Meinung
Foto Mario Sturm

...beginne ich, indem ich mit meinem Navi streite. Das tut so, als wüsste es nicht von der traurigen Tatsache, dass es in dieser Stadt mehr Baustellen als Kulturgüter gibt und will mich beharrlich auf Wege locken, die augenblicklich streng verboten sind.
Schließlich kommen wir gemeinsam trotz allem in die Lange Nacht der Museen in Hamburg und zum Geologisch-Paläontologischen Museum im CeNak.

Was jedoch ist CeNak? Auf jeden Fall nicht die weiße Vermummung von Teilen des Gebäudes: dort steht unmissverständlich BAUSTELLE dran. (Wahrscheinlich, damit man es nicht für einen Einfall von Christo und Jeanne Claude hält.)
‚Forsch dich durch die Nacht‘, lautete die Aufforderung für 2018, illustriert durch das Abbild eines kleinen Sauriers, der sich offenbar gerade aus dem Ei stemmt. Das hat mich inspiriert zum Besuch des ersten Museums.

Hoehlenbaer Foto Dagmar SeifertPaläontologie ist die Wissenschaft von Lebewesen vergangener Erdzeitalter.
Im unteren Stockwerk steht eins in einer Vitrine: der berühmte Eiszeit-Höhlenbär. Vielleicht möchte er behaupten ‚Hier wache ich!‘ aber merkwürdigerweise sieht er wenig imponierend aus. Zwar besitzt er Zähne und Klauen, doch um bedrohlich zu wirken fehlt ihm etwas Fleisch auf den Rippen und vor allem der dicke Pelz.
Aufgerichtet war so ein Bär um vier Meter hoch – und trotzdem jagten ihn unsere tapferen Vorfahren. Sie portraitierten ihn auch an Felswänden, deshalb wissen wir, dass er einen bogenförmig gekrümmten Rücken besaß mit (vermutlich fetthaltigem) Höcker im Nacken. Wissenschaftler, die ihre Nächte damit verbracht haben, zu forschen, fanden heraus: dieser Bär ist nicht in erster Linie Raubtier gewesen. Seine Zähne verraten, dass er überwiegend pflanzliche Kost verspeiste – vielleicht am Wochenende mal etwas Fleisch. Gegen Ende der letzten Eiszeit, vor ungefähr 10.000 Jahren, verschwand er. Am Warum wird noch geforscht. Und er guckt wirklich etwas traurig, der ausgestorbene Bär.

Eine Treppe höher geht es heiter zu. Der Museumsleiter selbst, Dr. Ulrich Kotthoff, schaut sich, um eine Bestimmung bemüht, gern kleinere Fossilien (oder vermeintliche solche) an, die ihm Besucher unter die Nase halten. Es scheint sich damit ähnlich zu verhalten wie mit den meisten gefundenen Schätzen – sie sind nicht viel wert, weil eben nichts Besonderes…
Hinter einem Tisch mit handlichen Versteinerungen sitzt eine hübsche junge Dame und gibt Auskunft. Sie ist Studentin des Fachs und macht in dieser Nacht gerne Dienst, um Fragen zu beantworten. Als ich wissen will, was CeNak bedeutet, ist sie allerdings selbst etwas ratlos. Also zumindest, was das genau heißt. Dafür darf ich mir ein paar – zwar nicht versteinerte, aber immerhin mineralisierte – Haifischzähnchen aus einem Karton angeln. Das darf heute jeder, solange der Vorrat reicht.
Eine Besucherin erklärt, sie sei Kindergärtnerin, die Kleinen lieben alles, was mit Haifischen zu tun hat, weil das so schön gefährlich ist. Und wirft sich bäuchlings über den Tisch, um den Karton nach besonders gefährlichen Exemplaren zu durchwühlen…

Studentin vor Ammonit Foto Dagmar SeifertEine weitere Paläontologie-Studentin, Anna-Lena Geßner, sitzt vor einem gigantischen Ammoniten, der hinter ihr an der Wand hängt. Sie erklärt mir – und zeigt auch anhand verschiedener Versteinerungen in einer Vitrine – eine Menge über die ‚Loben‘ und ‚Sättel‘, das sind die wunderschönen Muster auf den Ammonitengehäusen.

