Film

War Maïwenns gefeierter Film „Mon Roi“ (2015) eine Chronik weiblicher Ohnmacht, so ist ihr bildgewaltiges tragisch-romantisches Historien-Epos „Jeanne du Barry“ das Gegenteil: ein Triumph des Aufbegehrens, der Selbstbehauptung und Leidenschaft in einer verrückten Welt.

 

Die 47jährige französische Regisseurin inszeniert sich selbst in der Rolle jener königlichen Kurtisane, eine Frau deren Lachen, Charme, Intelligenz und Ironie Louis XV. nicht widerstehen konnte, eine Frau, die früh gelernt hatte, ihre wahren Gefühle eigentlich nie zu offenbaren.

 

Johnny Depp („Pirates of the Caribbean“, 2017) übernahm den Part von Louis XV. Er war nicht die erste Wahl der Autorenfilmerin, aber vielleicht eine ganz bewusste und provokante Entscheidung. Schon vor der Galapremiere in Cannes wetterten die Pressevertreter gegen den Film und das Comeback des wegen seiner Scheidungs-Schlachten inklusive juristischem Nachbeben umstrittenen Hauptdarstellers. Über Jahre hinweg Lieblingsthema eben genau jener Journalisten. Maïwenn scheut nicht die Konfrontation und gilt als Kritikerin der #MeToo Bewegung, wohlgemerkt niemand versteht sich besser auf die Darstellung toxischer Beziehungen als sie. Ihre Filme sind deutlich autobiographisch geprägt. Aggressiv reagierte sie aber auf die Art der Berichterstattung über ihren Ex-Ehemanns, dem Regisseur Luc Besson („Nikita“ 1990) und dessen inzwischen eingestelltes Strafverfahren wegen Vergewaltigung. 

 

Frankreich, Mitte des 18. Jahrhunderts. Jeanne Vaubernier (Maïwenn), uneheliche Tochter einer Näherin und eines Franziskanermönchs, verzaubert schon als Kind durch ihre Schönheit, die Natürlichkeit ihres Charmes Künstler und Adlige. Sie steht Modell, den väterlichen Gönnern folgen die weniger fürsorglichen Liebhaber. Männer wie Comte du Barry (Melvil Poupaud) umschwärmen sie, suchen ihre Nähe, spekulieren auf gesellschaftlichen Aufstieg an ihrer Seite und den Profit aus ihren lukrativen Liebesabenteuern. Ein perfides System der Ausbeutung, aber Jeanne kennt die Mechanismen, weiß sie für sich zu nützen, stilisiert sich zum betörenden Engel der Sinnlichkeit. Die Heirat mit Comte du Barry ermöglicht ihr den Zugang am Hofe von Louis XV.

 

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Direkter Blickkontakt mit dem Monarchen ist in Versailles strengstens untersagt, könnte er doch als Einladung zur Frivolität aufgefasst werden. Jeanne bricht bewusst die Etikette, als sie vor versammeltem Hofstaat den alternden König strahlend anlächelt, der spürt die Ironie, bewundert ihren Mut. Louis XV. erwacht aus seiner Erstarrung, verteidigt die irrwitzige Amour fou gegen alle Anfeindungen von Familie, Ministern und dem Adel. Die beiden genießen es, von nun an gemeinsam die rigiden höfischen Regeln zu brechen. Jeanne trägt gerne Männerkleidung, tritt auf im Partnerlook mit dem Monarchen, aber sie revolutioniert nicht nur die Mode. Ihre Unberechenbarkeit, ihr unvergleichliches Lachen prägt das vielschichtige Leinwand-Epos, -eine Traumrolle für Maïwenn.

 

