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Hamburger Architektur Sommer

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Immerhin mangelt es nicht an architektonischen Wahrzeichen, die den neuen Ort weithin sichtbar markieren. Die Hamburger, an denen ja traditionell die - meist unbegründete - Angst nagt, spröde und langweilig zu wirken, haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder beschwert, dass ihre neue Architektur vielleicht handwerklich solide, aber halt auch spröde und gar nicht zeichenhaft sei; dafür gibt es jetzt mit der Elbphilharmonie von Herzog de Meuron und dem von Rem Koolhaas entworfenen Science Center geradezu einen Wahrzeichenstau an der Elbe.

Was aber an Alltagsarchitektur, an dem, was die Atmosphäre der Straßen prägt, bisher in der Hafencity zu sehen ist, hinterlässt, auch das muss hier bei all den Vorschusslorbeeren einmal gesagt werden, einen gemischten Eindruck. Einige Gebäude - und auch die eigenartigerweise viel gefeierten Magellan-Terrassen - sehen auf unglückliche Weise aufgekratzt aus, so wie ältere Herren, die von böswilligen Töchtern für einen Discobesuch herausgeputzt wurden. Andere Bauten dagegen stehen so gähnend langweilig am Wasser, dass man ihnen ihre eigenen Backsteine aufs Dach hauen und zurufen möchte: Aufwachen! Ihr steht in der HafenCity! Seid gefälligst ein bisschen einfallsreicher, eleganter, aufregender!

Dieses Oszillieren zwischen selbstzufriedener Banalität und ratloser Oberflächenkapriole ist doppelt ärgerlich, denn in Hamburg gibt es zur Zeit so viele begabte jüngere Architekten wie kaum sonst irgendwo in Deutschland: Carsten Roth zum Beispiel, dessen bekanntester Bau die sensible Ergänzung der raketenförmigen Kirche von Sankt Nikolai am Klosterstern ist. Oder Laura Jahnke, die in Duvenstedt ein Kettenhaus im Geist der klassischen Moderne gebaut hat. Oder Kraus und Schönberg Architekten, die in Ohlstedt ein so kluges, einfallsreiches kleines Einfamilienhaus gebaut haben, wie man es sonst nur in Tokio findet, ein Haus, das zeigt, wie Verdichtung einen neuen Raumreichtum schafft und das zurecht den deutschen Holzbaupreis erhalten hat. Solche Bauten findet man nicht oder noch zu wenig in der HafenCity. Hamburgs Stadtplaner und Investoren sollten hier ruhig noch mehr das Potenzial der eigenen Architekturszene anzapfen, die bisher eher an den Rändern der Hansestadt sichtbar wird.

Wie fühlt sich die neue Stadt am Hafen an? Das ist eine wichtige Frage. Denn es ist die Atmosphäre, die darüber entscheidet, ob eine Gegend attraktiv ist oder nicht, und diese Atmosphäre hängt an kleinen, aber alles entscheidenden Details. In einigen Ecken der HafenCity ist die Hafenatmosphäre, das Dichte, Lärmende, Lebendige der alten Kais, doch ein wenig zu sehr desinfiziert worden. Am Sandtorkai hocken ein paar gleichförmige Luxuswohnkartons nebeneinander wie Rentner auf der Parkbank. Auch wenn einige Architekten hier bauästhetisch das Maximum aus der formalen Vorgabe herausgeholt haben: Solche Bauten ignorieren den weltweit einmaligen Bauplatz auf eine Weise, die ratlos macht. Von der Nähe des Flusses, vom weiten Blick über die Elbe bekommt man hier nichts mit. Was hier steht, ist letztendlich nur die hochwassersichere Variante des Apartmentblocks, der unter dem Rubrum „Stadtvilla“ die besseren Vororte von Wiesbaden und Bremen pflastert. Nur: Dies ist kein Bremer Vorort, dies ist die HafenCity - und hier hätte man schon ein wenig dichter, höher, ortsangemessener bauen können. Auf dem Kaiserkai spürt man dagegen, wie hier einmal eine dichte Wohnstadt mit Restaurants und Läden entstehen könnte, ebenso auf dem Dalmannkai, wo 630 Wohnungen entstehen, auch bezahlbare für weniger wohlhabende Schichten.

Diese soziale Mischung, die befruchtende Nähe verschiedener Milieus, ist etwas, das in Hamburg Tradition hat. Nehmen Sie die "Strandperle", das kleine Lokal unten am Elbstrand; es ist eines der besten Beispiele für den Genius loci der Hansestadt, ein Musterbeispiel dafür, wie Hamburg funktioniert - nämlich gerade nicht, wie es böse Menschen immer wieder behaupten, als ein Wohlstandsghetto, das man nur mit Hermèstuch, Barbourjacke und dunkelgrünem Jaguar betreten darf, sondern als sein Gegenteil: als klassenlose Utopie. Am Strand von Övelgönne treffen sich alle: Anwälte, Punker, Studenten aus Altona, Millionäre aus den Elbvororten. Vielleicht sollten die Planer dieser Stadt auch solche Orte, die nicht geplant wurden, sondern sich ergeben haben, noch intensiver studieren - und Plätze einräumen, an denen solche sozialen Prozesse stattfinden können.

