Literatur

Die Autorin Gabriele Haefs gehört zu den renommiertesten Übersetzerinnen für Skandinavistik im deutschsprachigen Raum. Die am Niederrhein geborene Haefs absolvierte ihr Studium der Volkskunde, Vergleichende Sprachwissenschaft, Skandinavistik und Keltologie an den Universitäten von Bonn und Hamburg, promovierte 1982 im Fach Volkskunde – Thema der Dissertation: „Das Irenbild der Deutschen“.

 

Gabriele Haefs ist mit dem norwegischen Schriftsteller Ingvar Ambjørnsen verheiratet und lebt in Hamburg. Sie ist Mitglied im Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke.

 

Marion Hinz traf sich mit Gabriele Haefs, um mit ihr über ihre Arbeit zu sprechen.

 

Marion Hinz (MH): Können Sie sich noch an Ihre erste Übersetzung erinnern? Wie hieß das Buch im Original und wie lautet der deutsche Titel?

 

Gabriele Haefs (GH): Klar kann ich mich erinnern, genauso könnten Sie fragen, ob ich mich an meinen ersten Liebhaber erinnere … das Buch hieß „Der Irrläufer“, auf Norwegisch „Villskudd“, von Gudmund Vindland. Es erschien 1983 im BuntBuch Verlag, erlebte dann zahlreiche Neuauflagen, zuletzt bei Aufbau. Ich war eigentlich ziemlich blauäugig, mir war gar nicht klar, wie viele Fallgruben es beim Übersetzen geben kann, ich habe mich einfach reingestürzt und war total glücklich damit. Ich kam frisch von der Uni, ja. Die Vorgeschichte war, dass ich meine Doktorarbeit geschrieben hatte, im Fach Volkskunde, und nun mussten die ProfessorInnen die lesen, um zu entscheiden, ob sie die so haben wollten, oder ob ich noch was ändern müsste, und wenn ja, wieviel. Ich hätte natürlich in dieser Zeit für das Rigorosum lernen sollen (das waren die mündlichen Prüfungen bei der Promotion, ich glaube, die gibt es heute nicht mehr), aber ich hätte das Gefühl gehabt, das Schicksal herauszufordern, auf dumme Gedanken zu bringen. Die ProfessorInnen hätten auch sagen können, so geht das wirklich nicht, das müssen Sie alles neu schreiben. Also habe ich drei Kapitel von „Villskudd“ übersetzt und bin damit hausieren gegangen. Damals wurde so gut wie nichts aus dem Norwegischen übersetzt, das ist hier wichtig, schon gar keine Literatur wie diese – spielte in der damaligen Osloer Schwulenszene –, und als die ProfessorInnen beschlossen hatten, dass sie meine Dissertation so haben wollten, wie ich sie geschrieben hatte, hatte ich schon einen Vertrag für die Übersetzung. Ich studierte Volkskunde, Vergleichende Sprachwissenschaft, Keltologie und Skandinavistik.

 

Gudmund Vindland

Buchumschläge (Norwegen, Deutschland)

 

MH: Welcher Art sind heute die Probleme beim Übersetzen –, wenn es sie denn überhaupt gibt. Können Sie Beispiele nennen?

 

GH: Nein, kann ich nicht, oder ich könnte ungefähr zehntausend nennen. Es gibt immer neue Probleme bei jedem Buch, nichts lässt sich je ein für alle Mal klären, und die hoffnungsloseste Frage, die aber immer wieder gestellt wird, ist: „Wie würdest du dies oder das übersetzen?“

 

MH: Es kommt vor – ich habe das selbst leider auch schon bei Lesungen erlebt, dass die Nennung der Namen von ÜbersetzerInnen bei Buchvorstellungen schlicht und einfach vergessen wird. Empört Sie das? Wie reagieren Sie in so einem Fall?

 

GH: Natürlich empört mich das, das ist so, als ob man bei einem Konzert den Komponisten nennt, aber nicht den Namen der Solistin. Aber viel machen kann man nicht. Wenn es um eine Übersetzung einer Kollegin oder eines Kollegen geht, schreibe ich, also bei Rezensionen, hin und frage, wer denn übersetzt hat. Und wenn es geht, bei einer Lesung, frage ich auch – geht natürlich nicht in einem Riesensaal, wo auf dem Podium jemand sitzt und ins Mikrofon spricht.