Unberechenbar gibt sich Maïwenn auch als Regisseurin: Was sie mit virtuosen Gespür für Ästhetik opulent und amüsant vor der historischen Kulisse von Versailles in Szene setzt, ist in letzter Konsequenz von genauso schmerzhafter Intensität wie damals „Mon Roi“ mit Emmanuelle Bercot und Vincent Cassel. Jene Chronik einer selbstzerstörerischen Amour-Fou inszenierte die französische Filmemacherin als mitreißenden rauschhaften Taumel der Gegensätze und Leidenschaften. Große Gefühle in Nahaufnahme: spontan, verstörend, schonungslos, doch für Momente immer wieder voll irrwitzigem Zauber. Maïwenn versteht sich auf Bilder, die unter die Haut gehen. Genauso schonungslos wie sie in ihrem Sozialdrama „Poliezei” (2011), den Alltag einer Pariser Kinderschutzeinheit schilderte, beschreibt sie nun die Abgründe dieser verhängnisvollen perfiden Beziehung. „Mon Roi” hat keine Angst vor Hässlichkeit, fasziniert grade durch sein Streben nach Wahrhaftigkeit. Wir erinnern uns, am Morgen nach der ersten Liebesnacht fragt sie ihn, ob er auch einer dieser ‘connards’, dieser Mistkerle, sei. „Nein”, sagt er aus tiefster Überzeugung, und fügt dann hinzu, er sei der „König der connards". Es klingt wie charmante Koketterie, halb scherzhaft, entspricht aber irgendwo durchaus der Realität. „Mon Roi” heißt der Film nach einem Chanson von Elli Medeiros aus dem Jahr 1986 „Toi, toi mon tout mon roi”. Die Protagonistin kürt den Geliebten zu ihrem König. Jede Umarmung ist von hemmungsloser Leidenschaft, auch wenn die beiden aneinander scheitern, sind sie doch auf seltsame Art füreinander bestimmt. Georgio entwickelt eine beängstigend Nonchalance, mit der er Tony verletzt, demütigt, als wäre Rücksichtslosigkeit ein Synonym für Selbstverwirklichung.

 

Und hier nun tritt Johnny Depp an als Louis XV. Bleich, schmal, müde, gealtert, irgendwie zerbrechlich und doch der Inbegriff von Macht, ein Gesicht, das Ablehnung signalisiert, um seine Gunst buhlen alle. Der Verschleiß an Geliebten ist wohl bekannt, gehört zum königlich patriarchalischen Image und doch scheint ihn nichts wirklich zu berühren, ennui de vivre, man spürt den Lebensüberdruss. Was immer er verkörpert, es ist das Gegenteil von Tonys vergöttertem König, dem Restaurantbesitzer Georgio, Draufgänger, Dandy, der sein Dasein als wundervolle chaotische Dauer-Party zelebriert, Geselligkeit in der Endlosschleife, nur nicht zur Besinnung kommen, um jeden Preis im Mittelpunkt stehen. Er kann brillant, ungeheuer witzig sein, mondän, verspielt, grenzenlos egoistisch, der geborene Verführer und Manipulator, einfach unwiderstehlich. Einer Naturgewalt gleich war er aufgetaucht, hatte das Objekt seiner Begierde umworben und erobert. In „Jeanne du Barry- die Favoritin des Königs“ sind die Rollen vertauscht, die Protagonistin ist die geborene Verführerin, und doch, wenn sie Louis XV. gegenübertritt und ihn alle Regeln zum Trotz anlächelt, den Hofknicks zu einer ostentativen Performance in Slow Motion stilisiert, beweist sie ungeheure Courage und der König spürt, dass ihm jemand gegenübersteht, der ihm absolut ebenbürtig ist – unabhängig von der Herkunft. Seine schmalen Lippen zeigen den Anflug eines ironischen Lächeln, Signal des Einverständnisses.

 

Die Beziehung zwischen den beiden entwickelte die unerwartete Intensität einer Seelenverwandtschaft, beide huldigen ausgelassen der Provokation, ihre Liebe ähnelt einem Pas de deux, kreativ, grenzenlos verspielt. Dass es um Gefühle und nicht nur um körperliche Attraktion geht, ist vielleicht die größte Provokation für Hofstaat und Familie. Nichtsdestotrotz nimmt sich die Zärtlichkeit winzig aus in den historischen Hallen wie dem Versailler Spiegelsaal. Ästhetisch atemberaubend wie Maïwenn und ihr Kameramann Laurent Daillant den wahnwitzigen Pomp und die Schönheit jener Epoche visuell umsetzen. Der Monarch verwöhnt seine zur Favoritin erklärte Mätresse mit Schmuck, einem eigenen schlossartigen Domizil und doch steht die Vergangenheit zwischen ihnen wie eine unüberwindbare Mauer. Noch immer frequentiert Louis XV. andere Geliebte, auch wenn, es mag sentimental klingen, sein Herz Jeanne gehört. „Der Premierminister wird nicht dulden, dass ein Straßenmädchen zu Eurer Entourage gehört", kontert er mit: "Sie ist meine Entourage.“ Und sie, die früher jedes „Ich liebe Dich“ zu Recht ungeduldig beiseite schob mit einem „Das ist keine Liebe“, fühlt sich zum ersten Mal mit einem Menschen zutiefst verbunden.

