Bildende Kunst

In den vergangenen Jahren hat sich die Sicht auf die USA extrem verengt, dominiert von einem Namen: Donald Trump. Ein alter weißer Mann, machtbesessen und unzurechnungsfähig, hat es mit seinen menschenverachtenden, hasserfüllten Fake-News geschafft, eine ganze Nation in Misskredit zu bringen.
Umso erhellender und wohltuender ist die Ausstellung in der Hamburger Galerie Hengevoss-Dürkop, in der sich acht Künstlerinnen und Künstler unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten kritisch mit den USA auseinandersetzen und dabei den Blick fokussieren auf eine Gesellschaft, die sich aufreibt zwischen Anspruch und Wirklichkeit.


Als John Czaplicka, in den USA ebenso zu Hause wie in Deutschland und 20 Jahre lang Professor am Fine Arts Department und Center for European Studies in Harvard, Kerstin Hengevoss-Dürkop den Vorschlag unterbreitete, eine Ausstellung mit Amerika-Bildern zu kuratieren, war die Galeristin erst einmal skeptisch. Sie wollte in ihren Räumen nichts von Trump & Co. hören oder sehen. Doch dann stellte sie erstaunt fest, dass sich acht der Künstlerinnen und Künstler, die sie fest in ihrem Programm hat, seit Jahren mit dem Thema Amerika befassen – und zwar unter völlig unterschiedlichen Aspekten. Während Cony Theis als ehemals langjährige Gerichtsillustratorin die Sparte „Sex and Crime“ bedient, u.a. den Massenmörder John Wayne Gazy in seiner Lieblingsrolle als (Horror-)Clown zeigt und in vordergründig frivol-frechen „Bunnies“-Aquarellen Exhibitionismus, Voyeurismus (nicht nur im „Playboy“!) und die bis heute erstaunliche Prüderie der Amerikaner aufs Korn nimmt, interpretiert der geniale Zeichner Julien Roux US-Metropolen wie New York als makabre Sündenpfuhle in bester Bosch-Manier. In seinen surrealen, schwarz-weißen Wimmelbildern der Serie „Apocalypse I-VI“ wächst eine Szene aus der anderen. Leichte Mädchen treiben es mit bebrillten Elefanten. Zwischen Wolkenkratzern, Panzern und Raketen formieren sich (u.a.) nackte Hintern, feiste Zungen, rattenfressende Kinder, Ameisenstraßen und ein auf einem Vulkan thronender Goucho Marx zu einem obszön-bedrohlichen Pandämonium der Gegenwart.

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Unterdessen beschäftigt sich Fabian Hesse mit der Transformation von Datensätzen in Materie. In seinen abstrakten, monochromatischen und meist geometrischen 3-D-Skulpturen visualisiert der Künstler die allumfassenden Lauschangriffe und digitalen Datensammlungen von Google, Facebook, Twitter und anderen „Big Brother“- Companien, die mittlerweile über ebenso viele Informationen verfügen wie die NSA. Hesses geplottete Gebilde sind gleichsam verdichtete digitale Netzwerke. Überwachungssysteme zum Anfassen.

Die gebürtige Koreanerin Kyung-hwa Choi-ahoi wiederum verarbeitet in ihren Tagebuch-Einträgen, Zeichnungen und Notizen, alles, was sie bewegt. Dazu zählen die in Hamburg studierenden Terroristen von nine/eleven ebenso, wie die Ikonographie der „Mickey Mouse“. Am interessantesten aber ist ein Blatt aus der Serie „Japanese Tongue“, das Herkunft, kulturelle Identität und Einwanderung thematisiert, ebenso den Umgang mit Migranten. Erzählt wird die Geschichte am Beispiel der Freundin Julie, einer US-Bürgerin mit japanischen Wurzeln, deren in die USA eingewanderte Familie nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Habor 1941 interniert wurde.
Um Identität kreisen ebenfalls die figürlichen Bilder von Ransome Stanley, einem in München lebenden Maler, der sich in seinen Werken mit rassistischen Vorurteilen auseinandersetzt und damit auch mit seinen deutsch-nigerianischen Wurzeln. In seiner Serie „Heroes“ konfrontiert er Schwarze mit amerikanischen Comic-Helden wie Batman oder Superman, die im rassistisch geprägten Amerika selbstredend immer weiß waren. Spannend auch das Gemälde aus der Serie „His Master’s Voice“, das auf das gleichnamige Plattenlabel anspielt und einen dunkelhäutigen Mann, der dem Betrachter den Rücken zudreht, neben einem fies blickenden Bullterrier zeigt. Unwillkürlich fragt man sich, wer hier auf wessen Stimme zu hören hat.