Das oberste Museumsstockwerk beinhaltet Wendepunkte in der Entwicklung des Lebens auf diesem Planeten. Zuerst waren, wie’s aussieht, nun mal die Bakterien hier und ähnlich kleine Kerlchen, die sich nach und nach trauten, größer zu werden. Die Entwicklung der Quastenflosser – von denen das Gerücht geht, sie wären im Lauf ihres Werdegangs an Land gestiegen – und jene der Saurier zu Vögeln ist zu betrachten.
Als ich die Treppe wieder hinuntersteige, überkommt mich eine plötzliche Erleuchtung. Nämlich bezüglich dessen, was CeNak heißt. Denn da hängt groß und breit ein Schild mit der Aufschrift:
CeNak Centrum für Naturkunde. Klar, wenn man’s weiß…
Dieses Centrum besitzt drei Museen. Und eins will ich mir unbedingt noch ansehen: das Mineralogische!

Es zeigt ‚seltene und bezaubernde Funde aus dem Schoß der Erde‘. Wer sich was aus Schmuck macht, der sollte es besuchen.
Glücklicherweise komme ich genau zurecht zu einem Vortrag von Professor Jochen Schlüter über Meteoriten.
Die Stuhlreihen sind besetzt mit interessierten Zuhörern – ich kriege nur noch den letzten Platz, weil es mir gelingt, mich an einem Papa mit Kleinkind auf dem Schoß vorbeizuschlängeln. Das Kind, ein kleiner Junge von höchstens vier Jahren, hat seinerseits eine Menge zu Meteoriten zu sagen, sehr zur Freude des Publikums. Und auch der Professor schmunzelt.
Wir erfahren, dass eigentlich ununterbrochen Materie aus dem All bei uns aufschlägt, wenn auch in den meisten Fällen unhörbar, da bereits zu Staub zerfallen. Doch auch umfangreichere Brocken kommen an. Der größte Eisenmeteorit, von dem man weiß, steht im Guinness-Buch der Rekorde. Er wurde Anfang des 19. Jahrhunderts in Bitburg in einem Acker entdeckt und wog ungefähr anderthalb Tonnen. (Man kann in der Eifel die erstaunlichsten Sachen finden.) Dieser Meteorit schmolz buchstäblich schnell dahin, weil man damals einfach bemüht war, das Material zu nutzen, ohne jede Ehrfurcht vor dem wissenschaftlichem Wert.
Wir sehen Filme von einem über den Himmel schnürenden Feuerball – der dazugehörige Lärm kommt, wie bei Gewitter, erst später an. Ein Bild von einem Wagen, der eh schon Schrott war und noch einen Himmelskörper auf den Kotflügel bekam – der kleine Junge neben mir kräht: „Was für ein Glück, das hat ja keinem geschadet!“ Da können wir alle nur zustimmen.
Erschlagen wurde bisher noch niemand von so einem Ding. Nur eine Dame, der einer durch’s Dach fiel, an der Kommode abprallte und nach ihr trat, erlitt einen riesigen blauen Fleck auf der Hüfte.

VitrinenWie groß ist die Gefahr, dass demnächst das Leben auf unserem Planeten ausgelöscht wird durch den nächsten gigantischen Besucher? Nicht so gewaltig, meint Professor Schlüter. Jedenfalls, wenn man sich nach den Beobachtungen und Erwartungen der Astronomen richtet. Doch kann natürlich niemand sagen, ob nicht plötzlich ein unbekannter Meteorit außerfahrplanmäßig hereinschneit.
In den Vitrinen des Museums gibt es viele, viele schöne Steine zu betrachten. In einigen Räumen könnte man fast glauben, man befände sich bei Tiffany‘s.

