Film
Dogman

Mit seinem hinreißenden Kleingangster-Epos „Dogman” kreiert Regisseur Matteo Garrone einen düster-poetischen Parallelkosmos und den vielleicht berührendsten Protagonisten seit Ende des italienischen Neorealismus. Der ästhetisch virtuose Film ist in der Wirklichkeit verankert, aber fühlt sich an wie ein tragischer dystopischer Western.
Jenes verzweifelt demütige und fast bis zuletzt noch ridikül hoffnungsvolle Lächeln des schmächtigen Hundefriseurs (Marcello Fonte) ist herzzerreißend und zugleich Warnsignal an eine Kultur, wo nur das Recht des Stärkeren zählt. Gewalt und Ohnmacht bleiben Garrones zentrales Thema wie in „Gomorra” (2008), doch nie zuvor verbarg sich dahinter so viel Zärtlichkeit, so viel desperate Sehnsucht nach Nähe und Gemeinschaft.

Schauplatz ist eine schäbig triste, kleine Küstenstadt irgendwo im Süden Italiens, der Himmel meist grau verhangen, von den Gebäuden blättert die Farbe ab, alles scheint im Verfall begriffen. Eine Schaukel bewegt sich im Wind, der Regen verwandelt die breite menschenleere Promenade zum schlammig-apokalyptischen Morast, die Einöde bräunlich entsättigter Farben bestimmt die Bilder (Kamera: Nicolai Brüel). Unvorstellbar: Hochsaison, Feriengäste, die sich am Strand drängen, fröhliches Kindergekreisch, der Geruch von Sonnenlotion vermischt mit frischer Meeresluft, in der Hitze schmelzendes Eis, das Gefühl von Unbeschwertheit oder Glück. Und doch verkörpert dieser Ort genau das für den Hundesalon-Besitzer Marcello: Glück, Respekt, Freundschaft, menschliche Wärme. Der Dogman ist ein heruntergekommenes Ladenlokal mit seltsamen etwas furchteinflößenden Käfigen, in denen Hunde aller Größen geduldig warten, dass sie an der Reihe sind. Zugleich sind sie eine Art Publikum, die dem Geschehen von der ersten Reihe aus beiwohnen.

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In diesem Moment wehrt sich grade ein gigantischer Mastiff mit aller Kraft gegen Shampoo und Wasser, aber er ist fest angekettet, wütend beißt er sich im Wischmopp fest, mit dem ihn Marcello versucht einzuseifen. Beruhigend redet der Protagonist dem Riesenviech zu, schmeichelt, argumentiert, spricht mit ihm wie mit einem widerspenstigen Kind oder liebgewonnenen Freund. Irgendwann gibt jedes Tier beim Dogman seinen Widerstand auf, genießt die Prozedur, lässt sich maniküren, frisieren, föhnen, massieren (bezaubernd), einlullen genau wie wir. Hinter jener skurrilen Komik der ersten Szenen offenbart sich schon die Tragödie dieses kleinen unansehnlichen Mannes mit den schiefen Zähnen und hängenden Augenlidern, der immer lächelt, voller Angst, er könnte nicht willkommen sein. Mittags treffen sich die Geschäftsleute der Nachbarschaft in der Trattoria, abends spielt Marcello im Licht der Scheinwerfer Fußball, flink wieselt er zwischen den kräftigen Männern hin- und her, um den Ball zu erwischen. Sie mögen ihn die Kumpel, auch weil er nebenbei Kokain vertickt, um finanziell über die Runden zu kommen.

Marcellos lebt getrennt von seiner Frau, darf das Töchterchen Alida (Alida Baldari Calabria) nur selten sehen. Jene bedingungslose Liebe zu den Tieren ist das Bindeglied zwischen ihnen, die Kleine kann schon gut mit Schere und Fön umgehen, kennt sich aus mit dem Geheimnissen des Toupierens, stolz präsentieren die beiden beim Wettbewerb für Hundecoiffeure einen mächtig aufgemotzten weißen Pudel, der auch prompt einen Preis kriegt. Alida vergöttert den Vater ohne irgendwelche Einschränkungen, diese Beziehung ist inmitten einer völlig korrupt-gehässigen Welt etwas plötzlich Unfassbares. Wenn sie mal streiten, dann höchsten, wohin der nächste Urlaub gehen soll. Die Tochter faszinieren Orte mit glamourösen Namen, auch wenn sie keine Ahnung hat, wo die eigentlich liegen. Doch das Geld des Vaters reicht höchstens für Kalabrien. Wenn die zwei tauchen gehen draußen im Meer, nebeneinander durch die grünblauen Tiefen gleiten, scheint für einen Moment das Glück vollkommen. Hier unter der Wasseroberfläche ist Marcello kein Außenseiter, der eigentlich sein ganzes Leben nur ausgenutzt und gedemütigt wird.

