Bildende Kunst
Carte Blache in der Galerie Hengevoss-Dürkop

Wann bekommt man schon mal eine Carte Blanche – zumal von einer Galeristin? Doch Kerstin Hengevoss-Dürkop hatte volles Vertrauen zu dem belgischen Künstler Valentin van der Meulen und wie sich zeigt, zu Recht: Die von ihm kuratierte Gruppenausstellung in der Galerie am Klosterwall in Hamburg ist ebenso hochkarätig wie facettenreich, befasst sie sich doch mit dem Stellenwert der Medien und ihrer Entwicklung in der zeitgenössischen Kunst.

Wer die eindringlichen Kohlezeichnungen von Valentin van der Meulen in der Galerie Hengevoss-Dürkop einmal gesehen hat, der wird sie nicht wieder vergessen. Der begnadete Zeichner mit Sitz in Paris und Brüssel schafft überdimensionale Porträts in Schwarzweiß, oft sind es nur Ausschnitte aus Gesichtern, Augenpartien, die so täuschend realistisch wirken, dass man sie für eine vergrößerte Fotografie halten könnte – wenn sie nicht teilweise übermalt oder ausradiert wären. Für Van der Meulen ist ein Bild erst dann vollendet, wenn er es wieder dekonstruiert hat.

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Das teilweise Auslöschen der Gesichter durch Übermalen intensiviert den Blick, das Erinnern, davon ist der 39jährige Künstler überzeugt. Ein Erinnern an Menschen, an Augenpaare, die man sonst wohl, wenn überhaupt, nur flüchtig wahrgenommen hätte. Die großflächige Zerstörung bricht nicht nur den Fotorealismus, sie lenkt den Blick auch auf den Entstehungsprozess: Die Geschichte des Bildes rückt ins Zentrum, und damit auch die Frage nach der Bedeutung von Bildern in einer Zeit, die von Bildern förmlich überschwemmt wird: Alle Motive stammen aus Nachrichten. Aus Zeitungen und Zeitschriften, Fernsehdokumentationen oder sozialen Netzwerken. Sie zeigen Flüchtlinge, Migranten, in dieser Ausstellung wieder Kinder. Wir wissen nicht, was mit ihnen geschah. Das macht uns unruhig und geht uns nach. Deshalb sind diese Bilder auch Bilder wider das Vergessen.

Die Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Medien ist der gemeinsame Nenner der Ausstellung in der Galerie Hengevoss-Dürkop. Van der Meulen hat vier Pariser Künstlerkollegen nach Hamburg eingeladen, die sich ebenfalls mit der Kunst als Kommunikationsmittel auseinandersetzen. Der von ihnen ist Pascal Dombis. Seine Kunstwerke gleichen Informatikprogrammen, die faszinieren, ohne dass man sie wirklich begreift. Zum Teil erinnern die mit Hilfe von Algorithmen am Computer kreierten Werke an die Op-Art der 1960er Jahre: Es flimmert vor Augen. Nur dass die optischen Irritationen und visuellen Räume hier durch tausendfache digitale Schichtungen geometrischer Figuren und Zeichen entstehen. Seine humorvolle Seite zeigt der Künstler in seiner Video-Installation „The End(less)“: Hier hat Dombis die letzten Sekunden aus unendlich vielen Filmen aneinandergeschnitten, was nicht nur amüsant ist, sondern auch zum Raten einlädt. Cineasten werden ihre Freude haben.

Einen ganz anderen Aspekt zeigt Francoise Petrovitch. Die 1964 in Chambery geborene Künstlerin zeichnet und malt figurativ und beschäftigt sich mit Zwischenräumen aller Art: Der Raum zwischen Realität und Traum zählt dazu ebenso, wie die Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Dementsprechend zart, wie ein Spiegelbild im Wasser, wirkt das bezaubernde Aquarell eines jungen Mädchens, die interessanteste Arbeit, die sie in Hamburg ausstellt.
Lou Ros, mit 34 Jahren der jüngste unter den Franzosen, ist Autodidakt und begann seine Karriere als Teenager mit (illegaler) Graffiti-Wandmalerei in den Straßen von Paris. Entsprechend poppig, expressiv und „instinktiv“ sind seine stilistisch sehr unterschiedlichen Porträts, die sich an alten Meistern ebenso orientieren, wie an Street Art oder Großmeister Francis Bacon. Anders als Valentin Van der Meulen übermalt Ros seine Porträts nicht, nachdem sie fertig sind, sondern versucht in dem Moment aufzuhören „bevor ich zu viel sage“. Er weiß: Auch das Unfertige regt die Vorstellungskraft des Betrachters an. Bei Hengevoss-Dürkop zeigt er u.a. ein plakatives „Playmate“ im Mini-Weihnachts-Dress und beladen mit einem Sack Geschenke (vor den Fahnen der vereinten Nationen?): Ein Stück Konsumkritik, entstanden nach einer Postkarte.

Pascal Vicollet schließlich, der Fünfte im Bunde, dominiert diese Ausstellung mit seiner bestechend frischen und farbintensiven Malerei: Ein energetisch aufgeladener, bunter Dschungel, der sich in Form eines riesigen Paravents quer durch die Galerie zieht. Der illustrative Stich kommt nicht von ungefähr: Vilcollet studierte Graphic Design an der L‘Ecole Professionelle Superieure D’Art Graphiques De La Ville de Paris, wo er heute selbst unterrichtet.
Allein dieser Dschungel-Paravent, der ein wenig von David Hockneys iPad-Zeichnungen inspiriert zu sein scheint, lohnt den Besuch der Ausstellung. So etwas sieht man nicht alle Tage – und schon gar nicht in Hamburg.

„Carte Blanche“

Zu sehen bis 6. Oktober 2018 in der Galerie Hengevoss-Dürkop, Klosterwall 13, 20095 Hamburg
Geöffnet: Mi-Fr 14-19 Uhr, Sa 12-15 Uhr u.n.V.
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis: Alle © Galerie Hengevoss-Dürkop
Header: Blick in die Ausstellung
Galerie:
01. Pascal Dombis: The End(less), 2013-18, Videoinstallation, Ed. 3+1AP
02. Pascal Dombis: Post-Digital Mirror, 2013, Linsenrasterdruck auf Aluminium, 110x180cm
03. Françoise Pétrovitch: Nocturne, 2017, Öl auf Leinwand, 54x65cm
04. Françoise Pétrovitch: o.T. 2015, Lavur mit Tinte auf Papier, 120x80cm
05. Lou Ros: TW, 2018, Öl auf Leinwand, 25x20cm
06. Pascal Vilcollet: Place Monge, 2018, Öl, Acryl, 200x160cm

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