Juwelen Foto Dagmar seifertJuwelen mit Geschichten liegen auch hier herum: der Koh-i-Noor beispielsweise, der größte Diamant der Welt, oder der blaue Hope. Ich fürchte jedoch, dass es sich dabei nur um Kopien handelt…
Vor dem Museum darf man unter fachkundiger Anleitung Gold waschen wie damals in Klondike. Mit plötzlichem Reichtum, der die Seele verwirren könnte, ist allerdings nicht zu rechnen. Es handelt sich um sehr geringe Mengen des Metalls.

Und nun habe ich das Bedürfnis, mein Lieblingsmuseum zu besuchen! Ich weiß, ich war schon zweimal in den ‚Langen Nächten‘ dort – aber das Programm ist doch jedes Mal ein anderes, nicht wahr?
Ich freue mich also, vor dem Museum für Hamburgische Geschichte einen erlaubten(!) Parkplatz zu bekommen und trete ein.
Da hält mich ein junger Mitarbeiter des Museums auf. Zuerst wünscht er mir viel Vergnügen. Sodann möchte er meine Handtasche haben.
Der junge Mann sagt in einiger Verlegenheit, so große Handtaschen müssten abgegeben werden. Das hätte der Veranstalter verfügt.
So große? Das ist für meine Begriffe (und ich glaube, etwas davon zu verstehen) eine völlig normal große Tasche.
Und wer, bitte, ist der Veranstalter? Kultursenator Dr. Brosda? Und wenn er so eine Vorschrift rausgibt, wieso haben mich dann die anderen beiden Museen nicht um meine Tasche gebeten?
Ich bin baff. Zwar kenne ich diese Regel von einigen Filmtheatern bei Pressevorführungen. Da muss man Tasche und Handy abgeben, weil sichergestellt werden soll, dass ein Film nicht heimlich kopiert und zu früh gezeigt wird. Aber im Museum?!
Ich spiele mit dem Gedanken, den gesamten Inhalt in meine Jacken- und Hosentaschen zu verteilen und dem jungen Mann die leere Handtasche auszuliefern. Aber das wäre ein mühsamer Spaß. Also drehe ich mich um und geh zurück zu meinem Auto auf dem schönen erlaubten Parkplatz. Das Museum für Hamburgische Geschichte ist seit heute nicht mehr mein Lieblingsmuseum…

Stattdessen fahre ich zum Speicherstadtmuseum, wo niemand das geringste Interesse an meiner Tasche hat. (Und, um das vorweg zu nehmen: auch im nächsten Museum werde ich deswegen nicht belästigt.)
Hier wird der authentische Rahmen eines Speicherblocks von 1888 gezeigt. Genau so haben also offenbar die Quartiersleute ihre Importgüter gelagert. Es duftet: Gewürze liegen auf den Fässern und Kisten, harte Stangen Zimt – daneben ungeröstete, grüne Kaffeebohnen.

Lesung SpeicherstadtmuseumÜbrigens beschäftigt sich eine dunkelhaarige Sängerin damit, Stimmung zu machen, begleitet von einem Akkordeonspieler. Es geht um Liebe, Meer und Sehnsucht und überhaupt. Birgit Lünsmann und Wolfgang Kauder singen und spielen zu jeder vollen Stunden und sie geben wirklich alles. Besonders Frau Lünsmann platzt vor Temperament fast aus den Nähten – es nützt bloß nicht viel. Hier und da klatscht jemand im Takt, neben mir singt sogar eine Besucherin gutwillig mit, weil es gefordert wurde. Aber richtig in Fahrt kommt das Publikum keineswegs, dazu ist man zu nüchtern und distanziert. Wir sind ja nicht am Rhein, oder? Hier amüsieren sich Hamburger. Die Sängerin wird das verstehen, auch sie ist in dieser Stadt geboren…
Und noch mehr Kultur mischt sich ins Merkantile der Speicherstadt. Nebenan, gewissermaßen in einer kleinen Filiale des Museums, blüht der Teppichhandel. Jedenfalls liegen dicke Stapel von Perserteppichen auf dem Boden und weitere Exemplare hängen an den Wänden.
In diesem Raum lesen die „Mörderischen Schwestern“ Monika Buttler und Angelika Svensson sehr gekonnt und pointiert Kurzkrimis.
Einige Zuhörer sitzen auf den bereitgestellten Stühlen. Viele jedoch (ich auch) können der Versuchung nicht widerstehen, sich auf einen der Teppichstapel zu pflanzen…
Die Nacht ist nicht mehr jung, als ich zum Auto zurück wandere. Aber richtig spät ist es auch nicht: eins geht noch!

