Theater - Tanz
Familie Floez  Foto Valeria Tomasulo

Beklemmend melancholisch, irrsinnig komisch und von wahrhafter Magie: Die Berliner Masken-Truppe Familie Flöz begeisterte mit ihrem SHMF-Gastspiel „Dr. Nest“ im Ernst Deutsch Theater.
Nest, Nest – da klingelt doch was? Ja, richtig: „Einer flog über das Kuckucksnest“, der Wahnsinnsfilm von Milos Forman 1975 mit Jack Nicholson als McMurphy, der gegen die Ordnung einer geschlossenen Psychiatrie rebelliert und die Anstalt total auf den Kopf stellt. Schon damals war die Frage: Wer ist hier eigentlich verrückt – das Personal oder die Insassen? Auch „Dr. Nest“ der Familie Flöz spielt in einer Anstalt – die in diesem Fall auch das Theater selbst ist. Noch bevor alle Zuschauer ihre Sitze eingenommen haben und das Licht im Saal verlöscht, drückt sich eine weißgekleidete Frau an den Eingängen entlang, im Arm eine Puppe, der sie ab und zu die Flasche gibt – einen Flachmann. Währenddessen turnt ein total aufgedrehter Typ, ebenfalls in weißem Ganzkörperanzug, über die Sitzreihen im Parket und verlangt im breiten Berlinerisch Kartenkontrolle. Einige geben ihm ihre Tickets, einige verweigern sie ängstlich – und so steckt man bereits mitten im Spiel, bevor die fünf Mimen die Bühne erreichen. Ab jetzt kein Mucks mehr, nur noch Körpersprache. Rasend schnell wechseln die fünf mit dem Arztkittel anfangs ihre Rollen und machen damit gleich klar, dass Irrsinn nur eine Frage des jeweiligen Standpunktes ist. Dann erst beginnt das eigentliche Maskenspiel um den neuen Arzt in der Villa Blanca, und ihre Bewohner. Als da wären: Ein Trommler, der ohne seine Bongos nicht existieren kann. Ein hysterisch-ängstlicher Musiker, der sich nur am Klavier beruhigt. Eine liebeshungrige Schöne mit ihrem eingebildeten Kind. Ein schwarzgewandetes sanftes Monster, das Holzstämme schleppt. Ein rückgratloser Mann, der sich immer an etwas festhalten muss, um nicht zusammenzufallen. Nicht zu vergessen, eine verschrobene Alte, die vermutlich nur da ist, weil ihre Familie sie loswerden wollte.

Familie Flöz Foto Valeria TomasuloDer liebenswürdige, etwas traurig wirkende Dr. Nest geht mit ungeheurer Empathie und Einfühlungsvermögen auf seine Patienten ein - wohl, weil er selbst von Dämonen geplagt wird und weiß, wie sich das „Verrückt-Sein“ anfühlt. (In der mobilen Bühnenkonstruktion löst sich das Arztzimmer mehrfach auf und gibt den Blick frei auf innere Albtraumbilder). Zusehends verliert er dabei seine Distanz zu den Patienten, tanzt mit dem Trommler, spielt Klavier mit dem Musiker, wiegt das zusammengerollte Handtuch der Liebestollen, das die eifersüchtige Krankenschwester wütend entreißt und demonstrativ ausschüttelt.
Natürlich fehlt die Mimik bei diesem tragikomischen, mitunter kafkaesken Maskenspiel. Die übergroßen Typen-Köpfe sind allesamt aus Pappmaché. Und doch scheinen sich die Gesichtsausdrücke ständig zu wandeln – so großartig und suggestiv ist das Körperspiel der fünf Akteure, die permanent die Rollen wechseln. So stark ist aber auch die Imagination der Zuschauer Wenn der Trommler zu tanzen beginnt, scheint er zu lächeln. Der Mann ohne Rückgrat scheint noch verzweifelter zu schauen, wenn ihm der Besen entrissen wird und er zusammenklappt (man muss unwillkürlich an Marcel Marceau denken, so gut ist die Nummer).

Ja, und vor allem: Was für eine Poesie schwingt durch den Raum! Kein Wunder, dass die Familie Flöz, deren Ursprünge an der Essener Folkwang Universität der Künste liegen, mittlerweile international gefeiert wird. Ihr Körpertheater ist phänomenal – und zeigt nicht zuletzt zwei Dinge: Sprache wird eindeutig überschätzt. Und: Maskenspiel regt ungeheuer die Fantasie an.

Familie Flöz: Dr. Nest

Das Schleswig-Holstein Musikfestival zu Gast im Ernst Deutsch-Theater
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Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Valeria Tomasulo
Abb. Foto: Valeria Tomasulo

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