Film

„The Banshees of Inisherin“ erzählt von dem Zerbrechen einer platonischen Männerfreundschaft -schmerzhaft wie das Ende jener romantischen großen Liebe, die doch nur der Tod hätte trennen dürfen. 

Es ist der berührendste, der schönste Film von Martin McDonagh, eine Parabel über die Sinnlosigkeit der Kriege: Zärtlich, kauzig, komisch, anarchisch und unendlich traurig, wenn Zorn oder Enttäuschung in grotesker Gewalt eskalieren. Eine melancholisch düstre Welt, durchdrungen vom Absurden in der Tradition Samuel Becketts. Schauspielerisch grandios: Colin Farrell und Brendan Gleeson. 

 

Irland 1923. Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) ist Kleinbauer und Junggeselle, keiner der sich viel Gedanken macht, warum sollte er auch. Drüben auf dem Festland, dort wo der Bürgerkrieg tobt, würde man ihn vielleicht als einfältig bezeichnen, mit Mitte Vierzig strahlt er die schlaksige Unbekümmertheit eines liebenswerten zappeligen Jungen aus. Sein Leben auf der kleinen (fiktiven) Insel Inisherin folgt seit jeher der gleichen Routine, erst kümmert sich Pádraic um die Kühe, dann um zwei Uhr mittags holt er seinen besten Freund, Colm Doherty (Brendan Gleeson) ebenfalls unverheiratet, zum gemeinsamen Pub-Besuch ab. Doch an diesem Tag bleibt die Tür von Colms weiß getünchtem Cottage verschlossen. Der Fiedelspieler will nichts mehr von ihm wissen, nie mehr mit ihm sprechen. Verwirrt, geschockt, überrascht vermutet Pádraic im ersten Augenblick einen April-Scherz, pocht auf eine Erklärung, er kann, will die bittere Wahrheit nicht akzeptieren.

 

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Der Zuschauer rätselt genau wie der verzweifelte Protagonist, was hat diese Entscheidung ausgelöst? Oder ist Colm vielleicht depressiv? (Und tatsächlich quälten ihn in der Vergangenheit Depressionen, das aber vertraut er nur seinem Beichtvater an). Sollte Pádraic sich zurückziehen oder versuchen die Meinung des (Ex-) Freundes zu ändern? Von einem Moment auf den anderen scheint alles in Frage gestellt. „Ähnlich fühlt man sich, wenn man in einer Beziehung verlassen wird", sagt Martin McDonagh: „Man denkt, hast Du mich überhaupt jemals gemocht oder habe ich mir nur eingebildet, wir seien ineinander verliebt? Es ist interessant zu sehen, mit wem sich das Publikum identifiziert…“ Doch Colm hat seine Gründe, in ein paar Jahren wird er Siebzig, will seine Zeit nicht länger verschwenden und sich voll und ganz seinen künstlerischen Unternehmungen widmen: Musik oder Nachdenken. Bei beidem stören die weitschweifigen banalen Ausführungen des Kleinbauern über die Verdauungsprobleme seines geliebten Miniatur-Esels. Der Jüngere langweilt Colm einfach nur, als Gesellschaft reicht ihm sein treuer Border Collie. Und das gibt er dem ehemaligen besten Freund auch unmissverständlich zu verstehen, der entgegnet, es hätte sich um die Verdauungsbeschwerden des Esels gehandelt. Mit gewissem Unbehagen fragt sich mancher insgeheim (falls er/sie den Mut zu solchen Selbstzweifeln besitzt), wie oft ihm dergleichen schon passiert ist. Glaubt doch jeder, was ihn bewegt, würde auch den Gegenüber brennend interessieren. Künstler inbegriffen, Vorurteile seien ausnahmsweise erlaubt. 

 