Und zwar das Altonaer Museum.
Ich bin kaum eingetreten, da geht im Foyer eine ‚interaktive Rallye‘ los. Eine Person mit Hütchen und Luftballon fordert dazu auf, einen ganz besonderen Schatz zu finden: eine Flasche Rum! (Richtig, wir sollten uns ja durch die Nacht forschen.)
Wir werden zunächst zur ‚Reeperbahn‘ gebracht – in diesem Fall eine Reepschläger-Bahn. So fing ja auch die berüchtigte in St. Pauli einmal an – das heißt, früher hieß sie tatsächlich so.

Altonaer MuseumHinter dem Museumsraum mit dieser langen Bahn für die Herstellung von Schiffstauen – liegt einladend das Museumscafé.
Und während die Mitarbeiterin sich bemüht, die Schnitzeljagd – oder vielmehr Rumjagd – so schnell und lustig wie möglich zu gestalten – ist es eben nicht lustig und schnell genug, um nicht mal zu gucken, ob man sich noch einen Cappuccino besorgen kann.
Diese Idee entsteht in mehreren Köpfen gleichzeitig. Irgendwie auch in meinem. So huschen acht bis zehn Personen durch die Glastür – während die anderen sich redlich weiter bemühen, das Rätsel zu lösen, auf der Jagd quer durchs Museum.
Erste Enttäuschung: nein, es gibt keine heißen Getränke mehr.

Zweite Enttäuschung: die Glastür lässt sich zwar problemlos zum Café hin öffnen. Nicht jedoch zurück zur Reeperbahn. Frage an die Serviererin: Wie geht denn das?
Die Serviererin antwortet deutlich beleidigt, das wüsste sie auch gerne. Da sollten wir mal im Museum fragen. Und wir müssten eben versuchen, ‚irgendwie hinten rum‘ zurück zu kommen.
Das ist komplizierter als vermutet. Einen Weg zurück scheint es zunächst nicht zu geben.
Ich finde mich plötzlich allein in interessanten Räumen mit vielen lebensgroßen Gallionsfiguren und mit Schiffsmodellen.

WalfängermodellEins vor allem fasziniert mich: ein Walfänger, der erfolgreich gejagt hat und dabei ist, die Beute zu zerlegen. Das Tier wurde einfach als Ware, als Rohmaterial betrachtet. Wusste man damals schon, dass Wale singen können? Vermutlich hat das niemanden interessiert…
Sehr zufällig finde ich nach einer ganzen Weile zurück zum Suchtrupp. Und ich komme eben rechtzeitig, um das Finale zu erleben.
Ja, die Rumflasche ist entdeckt worden, in einer kleinen Truhe! In einer sehr kleinen Truhe. Und die so mühsam aufgestöberte Flasche selber ist winzig.
Davon unbeeindruckt holt die Spielleiterin mikroskopisch kleine Plastikbecher hervor und gibt für jeden, der will, eine Spur Rum hinein. Nicht jeder will – und die Kinder bekommen sowieso stattdessen Bonbons.

Ich kippe mir die vier Tropfen auf die Zunge und verlasse zufrieden das Museum, einen Hauch von Hamburger Kultur im Mund…

18. Lange Nacht der Museen in Hamburg

Weitere Informationen

KulturPort.De — Follow arts ist Medienpartner der Langen Nacht der Mussen in Hamburg


Abbildungsnachweis:

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