Kultur, Geschichte & Management

Wer von Kolonialismus spricht, denkt in der Regel an Afrika, Lateinamerika und die Südsee, an Länder des globalen Südens, die europäische Nationen in Besitz nahmen und ausbeuteten. Dass es auch einen nordischen Kolonialismus gab und immer noch gibt, ist indes weitgehend unbekannt.

Umso wichtiger die Ausstellung „Das Land spricht. Sámi Horizonte“ im MARKK in Hamburg. Mit beeindruckender Sensibilität und Empathie erzählt sie vom Schicksal des kleinen skandinavischen Nomadenvolkes.

 

Auf der riesigen Leinwand nur Schnee. Schnee bis zum Horizont. Eine Frau in der typisch bunten Tracht der Sámi (früher Lappen genannt), schiebt ein großes Trampolin ins Bild, steigt durch das Sicherheitsnetz und hüpft. Mutterseelenallein, mitten in der Schneewüste. Dieser atmosphärische Einstieg in die Ausstellung macht gleich zweierlei deutlich: Zum einen die extrem schwierigen Lebensbedingungen am nördlichen Polarkreis. Zum anderen ist dieses Video eine wunderbare Metapher für die ungebrochene Widerstandskraft der Sámi. Dieses kleine Volk hat jahrhundertelangen Versuchen widerstanden es zu assimilieren, es zu „guten“ Norwegern, Finnen oder Schweden umzuerziehen und damit ihrer Identität zu berauben. Auch heute noch kämpfen die Sámi um ihre Rechte.

 

Sapmi Presse

Ausstellungsansicht. Foto: MARKK Paul Schirmweg

 

Die Unterdrückung reicht zurück bis ins Mittelalter. Damals waren es christliche Missionare, die die bunten Trachten und uralten Bräuche des Volkes als heidnisch und sündig verboten. Im 17. Jahrhundert zerschnitt die Bildung der Nationalstaaten Schweden, Norwegen und Finnland das bis zur russischen Halbinsel Kola reichende Siedlungsgebiet. 1850 trat die (erst 1962 wieder abgeschaffte) „Norwegisierungspolitik“ in Kraft, die versuchte Umerziehung. Die Schließung der norwegisch-russischen Grenze 1852 schränkte die Freiheit der wandernden Menschen und ihrer Rentierherden im 19. Jahrhundert weiter ein. Als eine Art Brandbeschleuniger in Bezug auf Unterdrückung erwies sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann die „Rassentheorie“: Die Sámi wurden vermessen, Gräber geplündert, Gebeine untersucht, Kinder den Familien entrissen und zwangsweise in Internate gesteckt, die Sprache verboten. Gleichzeitig fingen Ethnologen, Händler und Museen an, die „exotischen“ Artefakte aus dem hohen Norden zu sammeln.

 

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Knochenring/Sámpi/Schweden (vor 1913), Foto: MARKK, Paul Schirmweg

 

Das MARKK besitzt eine der umfangreichsten Sammlungen der Sámi in Deutschland: Schmuck, Handwerk, Trachten, aber auch Alltagsgegenstände wie Schuhe aus Rentierfell, Geweihe zum Feuerschüren oder eine tragbare Säuglingswiege. Traditionelle Kulturgüter, die nun mit aktuellen künstlerischen Positionen aus Sápmi (samisch für den samischen Kulturraum), mit Fotos, Videocollagen, Schriften, Kommentaren und Erinnerungen in den Dialog treten, einen Perspektivwechsel erlauben, Selbstermächtigung und kultureller Wiederaneignung dokumentieren.

 

So fotografierten sich die Künstler*innen Annika Dahlsten und Markku Laakso in ihrer Tracht vor der Kulisse von Hagenbecks Tierpark – just an jenem Ort, an dem ihre Vorfahren 1875 als erste Gruppe der Hagenbeckschen „Völkerschauen“ ausgestellt wurden. Unerhört eindringlich auch das Video einer jungen Tänzerin, die eine Ladjo trägt, die prächtige, einst von Christen und Pietisten verteufelte, 30 Zentimeter hohe Frauenhaube in Form eines Hornes. In ihren Händen hält sie eine zweite, deutlich ältere Ladjo, mit der sie sich in stiller Zwiesprache wiegt.   

 

Annika Dahlsten Markku Laakso Koskivuononvaara Inari 2011

Annika Dahlsten und Markku Laakso, Koskivuononvaara, Inari, 2011

 

Eingestimmt von den meditativen Klängen des samischen Joik-Gesangs formt sich so ein facettenreiches Bild von Geschichte und Gegenwart dieser rund 70 000 Personen umfassende Volksgruppe, die ohne ihr ungewöhnlich starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und Traditionsbewusstsein heute wohl nur noch in den nordischen Märchen und Mythen präsent wäre.


„Das Land spricht. Sámi Horizonte“

Zu sehen bis 31. März 2024 im MARKK Museum am Rothenbaum; Rothenbaumchaussee 64, 20148 Hamburg.

Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr.

Weitere Informationen (MARKK)

 

Es ist ein Katalog erschienen:

Das Land spricht. Sámi Horizonte | The Land Has a Mind to Speak. Sámi Horizons

Hrsg.: Anna-Sophie Laug
Paperback, Zweisprachig Deutsch/Englisch
Erscheinungsjahr: 2023
Umfang: ca. 120 S.

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