Colm fühlt sich zu Höherem berufen, er will eine Melodie komponieren, ein Meisterwerk, um unsterbliche Berühmtheit zu erlangen wie Mozart. Wann genau letzterer gelebt hat, weiß nur Sinobhán (hinreißend Kerry Condon), Pádraics Schwester, sie ist belesen, versteht als Einzige die Argumente beider Männer, deren Dasein seit Jahrzehnten von Einsamkeit geprägt ist, ohne dass sie sich dessen je bewusstwurden. Die abgelegene Insel zu verlassen, daran hat nie einer von ihnen gedacht, außer Sinobhán. In der Ferne hört man vom Festland die Kanonen und Gewehrsalven, doch den Bürgerkrieg ignorieren die InselbewohnerInnen. Es ist eine konservative patriarchalische Dorfgemeinschaft, die Männer eher schweigsam, mürrisch, Gefühle zu thematisieren, scheint hier unvorstellbar. Der Blick von Colms Cottage über die rauen Felsen, grünen Weiden und steilen Kliffs ist atemberaubend schön, doch die rigide Beharrlichkeit der feindlichen Positionen bleibt davon unbeeindruckt. Pádraic insistiert, lässt nicht los, wie auch, ein Dasein ohne seinen mürrischen Buddy als Bezugspunkt wäre unerträglich. Wie diese Freundschaft früher einmal aussah, lässt sich schwer vorstellen, wohl keine auf Gemeinsamkeiten beruhende Seelenverwandtschaft, aber vielleicht ob mangelnder Alternativen von existenzieller Bedeutung.

 

Spoilerwarnung: Ruhm oder Kunst als Selbstverwirklichung lässt Pádraic nicht gelten, er findet es wichtiger ein „netter" Mensch zu sein, der Einwand wird höhnisch abgetan, jede Art von Charme-Offensiv scheitert kläglich. Colm stellt ihm ein Ultimatum, droht bei jeder weiteren verbalen Belästigung, sich einen Finger abzuschneiden. Brendan Gleeson über seinen Part: „Das ist ein bisschen wie nukleare Abschreckung. Colm denkt sich: Wenn ich mit dieser schrecklichen Sache drohe, dann wird nichts passieren. Symbolisch droht er damit, seine eigene Gabe der Musikalität zu zerstören und sieht das als Ausdruck besonderer Entschlossenheit an." Der zornige Quälgeist schenkt den Worten keinen Glauben, der erste blutige Finger vor der eigenen Haustür zumindest hätte ihn zum Schweigen bringen sollen, aber die Situation ist längst außer Kontrolle geraten, der nächste Finger muss daran glauben, das Absurde nach Beckett-Manier übernimmt: Jenny, Pádraics geliebter kleiner Esel verschluckt sich an einem der blutigen Finger und erstickt. Als Rache geht Colms Cottage in Flammen auf.  Ende der Spoilerwarnung

 

Die Welt in den Bildern des britischen Kameramanns Ben Davis ist verhangen mit grauen Regenwolken, die Wege matschig, jede Form der Zärtlichkeit verschwunden, die Einsamkeit hat alles verschlungen. Verwitwet, Single oder wie der gutherzige Dorftrottel, Dominic Kerney (Barry Keoghan), vom Vater immer wieder aufs Grausamste verprügelt. Der widerwärtige Police Officer Peadar Kearny (Gary Lyon) überwacht auf dem Festland Exekutionen, sechs Shilling pro Stück. Nachts betrinkt er sich beim Masturbieren bis zur Besinnungslosigkeit. Dominic klaut ihm den Schnaps, um ihn mit Pádraic zu teilen, er ist unsterblich verliebt in dessen Schwester Siobhan, ein Narr nach Shakespeare-Art, sein Blick auf die Wahrheit ist klarer als die der anderen. Er ist linkisch, aber integer, genießt seine Triumphe der Überlegenheit, wenn er dem Kumpel berichtet von dem häßlichen winzigen braunen Penis seines schnarchenden Vaters. 

 

Acht Golden-Globe-Nominierungen erhielt „The Bansheese of Inisherin“, in Venedig bei den Filmfestspielen 2022 wurde Colin Farrell als Bester Schauspieler ausgezeichnet und Martin McDonagh für das Beste Drehbuch, dem Leinwand-Epos werden große Chancen auf einen Oscar prophezeit. Der tiefschwarze bittere Humor dieser poetisch rauen Tragikkomödie ist umwerfend und subtiler als in „Brügge sehen… und sterben“ (2008). McDonagh, Sohn irischer Eltern, hatte nach der US-Produktion „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ (2017) unbedingt wieder in Irland mit dem Duo Farrell-Gleeson drehen wollen. Was beide Filme verbindet ist, dass ihre Protagonisten nie wirklich boshaft sind und auch wir als Außenstehende werden nie verführt zur Gehässigkeit, wir lachen, spüren das Groteske und fühlen zugleich, wie schmerzhaft eine solche Situation für die Beteiligten ist. Wo Zuneigung verschwindet, gibt es kaum Kompromisse, was immer sich als emotionale Notlösung auch empfiehlt. Die beiden ehemaligen Freunde haben mehr gemeinsam als ihre obsessive Beharrlichkeit, das zeigt das tragische Ende des Films. Die gemeinsamen Jahrzehnte werden sie über die Tod hinaus verbinden.  