Doch über allem lastet wie ein Fluch die Präsenz des bulligen Ex-Boxers Simone (Eduardo Pesce). Der muskulöse wortkarge Hüne terrorisiert die Nachbarschaft, ungerührt bricht er einem Geschäftsmann die Nase, ein paar Häuser weiter in der Spielhalle insistiert er nach zwei Minuten, der Automat funktioniere nicht, will 300 Euro wieder haben, er brüllt, schreit, schleudert den glitzernden Glücksspielautomaten gegen die Wand, macht sich an die Zerstörung des nächsten. Seine Stirn benutzt er wie eine Abrisskugel, zerschmettert, was ihm im Weg steht und so händigt der Besitzer des Etablissements dem Berserker die Scheine aus, bevor alles zu Bruch geht. Marcello steht schuldbewusst dabei, dieses Biest lässt sich nicht bändigen oder beschwichtigen mit sanften Kosenamen wie die Hunde. Garrone seziert in seiner surrealistischen Parabel die Ursachen der Gewalt, im Prinzip ähnelt sie den mafiösen Strukturen, funktioniert wie Schutzgelderpressung oder Menschenhandel, auch wenn lediglich ein Einzelner sie verkörpert. Abends taucht unerwartet Simone bei Marcello auf, er soll den Fahrerjob übernehmen bei einem Bruch, sichere Sache, schnell erledigt. Marcello windet sich, bittet, bettelt, er will damit nichts zu tun haben. Sinnlos, wenn das glatzköpfige Ungeheuer einen fixiert, hat man keine andere Wahl, als dem Befehl Folge zu leisten.

Auf der Rückfahrt prahlen die Einbrecher damit, wie sie den kläffenden Chihuahua in den Freezer gesperrt haben. Marcello fragt ungläubig nach, kann solche Brutalität kaum fassen. Mit ein bisschen Geld für Sprit und zwei kärglichen Schmuckstücken wird er für seine Dienste abgespeist. Sofort fährt er zum Tatort zurück, kein Risiko scheuend klettert er die Regenrinne hoch in die oberen Stockwerke und sucht in dem Tohuwabohu, das Simone in der luxuriösen Wohnung hinterlassen hat, nach dem Tier. Tatsächlich liegt es erstarrt in der Gefriertruhe. Fürsorglich und voller Mitgefühl macht sich der Hundefriseur daran, den Winzling mit warmen Tüchern und tröstenden Worten wiederzubeleben. Simone lässt Marcello nicht in Ruhe, verlangt dauernd Kokain, hat aber kein Geld, zwingt den verschüchterten Familienvater, bei seinem Zwischenhändler auf Pump zu kaufen, der weigert sich, als er den Ex-Boxer erblickt, der ihm noch fünftausend Euro schuldet. Wieder hat Simone einen Aussetzer, randaliert, prügelt, greift sich das Kokain und nimmt seinen Schützling mit in einen schillernden Strip-Club, die hochgewachsenen Tänzerinnen mit ihren Engelsflügeln umgarnen den schmächtigen Protagonisten, er fühlt sich verzaubert wie in einem Paradies.

Beim Mittagstisch in der Trattoria diskutieren die Nachbarn, wie sie sich des lästigen Schlägers entledigen können. Polizei und Gefängnis sind keine Option, der Rabauke ist sofort wieder draußen und dann noch blutrünstiger als zuvor. Die einzige Möglichkeit wäre, jemanden anzuheuern, der ihn aus dem Weg schafft. Natürlich ist es auch eine Kostenfrage. Franco (Adamo Dionisi), der geizige Goldhändler klagt zwar am meisten, aber will da angeblich nicht mitziehen, wohl wissend dass die Anderen notgedrungen den schmutzigen Job ohne ihn erledigen werden. Doch die Schüsse auf Simone sind nicht tödlich, vielleicht wäre er verblutet, hätte nicht der schmächtige Marcello ihn aufs Moped gepackt und nach Hause gebracht, um dort die Kugel zu entfernen unter den kritischen Augen einer strengen Mama, deren Mitleid in Sekunden verfliegt, als sie das Kokain ihres Sohnes entdeckt. Kaum genesen, plant der Boxer den nächsten Coup, er will den Tresor des Goldhändlers ausrauben, sich durch die Mauer des Hundesalons Zugang verschaffen. Unser Protagonist ist verzweifelt, fleht, bettelt, die Leute mögen ihn, Franco ist ein Freund, er will all das nicht verlieren, aber wieder gibt er nach. Am nächsten Tag nimmt ihn die Polizei fest, Simone hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Einbruch im Dogman vorzutäuschen, im Gegenteil. Marcello hat nur zwei Möglichkeiten, den Täter nennen- oder sich für ihn opfern. Ob aus Angst oder Loyalität, der Hundefriseur lässt sich für ein Verbrechen verurteilen, das er nicht begangen hat.

