Theater - Tanz

Noch eine (kurze) Rezension, obwohl das Stück in diesem Jahr nicht mehr auf dem Spielplan steht? Unbedingt! „Das mangelnde Licht“ in der Regie von Jette Steckel nach dem Roman von Nino Haratischwili im Thalia Theater ist ein Ereignis, wie man es nur selten zu sehen bekommt.

Stehende Ovationen für ein grandioses Ensemble, allen voran für die vier fabelhaften Protagonistinnen Lisa Hagmeister, Maja Schöne, Rosa Thormeyer und Fritzi Haberlandt.

 

Das Stück ist genauso lang wie „Das Achte Leben“, der Jahrhundertroman von Nino Haratischwili, 2017 uraufgeführt und ebenfalls von Jette Steckel inszeniert: Rund fünfeinhalb Stunden. Doch für heute wie damals gilt: Die Zeit verfliegt im Nu und jede einzelne Minute lohnt! Nino Haratischwili Und Jette Steckel, die fast gleichzeitig zum Erscheinen des Romans inszenierte, lassen anhand von vier jungen Frauen das Georgien der 90er Jahre auferstehen, schaffen ein pralles Sittengemälde der Zeit, die im Südkaukasus als „die dunkle“ bezeichnet wird. Nicht nur im übertragenen Sinn, nein, ganz konkret. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den ersten freien Wahlen in Georgien, sperrte Russland die Stromversorgung. Warmwasser, Heizung, Gas – wer sich keinen Generator leisten konnte, saß buchstäblich im Dunkeln.

 

Das mangelnde Licht 01 F Armin Smailovic

Das mangelnde Licht. Foto: Armin Smailovic

 

Anhand der vier Mädchen wird diese Zeit mit all ihrer Mangelwirtschaft, Bürgerkriegen und den mafiösen Clan-Strukturen der Familien wieder lebendig. Ihre Geschichte wird in der Rückblende erzählt. Queto, Nene und Ira treffen sich 2019 in Brüssel wieder – zur großen Retrospektive der Fotografin Dina, der vierten im Bunde, die die 90er Jahre nicht überlebte. Während die Kuratorin von „magischen Bildern“ und „feministischen Ansätzen“ schwärmt, taucht die brutale Realität der Vergangenheit als wieder auf: Sie beginnt 1987. Wir lernen die vier Freundinnen als alberne Schulmädchen kennen, die sich im Laufe der kommenden Jahre zu unglaublich starken jungen Frauen entwickeln, die in einem von Gewalt und Brutalität beherrschten Umfeld aufwachsen, wie man es sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Aber natürlich leben sie auch das Leben „normaler“ Teenager, flirten, tanzen, verlieben sich, teilen Geheimnisse.

 

Das mangelnde Licht 02 F Armin Smailovic

Das mangelnde Licht. Foto: Armin Smailovic

 

Es sind vier, im Grunde völlig verschiedene Charaktere, doch so unterschiedlich sie auch sind, sie eint die Wut auf überkommene gesellschaftliche Normen („Ehre der Familie“, Zwangsheirat, Rachemorde) und die skrupellose, von Gier, Heroin und Revierkämpfen besoffene Männerwelt. „Romeo und Julia“ in Tiflis der jüngsten Vergangenheit? Ja, das auch. Aber noch so viel mehr! Es gibt kein anderes Coming- of-Age-Stück, das auch nur annähernd so dramatisch und mitreißend ist wie „Das mangelnde Licht“. Die mosaikgleich bunt-gepixelten Wänden (Bühne Florian Lösche), auf denen die dokumentarischen Videos von Zaza Rusadze als Erinnerungsfolie erscheinen, machen die Inszenierung zum Gesamtkunstwerk. Die vier „Mädels“ sind zum Niederknien gut, ebenso die „Großmütter“, Karin Neuhäuser und Barbara Nüsse – die beiden sind sowieso ein Dream-Team.

 

Auf der Thalia Homepage kann man übrigens unter dem Stück die Zeile anklicken: „Bitte informieren Sie mich, wenn das Stück wieder auf dem Spielplan steht“. Das sei hiermit wärmstens empfohlen.


Nino Haratischwili: Das mangelnde Licht

Bühnenfassung von Emilia Heinrich und Jette Steckel

Regie: Jette Steckel

Darsteller: Julian Greis | Fritzi Haberlandt | Lisa Hagmeister | Ole Lagerpusch | Karin Neuhäuser | Barbara Nüsse | Maja Schöne | Rosa Thormeyer | Jirka Zett | Sebastian Zimmler

Thalia Theater Hamburg

Weitere Informationen (Thalia Theater)

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.