Theater - Tanz

Darf man über den Tod lachen? Man darf – aber nur im St. Pauli Theater! Dort hatte die neue Komödie „1h22 vor dem Ende“ von Matthieu Delaporte umjubelte Premiere.

Tolles Stück, tolle Regie, tolle Schauspieler. Und sehr Französisch.

 

Was für einen makabren Humor der Film- und Drehbuchautor Matthieu Delaporte besitzt, hat er bereits in seinem Bühnen- und Kinohit „Der Vorname“ bewiesen. Sein jüngstes Stück „1 h22 vor dem Ende“ ist noch deutlich schwärzer und absurder. Aber nicht weniger amüsant.

 

Protagonist Bernard Garde ist ein überaus korrekter, umgänglicher, schüchterner und schrecklich einsamer Mann Anfang 40, der französische Chansons liebt, insbesondere von Dalida und Barbara, aber niemanden hat, dem er sie vorspielen kann. Das Leben ist an ihm bislang vorbeigezogen - vor allem die Frauen. Also beschließt er, diesem tristen Zustand ein Ende zu setzen und aus dem Fenster zu springen. Zuvor kündigt er, korrekt wie er ist, seine Versicherungen, verabschiedet sich noch bei der netten Telefondame der Allianz France, deren Stimme er so liebt, und saugt noch einmal die Wohnung durch, damit er auch alles recht ordentlich und sauber hinterlässt. Selbstverständlich sind auch seine Habseligkeiten schon in Kartons verstaut, Bernard Garde will ja niemandem zur Last fallen, schon gar nicht nach seinem Ableben. Nur der Fenstersprung will nicht so recht klappen, die Höhenangst, allein der Blick in die Tiefe, lässt ihn immer wieder entsetzt in sein beklemmendes Zimmer (Bühne Raimund Bauer) zurücktaumeln.

 

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Doch plötzlich klopft es an die Tür, ein Mann tritt ein, zieht die Pistole und erklärt, Bernard erschießen zu wollen. Was nun folgt, ist ein hinreißendes Katz-und-Maus-Spiel mit dem Eindringling, der offenbar auch kein Profi in seinem Metier ist, dafür aber Witze und Rätsel liebt und ab und zu unbändigen Hunger verspürt.

 

Die überraschende Wendung der Geschichte soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Durch die unerwartete Bedrohung in Gestalt des seltsamen Mannes gewinnt Bernard zunehmend an Lebensmut, ja sogar Lebenslust und wagt sich schließlich zur bislang nur aus der Ferne verehrten Nachbarin Claire in den 5. Stock.  

 

Auf die Idee, eine Komödie über einen Selbstmörder zu schreiben, muss man erstmal kommen. Matthieu Delaporte, in Dramaturgie und Dialog-Witz ganz der Tradition Yasmina Rezas verhaftet („Kunst“, „Der Gott des Gemetzels“), in seinem Humor und den gesellschaftlichen Fragen, die seine Stücke aufwerfen, aber noch bissiger und schärfer, ist das überaus einfühlsam und leichtfüßig gelungen.

 

Mit Sebastian Bezzel (hat als bayerischer Provinzpolizist Franz in den Eberhoferkrimis Kultstatus erlangt) in der Rolle des Lebensmüden, Stephan Grossmann als „Der Mann“ (bekannt vor allem als Kommissariatsleiter Grimm in der ARD-Krimireihe „Wolfsland“) und Nadja Petri als schöne Nachbarin Claire (war am Spielbudenplatz auch die „Spelunken-Jenny“ in der „Dreigroschenoper“) hat Regisseur und Hausherr Ulrich Waller großartige Schauspieler für seinen neuen Publikumsrenner im St. Pauli Theater gewonnen. Bezzel und Grossmann sind zwei echte Rampensäue, die jede Phase dieses unterhaltsamen Endspiels genüsslich auskosten. Mitunter so dicht und intensiv, dass sie an Estragon und Wladimir aus Becketts „Warten auf Godot“ erinnern. Zufall oder Absicht? In jedem Fall verleiht es dem Kammerspiel bei aller Komik auch Nachdenklichkeit und Tiefe.  


1h22 vor dem Ende

Zu sehen vom 23. bis 28. und 31. Januar sowie 1. bis 4. und 6. bis 11. Februar 2024

Beginn: jeweils 19.30 Uhr, sonntags um 18 Uhr. Dauer ca. 95 Minuten, keine Pause.

Im St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30, in 20359 Hamburg.

(1h22 avant la fin) von Matthieu Delaporte. In der Übersetzung von Georg Holzer

Mit: Sebastian Bezzel, Stephan Grossmann und Nadja Petri

Regie: Ulrich Waller | Bühne: Raimund Bauer | Kostüme: Ilse Welter

Weitere Informationen (Theater)

 

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