Ob es in der HafenCity lebendig genug wird, hängt nicht nur von architektonischen, sondern vor allem von politischen Entscheidungen ab. Vor einer Luxusverslumung, wie sie die Londoner Docklands erlebt haben, können das neue Viertel auf die Dauer nur Verdichtung und soziale Mischung bewahren. Es ist das einfache, alte Rezept für gute Städte: Wo viele Menschen täglich leben, werden viele Brötchen gekauft, entstehen kleine Läden, Kindergärten, Cafés, Obstläden, und am Ende ergibt sich das gute Chaos aus Handel, Verkehr und unterschiedlichsten Bewohnern, das auch an dieser Stelle früher einmal das alte Hafenviertel prägte. Auch die Chance, die Stadtteile zwischen Norder- und Süderelbe, also Veddel und Wilhelmsburg, an die Innenstadt anzudocken, sollte man sich nicht entgehen lassen.

 

Auch die HafenCity, das Beispiel Hamburg zeigt: Die Baukultur eines Landes kann nur so gut sein wie die Kultur seiner Politiker und Beamten. Es mangelt wahrlich nicht an guten Architekten. Es mangelt aber oft an Politikern und Verwaltungsbeamten, die auch einmal über eine Norm hinwegsehen können, wenn es um ein neues Bauen geht. Das fängt bei so kleinen Dingen wie den Fensterrahmen an. In Deutschland müssen sie Fensterrahmen verbauen, mit denen Sie einen Grizzlybären erschlagen können. Solche Fensterrahmen machen Sinn in Gegenden, wo die Temperaturen öfter unter minus dreißig Grad sinken, aber nicht hier. Der Vorschriftenirrsinn geht weiter mit den Reglungen, die die Bebauung von Flachdächern in der Stadt verhindern. Zigtausende von ungenutzten Quadratmetern liegen in jeder Stadt brach. Bautechnisch wäre es möglich, hier, auf den ungenutzten Flachdächern, kollektive Gärten, Einfamilienhäuser, Gemüsebeete, Spielplätze zu bauen. Aber das scheitert meistens an einem einmaligen Regelwirrwarr.

Zu einer neuen Baukultur gehört eine neue Baupolitik, eine Politik der Ermöglichung. Es braucht Politiker, die sich für Architektur, für das, was die Stadt, die gebaute Umwelt sein könnte, interessieren. Wenn Politiker sich unter Baukultur nicht mehr vorstellen können als ein Friesenhausimitat mit Plastiksprossenfenstern oder ein rekonstruiertes Berliner Stadtschloss, dann wird es für die Baukultur schwierig. Hier müssen aber auch die Architekten Überzeugungsarbeit leisten, und deswegen wünschte man sich noch mehr Veranstaltungen wie diesen Architektur Sommer, vielleicht sogar einmal eine Architektursommer-Bauausstellung, die zeigt, wie man mit geringen Mitteln in der Stadt neue Orte schaffen kann. Gute Architektur ist schließlich auch immer Verführung zu einem anderen Leben. Gute Architektur sagt: Bleib in der Stadt, in diesem Gebäude, das Dir alles bietet, was Du Dir vom Landleben wünschst, auf diesem Platz, auf dem es weniger langweilig ist als im Wendehammer vor deinem Reihenhaus draußen vor der Stadt.

Und: Vielleicht muss man, wenn man über Architektur spricht, auch einmal über die Sprache sprechen, in der über Architektur gesprochen wird. Ich meine damit nicht die eigenartig hermetische Wettbewerbsprosa. Ich meine nicht Formulierungen wie „der rückwändige Teil des Baukomplexes fügt sich mit seinen perforierten Stahlpaneelen sensibel in den selbst porös anmutenden städtischen Kontext ein“. Ich meine die Sprache und die Wege, in der, auf denen Inhalte und Formen einer neuen Architektur kommuniziert werden; man wird jenseits von Websites zum Thema Nachhaltigkeit und Broschüren zum Passivhaus andere Wege finden müssen, breitere Massen für diese Themen zu begeistern. Es ist eine gute, eine spannende, eine aufregende Zeit für Architekten; zu den großen Herausforderungen gehört die Ökologie ebenso wie das Problem der sozialen Segregation. Zur Lösung beider Problemfelder ist Architektur wesentlich. Und: Es gibt neue technische Entwicklungen, mit denen eine neue Ästhetik für diese Aufgaben entwickelt werden kann.

 

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