Fotografie
Günter Grass-Haus Lübeck: George Bernard Shaw und die Fotografie

George Bernard Shaw (1856-1950) ist vor allem bekannt für sein dramatisches Werk, das über 50 Theaterstücke umfasst. Doch der Künstler hat sich zeitlebens in vielen Bereichen betätigt: als Dramatiker, Literatur-, Musik- und Theaterkritiker, als politischer Denker, unermüdlicher Agitator und – was bisher weniger bekannt ist – auch als Fotograf. 1898 kaufte George Bernard Shaw seine erste Kamera und entwickelte sich rasch zum leidenschaftlichen Amateurfotografen. 
Zum ersten Mal werden jetzt Fotografien des gebürtigen Iren, der 1925 den Literaturnobelpreis erhielt und 1939 den Oscar für das beste Drehbuch für die Verfilmung seines Stückes „Pygmalion“, in Deutschland öffentlich gezeigt. Die Ausstellung im Günter Grass-Haus Lübeck ist vom 16. April bis 9. Oktober 2018 zu sehen.

Dass der Dramatiker Shaw nicht nur eine der meist fotografierten Persönlichkeiten seiner Zeit war, sondern auch selbst gerne zur Kamera griff, steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Denn: „Das Grass Haus ist ein Zentrum für künstlerische Doppelbegabungen“, sagt Professor Dr. Hans Wißkirchen, Leiter der Lübecker Museen. Und Jörg-Philipp Thomsa, Leiter des Günter Grass-Hauses ist zu Recht stolz darauf, dass nach der Präsentation der Bilder Gottfried Kellers (2012) und Winston Churchills (2016/17) mit dieser neuen Schau eine weitere Deutschland-Premiere im Grass-Haus gefeiert werden kann. Die Idee zur Shaw-Foto-Ausstellung hatte Fernanda Torrente von „National Trust“, mit der das Grass Haus bereits für die Sonderausstellung über Winston Churchill als Schriftsteller zusammengearbeitet hat. In Szene gesetzt hat Kurator Philipp Bürger die aktuelle Ausstellung. Den Katalog gestaltete Franka Frey. Der Katalog kostet 5 Euro.

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In seinen Stadt- und Landschaftsaufnahmen experimentierte Shaw wie viele seiner Zeitgenossen mit Schärfe und Unschärfe, mit Licht und Schatten, mit Komposition und Farbe. Viele der in Lübeck gezeigten Motive erinnern an die impressionistische Malerei im Stil des damals angesagten Piktorialismus: grobkörnig und unscharf. Wobei das Hauptmotiv der Fotos meist scharf gezeichnet ist, die Ränder oft unscharf. Kurator Philipp Bürger bezeichnet diese von Shaw angewandte Technik als „bildmäßige Fotografie, die sich der Malerei nähert“. Die Fotografie diente George Bernard Shaw auch als Hilfsmittel, seine eigene künstlerische Position zu finden. In zahlreichen Bildern zitiert und kommentiert er daher literarische, dramatische und bildkünstlerische Ausdrucksformen. Shaws fotografischer Nachlass ist ein Abbild der Gesellschaft, in der sich Shaw bewegte.

Auf lila Wänden mit hellgrünen Schriftflächen (in Form von Fotolinsen) geschickt arrangiert und platziert präsentieren sich die für die Ausstellung in Lübeck ausgewählten Fotos und erläuternden Texte. Die Bilder stammen aus einem Fundus von 20.000 Shaw-Fotos, die im National Trust aufbewahrt werden. In der Lübecker Ausstellung zu sehen sind Selbstporträts und Porträts von Zeitgenossen (inklusive Shaws Ehefrau Charlotte), dazu Stadtansichten und Naturbilder. Auch die Zusammenarbeit mit Rodin, den Shaw bewunderte und dem er 1906 Modell saß, wird in der Ausstellung fotografisch und textlich dokumentiert: „Er hat mich gesehen. Niemand sonst hat mich je so gesehen“, so Shaw über die Arbeit mit Rodin.

Hör- und Filmstationen ergänzen die Präsentation. Die Texte der Hörstationen eingesprochen hat die Schauspielerin Barbara Nüsse vom Thalia Theater in Hamburg. Besucher der Ausstellung können sich an einer „Selfie-Station“ ins rechte Licht setzen, indem sie die berühmte Denkerpose von Rodin einnehmen, auf den Auslöseknopf drücken, ein Foto von sich selbst schießen, das Selfie beim Hinausgehen im Grass-Shop für 50 Cent erwerben und als Erinnerung mit nach Hause nehmen. Eine gute Idee, die George Bernard Shaw als dem Meister der Selbstinszenierung gefallen würde. Denn als Theatermensch verstand Shaw es großartig, sich selbst in Szene zu setzen – auch und vor allem mit Hilfe der Fotografie. So verwundert es nicht, dass eines seiner häufigsten Motive Shaw selbst war.

