Theater - Tanz
Dutch ballet Foto Kiran West

Zum Schluss kam der Meister selbst auf die Bühne: Hans van Manen (86) ließ es sich nicht nehmen, die Ovationen der Hamburger und den Blumenstrauß von John Neumeier persönlich zu empfangen. Das umjubelte Gastspiel des exzellenten „Het Nationale Ballet“ bei den 45. Hamburger Ballett-Tagen war ausschließlich ihm gewidmet, dem bedeutendsten zeitgenössischen Choreografen der Niederlande. Vier Choreografien gaben Einblicke in fast drei Jahrzehnte seines Lebenswerkes.

Den Auftakt machte das jüngste Stück des Abends, die „Frank Bridge Variations“ von 2005, nach der gleichnamigen Komposition von Benjamin Britten. Die Hommage an seinen Lehrer Frank Bridge, begonnen 1932, im zarten Alter von 19 Jahren und uraufgeführt 1937, ist eine düstere Musik. Man meint, der junge Britten hätte eine Ahnung gehabt von dem Abgrund, auf den sich die Welt da zubewegte. Düster ist auch das Bühnenbild von Keso Dekker, ein blauschwarzer leerer Raum, in dem sich der Horizont in den folgenden 25 Minuten nur minimal verschiebt. Ein Raum, so dunkel, dass man nicht allen Bewegungen der fünf hochkonzentrierten Tänzerpaare folgen kann, die in ebenfalls dunklen Trikots in gedeckten Rot-Grün- und Blautönen (Tarnanzüge?) unter dramatischem Lichteinfall eine regelrecht skulpturale Ästhetik entfalten.

Foto: Kiran West Dutch BalletHier, in diesem puristisch-eleganten, aber auch wenig aufregendem Stück, in dem die beiden Solisten-Paare Igone de Jong-Jozef Varga und Qian Liu-Young Gyu Chai mit sublimer Technik glänzen, zeigt sich vielleicht am deutlichsten der Unterschied zwischen dem Niederländer Hans van Manen und seinem sechs Jahre jüngeren Kollegen (und Konkurrenten), die beide ihre Compagnien über Jahrzehnte geprägt und zu Weltruf verholfen haben. Während Neumeiers Stücke stark erlebnishaft geprägt sind, immer voller Empathie und Emotionalität stecken, ist Hans van Manens Tanzsprache mit zunehmendem Alter abstrakter, reduzierter, formalistischer geworden. Der Niederländer scheint die „Variationen“ mit geradezu bildhauerischem Blick kreiert zu haben. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als im „Funeral March“, in dem die Tänzer nur scheiten. Sehr langsam und absolut synchron. Die Figur im Raum wird auf diese Weise unerhört intensiv wahrnehmbar.

Im zweiten Stück, den „Symfonieen der Nederlanden“ (Musik Louis Andriessen), choreografiert 1987 zu den Eröffnungsfeierlichkeiten von Amsterdam als europäischer Kulturhauptstadt, zeigt sich Hans van Manens hervorstechende Begabung: Er ist ein Meister der Formationen. Schafft mit seinem Ensemble mosaikartige Bilder und konfrontiert dabei humorvoll das im Gleichschritt marschierende Kollektiv mit der Freiheit des Individuums. Gleich einer römischen Kohorte, gleich einem einzigen pulsierenden Körper mit 48 blaubestrumpften Beinen und 24 Schwarz-weißen Oberteilen, interpretiert er hier eine Militärparade, die sich – parallel zu einfallenden Jazz- und Swing-Klängen - nach und nach auflöst. Herrlich, wenn der erste im Wortsinn aus der Reihe tanzt, um wie verrückt umher zu hüpfen – und es ihm immer mehr Tänzer*Innen nachmachen.

Foto: Kiran WestWie schön, dass auch die „Sarcasmen“ bei diesem Van-Manen-Abend nicht fehlten. Sie stammen von 1981 und sind das wohl bekannteste Pas de Deux des Niederländers. Zur gleichnamigen Musik von Prokofjew nimmt er hier den Geschlechterkampf hinreißend ironisch und witzig aufs Korn, bricht für gegenseitige Provokationen immer wieder mit dem klassisch-modernem Bewegungsrepertoire, um einander beispielsweise auf den Fuß zu treten oder den Vogel zu zeigen. Ursprünglich für Rachel Beaujean und Clint Farha geschaffen, hat dieses Spitzen-Duell in den vergangen 38 Jahren nichts an Frische und Biss verloren. Ganz abgesehen davon, dass es seitdem im Tanz keine annähernde Frechheit mehr gab, wie den beherzten Griff der Ballerina in das Gemächt ihres Partners.

Rachel Beaujean, seit 2017 stellvertretende Künstlerische Leiterin der Compagnie, hat das Stück für das Hamburg-Gastspiel mit Igone de Jongh und Daniel Camargo einstudiert. Und die beiden machen ihr erotisches Katz-und-Maus-Spiel einfach brillant. Insbesondere Camargo beherrscht alle Facetten zwischen Anziehung und Ablehnung grandios. Sein Balztanz um die wenig beeindruckte de Jongh ist ein Kabinettstückchen für sich. Nicht zu vergessen die ausgezeichnet (mit)spielende Pianistin Olga Khoziainova, die entrüstet unterbricht, als sich Camargo auf ihren Flügel stützt.

Foto Kiran WestBerechtigter Jubel, auch für die abschließenden „5 Tangos“ (von 1977) zur Musik von Astor Piazzola. Hier in der ältesten Choreografie, sind zwischenmenschliche Geschichten immerhin noch zu erahnen. So steckt der Tango der beiden Tänzer zu Anfang voller erotischer Spannung – die jedoch abrupt bricht, als zwei Tänzerinnen dazukommen und es in konventionellen Paarkonstellationen weitergeht. Und, das soll nicht verschwiegen werden, die Kostüme und das Bühnenprospekt wirken mittlerweile reichlich antiquiert und angestaubt. Nun ja, nach fast 42 Jahren dürfen sie das auch.

Fazit: Man würde gern mehr von den holländischen Nachbarn sehen. Schade, dass sich eine Kulturstadt wie Hamburg nur so selten hochkarätige Gastkompagnien leisten kann.

45. Hamburger Ballett-Tage

Weitere Informationen

Het Nationale Ballet
FRANK BRIDGE VARIATIONS
Choreografie: Hans van Manen
Musik: Benjamin Britten

SYMFONIEËN DER NEDERLANDEN
Choreografie: Hans van Manen
Musik: Louis Andriessen

SARCASMEN
Choreografie: Hans van Manen
Musik: Sergej Prokofjew

5 TANGOS
Choreografie: Hans van Manen
Musik: Astor Piazzolla



Abbildungsnachweis:
alle Fotos (c) Kiran West
Header: Hans van Maaren.
Szenenfotos

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