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Das russische Trio Vedan Kolod aus dem sibirischen Krasnojarsk widmet sich mit einem neuen Album, namens „The Tale of Igor’s Campaign“, ganz dem Mittelalter und dem Epos der Kiewer Rus.

Wörtlich aus dem alt-ost-slawischen übersetzt heißt die Dichtung: „Lied von der Heerfahrt Igors“, heute schlicht als das „Igorlied“ bekannt.

 

Namens- und Geschichtsgeber ist Igor Swjatoslawitsch. Er war ein russischer Fürst, der im Jahr 1185, vom heute ukrainischen Nowgorod-Sewersk (Nowhorod-Siwerskyj) einen Feldzug gegen die Polowzer Fürsten, die Stämme Kiptschak oder Kumanen, deren Siedlungsgebiet südlich des Dons lag, unternahm. Der Feldzug gegen diese halbnomadischen, teils heidnischen, teils muslimischen und turko-sprachigen Steppenbewohner missglückte, Igor geriet in Gefangenschaft, konnte jedoch entkommen.

 

Das „Igorlied“ blieb mit seinen lediglich 219 Strophen übrig, war lange verschollen. Das Originalmanuskript tauchte in einem Kloster in Jaroslawl auf und wurde 1795 mit anderen handgeschriebenen Texten verkauft. Gut, dass es ab 1800 Abschriften gab, denn das Original verbrannte bei Napoleons Russlandfeldzug 1812 in Moskau. Zwar gibt es einige Forscher, die die Echtheit des Manuskripts anzweifeln, weil es zu viele Ähnlichkeiten mit einem anderen Epos – von der Schlacht am Don – aufweist, das aus dem späten 14. und frühen 15. Jahrhundert stammt. Die inhaltliche Bedeutung jedoch hatte über Jahrhunderte Bestand. Insbesondere im 19. Jahrhundert und dem Erwachen der europäischen Nationalstaaten wurde das „Igorlied“ in Osteuropa, aber auch in Deutschland populär. Rainer Maria Rilke war einer der Übersetzter in die deutsche Sprache. Die Oper „Fürst Igor“ aus dem Jahr 1890 von Alexander Borodin basiert auf dem lyrischen Epos.

 

Es beklagt die Uneinigkeit der Russen und das Fehlen eines zentralen Herrschers. Dazu ein häufig zitiertes Fragment daraus:

Es ist schwierig für den Kopf

ohne Schulter zu sein.

Aber es ist genauso ein Unglück

für den Leib, ohne Kopf zu sein.

 

Vedon Kolod Igorlied COVERFestgelegte Melodien gibt nicht (mehr) und so hatten Vedan Kolod musikalisch bei der Vertonung freie Hand. Historische, teilweise schamanische Instrumente begleiten den Text. Textpassagen werden u.a. von dem einst in Gorki lehrenden Literatur- und Philosophieprofessor Lev Ivanowitsch Skvortsov seriös-pathetisch und mit getragener Stimme vorgetragen. Daryana Antipova, Mitgründerin von Vedan Kolod, studierte bei ihm am Institut für Literatur der Universität von Gorki.

 

Viele Textpassagen werden der Musik angepasst, gesungen oder auch instrumental begleitet – mal ist es auch andersherum. So muten die 24 Stücke wie aus der Zeit gefallen an. Das sollen sie auch, und dies macht dieses Album zu einem sehr besonderen Erlebnis, weil man einerseits ins russische Mittelalter akustisch eingebettet wird als auch in eine Tradition des lyrisch-epischen Vortrags, der bis in die Sowjetzeit hinein in dieser Art und Weise zu hören war: gesetzt, getragen, heroisch.

 

Die große Eigenleistung des Trios ist so gut versteckt, dass der Hörer glaubt, es handle sich um authentische Stücke, Melodien und Gesänge des frühen 13. Jahrhunderts. Wenig verweist auf die heutige Zeit auf dem zeitgenössischen Abspielmedium.

Es wird sicherlich schwierig sein, eine solche CD erfolgreich auf dem deutschen Markt zu etablieren, aber seien Sie versichert, dies ist nicht nur etwas für Russlandfreunde, Slawisten, Fans des Mittelalters, sondern auch grundsätzlich für Liebhaber von Weltmusik und akustisches Reisen.


Vedan Kolod: The Tale of Igor’s Campaign

Tatiana Naryshkina, Valerii Naryshkin, Daryana Antipova, Special guest/Lesung: Prof. Lev Skvortsov (Gorki)

Label: CPL Music

CD. Außer einem einführenden Text in englischer Sprache sind alle Texte und Informationen im Booklet zu den Stücken in russischer Sprache

EAN 4251329500399

VÖ: 4.9.21

 

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