Shaw ist bei diesen szenisch angelegten Fotos Schauspieler und meist auch Regisseur in einer Person. Dabei fallen immer wieder seine typischen Merkmale ins Auge, die bis heute Wiedererkennungswert haben: der Bart und die buschigen Augenbrauen. Beides ist auf vielen Selbstporträts in inszenierter Pose zu bewundern – natürlich auch dann, wenn der naturalistische Dramatiker sich nackt in Szene setzt. Als Kritiker gesellschaftlicher Moralvorstellungen brach Shaw gerne eine Lanze für die Nacktheit. Seinen eigenen Körper präsentierte er mit großem Stolz. Einen Tabubruch beging er damit jedoch nicht, denn diese Aufnahmen wurden damals nicht veröffentlicht.

Weil Shaws besonderes Interesse der Porträtfotografie galt, beschränkte sich diese Vorliebe nicht nur auf Selbstporträts. Er machte bei jeder Gelegenheit Aufnahmen von Menschen seiner Umgebung. Sein Fotoapparat diente ihm als visuelles Notizbuch. Ebenso wie in seinen Dramen benutzt Shaw die (Ende des 19. Jahrhunderts noch um ihre Anerkennung als Kunst ringende) Fotografie auch dazu, Botschaften zu vermitteln. Denn die Fotografie ist für ihn die Kunst der Zukunft. Shaw ist von der Objektivität der Fotokamera überzeugt, von ihrer Fähigkeit zur wirklichkeitsgetreuen Wiedergabe und ihrer Unvoreingenommenheit. All das entspricht seinem Verständnis von Kunst.

Für Shaw muss Kunst intelligent und progressiv sein. Wie in seinen Ideendramen soll auch die Fotografie Veränderungen in der Gesellschaft bewirken, Wandel anstoßen, Zugänge schaffen zu übergeordneten Themen der Menschheit. Wobei Shaw hier vor allem die kapitalistische, profitorientierte Gesellschaft Großbritanniens seiner Zeit im argwöhnischen Blick hat. Shaws Glaube an die Fotografie taucht erstmals im Roman „Die Amateursozialisten“ von 1883 auf. Hier dient die Fotografie dem jungen Sozialisten Sidney Trefusis als Waffe im Kampf gegen gesellschaftliche Missstände. Der wahre Künstler, so Shaws Protagonist Trefusis, sei der Fotograf: „Denn wo wie beim Photografieren das Zeichnen nichts ist, da ist das Denken und Urteilen alles. Und wo wie beim Radieren und Klecksen eine große Handfertigkeit dazugehört, um etwas für das Auge Gefälliges hervorzubringen, da gilt die Ausführung mehr als das Denken.“ Die Tätigkeit des Malers sei mechanischer als die der Fotografie. Die Technik der Fotokamera befreie den Künstler von der repetiven Tätigkeit seiner Arbeit. Mit ihrer Hilfe könne er sich auf die komplexen Ideen seines Werkes konzentrieren.

Die Idee, dass Fotografie unmechanisch sei, zählt zu Shaws originellsten Ideen. Diese und andere Ansichten baut er in seinem Essay über das „Unmechanische in der Fotografie“ von 1920 aus: „Die Kamera hat keine Auffassung, sie hat nur eine Linse und einen Verschluss.“ Die Hand des Malers hingegen sei „unheilbar mechanisch. Seine Technik ist unheilbar künstlich“. Die Verehrung und Verneigung Shaws vor der Fotografie wird in der Ausstellung im Lübecker Grass-Haus visualisiert.

Die Ausstellung im Güner Grass-Haus „In Szene gesetzt. George Bernard Shaw und die Fotografie" ist vom 16.04.-9.10.2018 zu sehen.

Rahmenprogramm:
- „Blitzlicht“: Sonntägliche Kurzführungen: ab 22. April, 15.00 bis 15.30 Uhr.
- „Selfie mal anders“: Sonntag, 16. Juni, 4.00 bis 16.30 Uhr: Foto-Workshop für Kinder ab 7 Jahren.
- „Dunkelkammerswing“: Samstag, 7. Juli, ab 22.30 Uhr: Electro-Swing-Party mit Lesung.
Weitere Informationen und Anmeldung unter Telefon (0451) 122 4230 oder per Mail an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

YouTube-Video:
IN SZENE GESETZT - George Bernard Shaw und die Fotografie

Abbildungsnachweis:
Header: Kurator Philipp Bürger in der Ausstellung. Foto: Marion Hinz
Galerie: © National Trust.

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