung eine neue setzte, hatte zur Folge, dass nicht allein die in der Summe laienhaften Zuhörer, sondern immer wieder auch die Musikkritiker in den Konzerten, in denen seine Musik gegeben wurde, überfordert waren und entsprechend gereizt und voller Ablehnung reagierten.

 

Um die Jahrhundertwende war das musikalische Repertoire in den Wiener Kaffeehäusern reich gefächert. Mozarts Streichquartette etwa waren genauso im Angebot wie die Frivolität leicht bekleideter Damen mit ihren Kapellen. Die sogenannte Wiener Moderne um 1900 und die Anfänge des Jungen Wien sind unauflöslich mit der Person Hermann Bahrs verbunden. Der Personenkreis, der sich im Café Griensteidl zusammenfand, bestand aus Schnitzler, Hofmannsthal, Beer-Hofmann, Salten, um nur einige wenige zu nennen. Hier tauschte man sich über literarische Neuerscheinungen und auch eigene, im Entstehen begriffene Sachen aus. Gespräche aus der Werkstatt, wenn man will. Das kulturelle Niveau in diesen Zirkeln war immens. Die Monatsschrift „Moderne Dichtung“ wurde zum Sammelbecken des Jungen Wien. Zunächst neigte man dem Naturalismus und Poetischen Realismus zu. An deren Stelle trat aber schon bald die Begeisterung für eine an Nietzsche/Wagner orientierte Décadence und den Symbolismus. Weil das Seelenleben und die Welt der Träume in den Fokus des Interesses rückten, gewann die Psychoanalyse Freuds Einfluss auf die Produktion der nicht bloß literarisch Produzierenden. Nachvollziehbar, dass der Erzaufklärer und bekennende Rationalist Karl Kraus den Irrationalismen der Literaten-Clique um Hermann Bahr rundweg ablehnend gegenüberstand. Es ist also kein Zufall, dass das Café Griensteidl immer wieder auch als Irrenhaus bezeichnet wurde, in dem Dichter und andere Künstler sich zu ihrem dekadenten Zeitvertreib zusammenfanden.

 

Kaffeehaus Cafe Griensteidl vor 1897Carl von Zamboni: Im Wiener Café Griensteidl vor 1897. Foto für die Illustrierte "Die vornehme Welt". Quelle: Blickfänge einer Reise nach Wien - Fotografien 1860-1910. Ausstellungskatalog des Wien Museum 2006. Gemeinfrei

 

Hugo von Hofmannsthal, die sich genialisch gebärdende und als Genie von seinen Jüngern angehimmelte Zentralfigur des Jungen Wien war der Verfasser von Opernlibretti, die von Richard Strauss vertont wurden. Überhaupt ist Hofmannsthal neben Schnitzler der wichtigste Vertreter der Wiener Moderne. Peter Altenberg verfasste Prosaskizzen, die von Alban Berg, einem Schüler Schönbergs, in Form von Orchesterliedern in Noten gesetzt wurden. Das heißt, dass die, die die Kaffeehäuser frequentierten und in die kulturell-künstlerischen Gespräche involviert waren, die Produkte ihrer künstlerischen Fantasie immer wieder auch in Noten (um-) gesetzt fanden. Der interkulturelle Austausch im Kaffeehausmilieu schuf Allianzen, die den jeweiligen Künstlern nicht per se in die Wiege gelegt worden waren. Im Kaffeehaus wurden, kurz gesagt, Erkenntnisse diskutiert und neue Stilrichtungen der Musik, Malerei und Architektur ins Leben gerufen. Darin besteht ihre vor allem auch kunstgeschichtliche Bedeutung. Das Wiener Kaffeehaus um 1900: Geburtsstätte der musikalisch-literarischen Avantgarde.

 

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