Theater - Tanz
Privattheatertage Kleiner Mann, was nun  Figurentheater mit Live-Musik

Ach, wie schön ist es doch, Weltliteratur einmal auf diese poetische Art und Weise erzählt zu bekommen! Begeisterter Beifall für das hinreißende Gastspiel des Bremer Figurentheaters „Mensch, Puppe! in den Hamburger Kammerspielen. Ihre Romanadaption „Kleiner Mann – was nun“ von Hans Fallada, nominiert für den Monica Bleibtreu Preis 2019, zählt zweifellos zu den Höhepunkten der diesjährigen Privattheatertage.

Nach so einem intensiven, köstlichen Theaterabend bekommt man glatt Lust, Falladas kritische Milieustudie aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise, galoppierenden Inflation und Massenarbeitslosigkeit wieder einmal zur Hand zu nehmen. X-mal wurde der Klassiker von 1932 für die Bühne bearbeitet und verfilmt. Doch so originell, so phantasieanregend, so anrührend, liebevoll und urkomisch wie in der Inszenierung von Thomas Weber-Schallauer hat man die traurige Geschichte vom Verkäufer Johannes Pinneberg und seiner Frau Emma, genannt „Lämmchen“, die einen hoffnungslosen Kampf um ein gesichertes Einkommen und ihr kleines familiäre Glück führen, noch nie zu Gesicht bekommen.
Privattheatertage: Kleiner Mann, was nun – Figurentheater mit Live-MusikWeber-Schallauer verzichtet auf Gegenwartsbezüge, stützt sich vielmehr auf Falladas Originalroman (nicht die von den Nazis geglättete Fassung) und lässt mit Schlagern wie Zarah Leanders Hit „Kann denn Liebe Sünde sein“ und Willy Fritschs „Ich tanze it dir in den Himmel hinein“ die 1930er Jahre, all die Ängste des „Kleinen Mannes“ in Zeiten von Werteverfall und politische Orientierungslosigkeit, atmosphärisch dicht auferstehen. Der „Junge“, wie Lämmchen ihren Johannes nennt, steckt wirklich arg in der Klemme: Ungewollte Schwangerschaft, heimliche Heirat, Entlassung, weil der Chef (der seine Tochter Marie an den Mann bringen wollte) sauer ist. Dann lockt ihn noch seine ordinäre Kuppler-Mutter Mia zu sich und ihrem Geliebten nach Berlin. Keine Wohnung, kein Job, eine Halbwelt-Dame als Mutter und ein kleiner Sohn, der ernährt werden will – was Wunder, dass der rechtschaffende Verkäufer Johannes Pinneberg immer mehr an Würde und Selbstvertrauen verliert.

Es ist erstaunlich, fast ein kleines Theaterwunder, wie mühelos Claudia Spörri – allein mit ihrer Stimme und wechselnden Papp-Masken – diese düstere Welt mit all ihrem Personal entstehen lässt. Und, ja tatsächlich, Mitgefühl mit zwei Puppen zu erzeugen vermag. Diese grandios wandlungsfähige Schauspielerin und Sängerin scheint im Zusammenspiel mit der Cellistin Lynda Corts, die das Spiel live begleitet, den beiden Protagonisten und mehr als einem Dutzend Pappkameraden tatsächlich Leben einzuhauchen.

Privattheatertage: Kleiner Mann, was nun – Figurentheater mit Live-MusikKeine Frage: Das Figurentheater Mensch, Puppe! weiß um die Geheimnisse des „Armen Theaters“, welche Kraft und Magie in der Verwandlung möglichst weniger Elemente liegt. In ihrem Bremer Theaterraum in der Schildstraße 21, der gerade mal 60 Zuschauer fasst, braucht es noch nicht einmal besondere Technik, um alle Details in den von Anna Siegrot liebevoll gestalteten koffergroßen Kulissen auch sehen zu können. Die schäbige Dachkammer, die Dachterrasse bei Mondschein, den Zug, an dessen Fenster die Landschaft vorbeizieht.
In einem Privattheater wie den Hamburger Kammerspielen mit über 400 Plätzen in Parkett und Rang sieht das schon anders aus. Und so haben die Bremer für ihr Hamburg-Gastspiel eigens zwei Live-Videokameras installiert (Live-Video Lio Klose und Cantufan Klose), die das Bühnengeschehen auf der schrägen Rampe, auf der es immer nur nach unten zu gehen scheint, überdimensional groß auf die dahinter befindliche Leinwand projiziert. Nein, das ist ausnahmsweise mal kein „neumodischer Schnickschnack“ um des Showeffekts willen, wie Sophie Rois so herrlich lautstark in René Pollesch‘s „Probleme Probleme Probleme“ am Schauspielhaus moniert. Hier ist es die pure Notwendigkeit – die das Puppenspiel allerdings noch um eine magische Dimension erweitert. Hoffentlich kommt die Compagnie bald wieder. Ansonsten gilt: Bremen ist gar nicht weit. Am besten hinfahren und selbst anschauen.

Privattheatertage: Kleiner Mann – was nun?

Mensch, Puppe! Das Bremer Figurentheater
Nach dem Weltbestseller von Hans Fallada

Regie und Stückfassung: Thomas Weber-Schallauer
Ausstattung: Anna Siegrot
Spiel: Claudia Spörri
Cello und Loop: Lynda Cortis
Weitere Informationen



Abbildungsnachweis: Alle Fotos: M. Menke

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