 

Maïwenn erkennt sich in der Protagonistin wieder, früh als Kinderstar vermarktet, begann mit 15 ihre Beziehung zu Regisseur Luc Besson. Plötzlich stand sie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und fühlte sich doch seltsam machtlos. Die Faszination mit der Favoritin des Königs begann 2006, als sie im Kino Sofia Coppola „Marie-Antoinette“ sah, Asia Argento spielt die Rolle der Jeanne du Barry. Doch es war nicht nur die Ähnlichkeit ihrer beider Leben, die Regisseurin verliebte sich in die Gestalt und die Epoche. Der Wunsch einen Film über sie zu drehen war sofort da aber nicht der Mut, die Selbstzweifel überwogen, erst nach den Dreharbeiten zu „Mon Roi“ fühlte sie sich der Aufgabe gewachsen und begann mit den Recherchen. Das Drehbuch schrieb sie zusammen mit Teddy Lussi-Modeste, Nicholas Livecchi. Für diesen eher wortkargen Film veränderte die Regisseurin ihren Erzähl-Rhymus radikal, erklärte die Kamera, das Licht, zum eigentlich Star. Spät hatte sie „Barry Lyndon“ entdeckt, es war nach ihren Worten wie ein „gewaltiger Schock" und bestärkte Maïwenn, die Codes des Klassischen nicht zu brechen, sie entschied sich in 35mm zu drehen, weil die Körnung, die Farben der Realität entsprechen. Das Filmmaterial schafft eine besondere Spannung, vor und hinter der Kamera, lässt weniger Spielraum für Fehler. Die Regisseurin wusste, der Druck würde dem entsprechen, der in Versailles herrschte, wo Spontaneität nicht an der Tagesordnung war. Sie wechselt ständig die Tonart zwischen Tragik, Romantik und Komik. Mit komplizenhafter Solidarität degradiert sie die missgünstigen ständig moralisierenden Königstöchter zu unansehnlichen Cinderella-Karikaturen.  Eine Anspielung mit Gegenwartsbezug.

 

Die Szenen ähneln Gemälden des 18. Jahrhunderts, opulent, von exquisiter Ausstattung und atemberaubender klassischer Schönheit ganz in der Tradition von Kubricks „Barry Lyndon" (1975). Das Historien-Epos beginnt mit Voice-Over, hebt das Märchenhaft, Außergewöhnliche der Kindheit und Jugend von Jeanne hervor. Von klein auf an war sie versessen auf Literatur und Kunst. In den Jahre an der Seite des Königs erfüllen sich viele ihrer Träume, und doch ist es eine fragile Existenz, denn sie ist völlig vom Wohlwollen seiner Majestät abhängig. Wie Cécile Berly schreibt, „lebt die Comtesse du Barry in einer Gesellschaft, in der Frauen nicht nur „unsichtbar“ sind. Für sie gibt es keinen Platz im öffentlichen Raum. Ihr Platz ist der des Heims, der häuslichen Aufgaben. Innerhalb dessen, was im 18. Jahrhundert als öffentliche Meinung bezeichnet wird, sind die Frauen, die öffentlich existieren, die öffentlichen Frauen. Also die Prostituierten." So konnten in Venedig die Kurtisanen im Gegensatz zu den verheirateten Frauen Bibliotheken aufsuchen. 

 

Bei Maïwenn ist Jeanne nicht mehr nur das skandalträchtige Geschöpf. Sie entmythologisiert die königliche Favoritin, die seit Jahrhunderten die Fantasie beflügelt hat, verleiht ihr Menschlichkeit, unterstreicht ihre Willensstärke in einer Epoche, wo Frauen keinen Zugang zur politischen Macht besaßen. Wenn Jeanne nach außen auch immer strahlende Überlegenheit und Selbstbewusstsein demonstriert, so gibt es Momente im Film, die zeigen wie fragil, verletzlich und abhängig sie letztendlich ist von dem Wohlwollen bei Hofe. Berührend ihre Erleichterung, wenn sie wieder eine der widersinnigen gesellschaftliche Hürden genommen hat inmitten von Intrigen, Neidern und Machtkämpfen, wohl wissend, dass fast alle sie zutiefst verachten. Welche Demütigung. Und doch eins will sie nie sein: ein Opfer. Doch dann erkrankt der König. 

 

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Originaltitel: Jeanne du Barry

Regie: Maïwenn

Drehbuch: Maïwenn, Teddy Lussi-Modeste, Nicholas Livecchi

Darsteller: Maïwenn, Johnny Depp, Pierre Richard, Benjamin Lavernhe

Produktionsland: Frankreich, 2023

Länge: 116 Minuten 

Kinostart: 24. August 2023 

Verleih: WildBunch Germany und Alamode

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: © Stéphanie Branchu - Why Not Productions. WildBunch Germany

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