Die Geschichte der Vereinigten Staaten, ihr politisches Selbstverständnis früher und heute, beschäftigen auch Dirk Brömmel, Thomas Kälberloh und Valentin van der Meulen. Dabei erinnern Brömmels Bilder auf den ersten Blick eher an die alte Bundesrepublik als an ihre Verbündeten. Private Fotos vom Bonner Kanzlerbungalow und Aufnahmen aus dem Pressearchiv von Gesprächssituationen zwischen Helmut Schmidt und Jimmy Carter, zwischen Edward Kennedy und Walter Scheel oder zwischen Schmidt, Genscher und Kissinger sind hier zu transparenten Collagen und Overlays zusammengeschnitten, die von einer Seriosität und Bescheidenheit der Politiker künden, die aus heutiger Sicht fast rührend wirkt. In der zurückgenommenen Farbigkeit und Durchlässigkeit schafft Brömmel geisterhaft anmutende Reflexe einer Ära, in der das transatlantische Bündnis unverbrüchlich schien und Politiker, zumal Regierungschefs, ernstzunehmende, respekteinflößende Persönlichkeiten waren.

Auch Valentin van der Meulen arbeitet mit vorgefundenem Material, Zeitungs- und Magazin-Bildern. Doch anders als in seinen großformatigen schwarz-weißen Kohle-Bildern verwischt er in die Motive in seiner Serie „Deep Blue“ nicht bis zur nahen Unkenntlichkeit, sondern taucht sie in Ives-Klein-blaue Tinte. Und die saugt sich fast flächendeckend in das Löschpapier. Die darunter liegende Porträts, zum Beispiel des einflussreichen Juristen Ferdinand Pecora, der die Machenschaften der Wall-Street-Banker und Börsianer in den 1930er Jahren aufdeckte, oder des ehemaligen CIA-Direktor Richard Helms, mutieren mit und durch die Tinte zu merkwürdigen Zwitterwesen aus Mensch und Fabeltier mit riesigen Mäulern, die humorvoll-bissige Bedeutungsebenen schaffen.

Der letzte im Bunde, Thomas Kälberloh, ist der Romantiker dieser Ausstellung. Wie Valentin van der Meulen arbeitet er mit Übermalungen und teilweiser Auslöschung der ursprünglichen Motive, doch bleibt der Prozess lange nicht so offenkundig, wie bei seinem Kollegen. Kälberloh schafft mit seinen gigantisch aufgeblasenen, übermalten Postkarten vielmehr Vorstellungen eines Amerika, das die aus alten Hollywood-Western bekannten Ideale beschwört: Grandiose Landschaften, die an Arizona oder Texas erinnern. "Desperados", die sich – so meint man – an der Grenze zu Mexiko den Gringos entgegenstellen. Und eine sehnsüchtig in die Ferne schauende Menschenmenge, die am Ziel ihrer Träume angekommen zu sein scheint – in einer freien Welt, die sich den Grundwerten der westlichen Zivilisation verbunden fühlt.


Envisioning America

zu sehen bis 31. Oktober 2019
Galerie Hengevoss-Dürkop, Klosterwall 13, 20095 Hamburg.
Weitere Informationen

Galerie-Gespräch mit Dr. John Czaplicka (Kulturhistoriker, Berlin), dem Kurator der Ausstellung am Donnerstag, den 24. Oktober 2019, um 18.30 Uhr einladen zu können. (Bitte mit Anmeldung bis zum 22. Oktober).

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