Was verbindet die beiden Männer, die unterschiedlicher kaum sein könnten? Äußerlich erinnert Edoardo Pesce im ersten Moment an Roberto de Niro in Martin Scorseses Schwarz-Weiß-Drama „Raging Bull” (1980) und dessen innerer Zerrissenheit, die sich in blinder Wut entlädt. Simone und Marcello sind beide Außenseiter, eigentlich unerwünscht, höchstens geduldet in der kleinen beengten Community, wo der Respekt des Nachbarn unverzichtbar ist. Der Ex-Boxer kennt nur die Sprache der Gewalt, und auch der Besitzer des Dogmans spricht wenn, dann eigentlich nur mit den vierbeinigen Kunden. Er teilt die Abendmahlzeit liebevoll mit seinem Hund, versteht, dass der nicht aus dem Napf fressen will. Was für den einen die Faustschläge sind, ist für den anderen das unterwürfige melancholische Lächeln. Marcello Fonte wurde in Cannes als bester Darsteller ausgezeichnet, sein Gesicht ist der Spiegel aller Konflikte, den Kränkungen, der Schmach, Erniedrigungen, Abscheu und Verzweiflung, aber keiner reagiert, hilft, antwortet. Da bleibt nur Simone, der ihn bei der Gurgel packt und sagt „Ich bin dein Freund”, ob Frage oder Befehl, es duldet keinen Widerspruch. Und irgendwo bewundert der schmächtige Mann den tyrannischen unerschrockenen Riesen, vor dem alle sich fürchten, wie viel besser als selber immer in Angst zu leben, ohne jeder Sicherheit, die einzige Konstante im tägliche Existenzkampf ist da der ausbeuterische Gigant, vielleicht lieber Opfer sein als ein Niemand.

Nach dem Jahr im Gefängnis kehrt er in seinen Laden zurück, wird in der Nachbarschaft völlig ausgegrenzt. Simone zeigt sich keineswegs dankbar, im Gegenteil, er ignoriert ihn, braust mit seinem neuen Motorrad grußlos auf der Strandpromenade an ihm vorbei. Als Marcello seinen Anteil an der Beute fordert, lacht er ihn aus. Die erste Reaktion ist Zorn, doch dann wechseln die Rollen, aus dem Opfer wird ein Täter. Marcello will seine Würde zurück, er überlistet den gierigen Verräter. Ganz langsam entwickelt sich die politischen Allegorie von der Charakterstudie weg zum biblisch-mythischen Rache-Epos. „Dogman” basiert auf einem wahren Mordfall der Achtziger Jahre, Italiener kennen „il delitto del Canaro”, aber es war nie das makabre blutige Verbrechen, das Matteo Garrone inspirierte, sondern ein Bild, „die Umkehrung der Perspektive”, schreibt er in seinen Produktionsnotizen: „ein paar in Käfige gesperrte Hunde, die eine Explosion menschlicher Bestialität miterleben.” Es geht um den Verlust der Unschuld, „die Konsequenzen der Entscheidungen, die wir täglich treffen, um uns über Wasser zu halten; mit den Jas, die ein späteres Nein ausschließen; mit dem, was wir sind und was wir zu sein glauben.” Es war Marcello Fontes Liebenswürdigkeit und sein historisch anmutendes Gesicht, das aus einem Italien zu kommen scheint, das im Verschwinden begriffen ist, die dem Regisseur offenbarten, „wie er mit dem düsteren Thema umgehen sollte, das mich jahrelang ebenso angezogen wie abgestoßen hat und mit einer Figur, die ich zeigen wollte: einem Mann, der sich nach einem Leben voller Demütigungen zu erlösen versucht und schließlich der Illusion hingibt, nicht nur sich selbst befreit zu haben, sondern auch seine Umgebung, vielleicht sogar die ganze Welt. Die aber bleibt immer die gleiche- und nahezu teilnahmslos.”

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Originaltitel: Dogman

Regie: Matteo Garrone
Drehbuch: Ugo Chiti, Maurizio Raucci, Matteo Garrone, Massimo Gaudiso
Darsteller: Marcello Fonte, Edoardo Pesce Alida Baldari Calabria, Nunzia Schiano, Adamo Dionisi
Produktionsland: Italien, Frankreich, 2018
Länge: 102 Minuten
Kinostart: 18. Oktober 2018
Verleih: Alamode Filmverleih

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Alamode Filmverleih

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