 

Alle BewohnerInnen der Insel haben ihre eigenen Kämpfe, ihre eigene Traurigkeit, ihre eigenen Geheimnisse und sind meschuggeauf sehr unterschiedliche und eigene Weise. „Archetypen zusammengebracht“, so Farell, „um für ein gewissen Maß an Chaos zu sorgen, aber nicht Chaos um des Chaos willen.“ „Ich wollte, dass die Nebenfiguren allesamt ein Eigenleben führen“, erklärt der Regisseur. „Jeder Menschen ist in seinem eigenen Film die Hauptfigur, und so sollte man auch alle Nebenfiguren behandeln. Weil es diesen kleinen Krieg zwischen diesen beiden Typen gibt, muss man ein Gefühl dafür bekommen, wie die Gemeinde reagiert und damit umgeht und auf welche Seite sich die Leute stellen“. Trotz des nächtlichen Kanonenfeuers vom Festland wollen die Menschen nicht darüber reden, was sich auf der anderen Seite des Wasser abspielt. „Der Krieg kümmert sie nicht“, sagt Kerry Condon: „Es ist, als wären sie ein abgetrenntes Land- ein abgetrenntes kleines Alles“. Der Bürgerkrieg „als ein katastrophales Nebenprodukt der aus dem Kampf um Freiheit entstehen kann. Im Falle des irischen Konflikts stellten sich Bruder gegen Bruder und Freund gegen Freund.“

 

Der Titel des Films bezieht sich auf eine legendäre geisterhafte Figur aus der irischen Mythologie, die in der Nacht ihre schrille Stimme erhob, um einen Tod in der Nähe anzukündigen. „Wenn Du hörst, wie sie ihre Melodie anstimmt“, so Farrell, „ist es bereits zu spät für dich…. Obwohl es im Film niemals explizit angesprochen wird, ist eine alte Frau auf Inisherin, Mrs. McCormick, gespielt von Sheila Flitton, die Verkörperung der Banshee- der Todesfee. Sie ist so etwas wie der böse graue Wachhund der Insel, die sich körperlich nie groß in die Angelegenheiten der anderen einmischt- sie hält sich lieber am Rand, schaut von draußen zu. Sie scheint eine Art merkwürdiges ätherisches Wissen darüber zu besitzen, wo die Menschen der Insel verletzlich sind. Was ist ihr wunder Punkt? Wo kann man sie am besten angreifen? Sie ist fasziniert vom Tod.“ Der Filmtitel bezieht sich außerdem auf ein Musikstück, das Gleesons Figur im Verlauf der Handlung komponiert. „Während sich die Geschichte entwickelt und entfaltet, wird das Lied durch Colms Fiddlespiel zu Leben erweckt“, erklärt Farrell. „Ich sage, es gibt keine Todesfeen auf Inisherin. Er sagt, dass es vielleicht welche gibt, aber er glaubt nicht, dass sie Männer wirklich ins Verderben schicken. Er denkt, dass sie einfach nur dasitzen und zusehen."

 

Die Klügste und Vernünftigste auf der Insel ist ohne Zweifel Siobhán. Ihr sind die Schwächen der Dörfler bewusst. Nur nach innen zu schauen und nachtragend zu sein, wird letztendlich deren Untergang. Sie hat Ambitionen, die größer sind als die Insel, auf der sie ihr ganzes Leben verbracht hat. Ihr ist auch klar, dass Pádraic sie braucht, er treibt sie manchmal fast in den Wahnsinn, wie das bei Geschwistern nur zu oft der Fall ist und doch sorgt sie wie eine Mutter für ihn,  nun aber kommt die Stunde der Trennung. 

 

YouTube:
THE BANSHEES OF INISHERIN - Offizieller Trailer (20th Century Studios DE; 1:34 Min.)


The Banshees of Inisherin 

Regie: Martin McDonagh

Drehbuch: Martin McDonagh

Darsteller: Brendan Gleeson, Colin Farrell, Kerry Condon, Barry Keoghan, Gary Lyon

Produktionsland: Irland, USA, Großbritannien

Länge: 114 Minuten 

Kinostart: 5. Januar 2023

Filmverleih: Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

 

Fotos, Pressematerial & Trailer: © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

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