Kultur, Geschichte & Management

Lange Jahre schlief die recht ansehnliche Lübecker Völkerkundesammlung den Schlaf der Gerechten, will sagen: Sie wurde vor langer Zeit weggesperrt, und in der Folge wurden 2.600 Objekte nicht mehr gezeigt.

Aber im vergangenen Herbst deutete sich mit einer vielseitigen und interessanten Ausstellung über den Norden („Nordwärts / Südwärts“) bereits an, dass mit frischen Aktivitäten gerechnet werden kann.

Damals wurde noch nicht verkündet, dass sich die Lübecker Museen seit 2019 mit dem Kieler Kaufmann und Sammler Bernd Muhlack im Gespräch befanden. Muhlack, der aus beruflichen Gründen regelmäßig Afrika besuchte – besonders Westafrika –, trug während langer Jahre eine gewaltige Sammlung afrikanischer Kunstobjekte zusammen. Fast alle Teile seiner Sammlung erwarb er vor Ort selbst, so dass die legale Herkunft der allermeisten Stücke völlig außer Frage steht. Der Leiter der Völkerkundesammlung, Lars Frühsorge, fand zu seiner großen Freude den Erwerb vieler Objekte mit Angaben über Ort und Zeitpunkt sauber dokumentiert. In allen anderen Fällen werde man die Provenienz aber erforschen.

 

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Größtenteils handelt sich um Schnitzereien (Holzskulpturen), von denen bei einem Pressetermin einige wenige präsentiert wurden: vor allem Fruchtbarkeitsgötter, aber auch für uns so etwas Merkwürdiges wie „Jenseits-Ehepartner“, repräsentiert durch eine kleine Statue; dazu kommen dann Musikinstrumente, Zahlungsmittel, Waffen, Textilien und endlich sogar zeitgenössische Gemälde. Mit den Lübecker Museen hatte sich Muhlack deshalb in Verbindung gesetzt, weil er seine Sammlung nicht zerschlagen und verkauft, sondern als Ganzes präsentiert sehen wollte. Nach Afrika wollte er sie nicht geben, weil er nicht an sorgsame Pflege und sachgemäße Lagerung glauben mochte; dazu kamen dann noch die Bedenken wegen der in vielen Ländern grassierenden Korruption. Und in seiner weiteren Umgebung machten die Lübecker Museen offenbar den besten Eindruck.

 

Die zuletzt versteckt gehaltene, aber ziemlich große Lübecker Sammlung wurde im Laufe der Jahre von Kaufleuten zusammengetragen und stammt zum allergrößten Teil aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Auch Afrika ist in ihr vertreten, aber es findet sich noch viel mehr aus dem Norden Asiens und Europas und dazu aus Südostasien. Muhlack dagegen, der mit seiner Sammlung buchstäblich gelebt hat (in seinem Haus), sammelte aus Leidenschaft und aus Sympathie für den Erdteil. Ihm ging es um Afrika, und die meisten seiner Objekte sind zeitgenössisch, nicht etwa historisch.

 

In Lübeck sollten eigentlich nur einige ausgewählte Stücke in verschiedenen Ausstellungen gezeigt werden, aber nach dem unerwarteten Tod des Stifters im Herbst 2020 kommt jetzt die ganze, immerhin 2.600 Objekte umfassende Sammlung nach Lübeck, wo es zunächst um die sachgemäße Lagerung und Dokumentation gehen wird. Aber bereits in der Ausstellung „Sex und Vorurteil“, die in der nächsten Woche vorgestellt werden wird, werden einige ausgewählte Kunstwerke zu sehen sein.

 

Carl Einstein Negerplastik COVERBei der Gelegenheit afrikanischer Kunst sei auf ein lesenswertes und dazu sehr wohlfeiles Büchlein hingewiesen, auf den Essay „Negerplastik“ von Carl Einstein (1885-1940). Der ziemlich kurze Essay stammt von 1915 und wurde 2012 zusammen mit einem instruktiven Nachwort der Herausgeberin und einer sehr großen Anzahl von (allerdings nicht eben hochwertigen) Fotos neu publiziert.

Einsteins Überlegungen zielen nicht allein auf die afrikanische Kunst, sondern auf die Plastik in einer bestimmten Phase der menschlichen Geschichte. Der „Neger“, wie Einstein ganz unbefangen schreibt, sei „kein nicht entwickelter Mensch“, sondern befinde sich etwa auf der Entwicklungsstufe eines antiken Menschen. Einstein weigert sich aber, die einzelnen Plastiken historisch einzuordnen, weil man nicht ausreichend über die Geschichte Afrikas orientiert sei. Mit einem für die Zeit, mehr noch aber für ihn selbst als Provokateur typischen Satz weist er alle Versuche zurück, mit den Denkkategorien der Ethnografie oder auch anderer Wissenschaften die einzelnen Plastiken in ein Schema einzuordnen, und verweist stattdessen auf die reine Faktizität der einzelnen Stücke: „Ich glaube, sicherer als alle mögliche Kenntnis ethnographischer usw. Art gilt die Tatsache: die afrikanischen Skulpturen!“

 

An den Skulpturen hebt Einstein ihren plastischen Charakter hervor, wogegen er von der europäischen Plastik sagt, sie sei vom Malerischen überdeckt und nur materiell kubisch. Die afrikanische Plastik dagegen sei viel stärker dreidimensional. Dazu komme ihre religiöse Ausrichtung, denn selbst in dem Porträt eines einfachen Menschen werde das Göttliche verehrt. „Das Werk wird als Typus der adorierten Gewalt aufgerichtet.“ Besonders gelte das auch von der Maske, von denen etliche abgebildet sind. In Lübeck wird man in der nächsten Zeit die Gelegenheit haben, seine Thesen zu prüfen.

 

Interessant müssen aus heutiger Sicht seine Überlegungen über das Tätowieren sein. Es bezeichne „eine despotische, bedingungslos herrschende Religion und Menschlichkeit, wenn Mann und Frau den individuellen Leib durch Tätowierung zu einem allgemeinen machen; allerdings auch eine gesteigerte Kraft der Erotik. Welch Bewußtsein heißt es, den eigenen Körper als unvollendetes Werk zu begreifen, den unmittelbar man verändert.“


St. Annen Museum Lübeck

Weitere Informationen

 

Carl Einstein: Negerplastik. Herausgegeben von Friederike Schmidt-Möbus. Mit 119 Abbildungen

183 Seiten

Reclam Verlag

ISBN 978-3150186343

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