 

MH: Wie gehen Sie beim Übersetzen vor? Ist die Vorgangsweise vom Ablauf her verschieden oder immer gleich, weil es beispielsweise auf die Art des Buches oder auch auf das Genre ankommt?

 

GH: Es ist immer unterschiedlich, jedes Buch ist eben anders. Ich habe nur insofern ein festes Vorgehen, als ich das Buch noch mal lese – wenn ich den Auftrag bekomme, das Buch zu übersetzen, habe ich es ja fast immer schon längst gelesen, aus Interesse, weil ich für einen Verlag ein Gutachten machen musste, oder weil ich es einem Verlag vorschlagen wollte… Ich lese also, mache mir Notizen zu Problemen, zu ersten Lösungsmöglichkeiten, zu allem, was mir einfällt. Die Bücher sind immer total vollgesaut, wenn ich mit Übersetzen anfange. Dann, wenn ich meine, dass ich den Tonfall des Buches im Ohr habe, schreibe ich. Dann habe ich eine Rohübersetzung, und die überarbeite ich mehrere Male, kläre noch Fragen, die unterwegs doch noch aufgetreten sind. Oft sieht anfangs etwas furchtbar schwierig aus beim Übersetzen merke ich dann, kein Problem. Und andere Stellen, die beim Lesen ganz harmlos wirkten, entpuppen sich beim Übersetzen dann als tückisch und geradezu gemein.

 

MH: Gibt es unter Ihren bisherigen Übersetzungen Bücher, die Ihnen besonders am Herzen liegen? Und wenn ja, welche sind es und warum gerade diese Bücher?

 

GH: Das erste natürlich, ich finde immer noch, es ist so ungefähr das schönste und wichtigste, was ich übersetzt habe. Und „Sofies Welt“ ebenfalls, weil es ein solcher Erfolg war, ansonsten oft das, an dem ich gerade arbeite, im Moment ein irisches mit dem Titel „Nollaig Oileáin“ von Micheál Ó Conghaile.

 

MH: Soweit ich weiß, haben Sie alle Bücher des international bekannten norwegischen Schriftstellers Jostein Gaarder ins Deutsche übersetzt. Wie ist es zu dieser langjährigen und offensichtlich vertrauensvollen Zusammenarbeit gekommen?

 

GH: Ja, habe ich – wirklich alle, und ich hoffe, da kommen noch ein paar dazu. Offenbar stimmt die Chemie, und das schon seit der ersten Begegnung. Das war in Oslo, bei einer Buchmesse. Da saß ich durch Zufall mit zwei netten Herren in einer Ecke und wir beobachteten, wie Presse und Fans sich um die Stars der Branche scharten, während niemand zu uns auch nur herübersah. „Macht nix“, sagte einer der Herren, „wir kommen auch noch dran.“ Womit er recht hatte, es war Klaus Hagerup, der gerade „Tiefer als der Ozean“ (auf Norwegisch) veröffentlicht hatte. Der andere war Jostein Gaarder, der an dem Buch schrieb, das im Jahr darauf den Titel „Sofies Welt“ bekam.

 

Jostein Gaarder Sophies Welt

Buchumschlag Sophies Welt (DTV). Jostein Gaarder, 2019. Foto: Christoph Kockelmann. CC BY-SA 4.0

 

MH: Sie übersetzen auch die Bücher Ihres Ehemannes, Ingvar Ambjørnsen aus dem Norwegischen ins Deutsche. Ist das eine besondere Herausforderung für Sie beide? Oder ist es einfach nur praktisch, so Tür an Tür zu sein, also zu jeder Zeit miteinander sprechen zu können über ein Wort, eine Phrase, einen Satz, über die vom Autor gemeinte Bedeutung, falls es von Fall zu Fall Zweifel oder auch Mehrdeutigkeit gibt?

 

GH: Sie sagten es schon, es ist einfach praktisch.

 

MH: Wie sieht die finanzielle Seite aus? Mögen Sie darüber sprechen?

 

GH: Ach, viel zu sagen, gibt es da nicht, wir werden per Normseite bezahlt (30 Zeilen à 60 Zeichen), und das ist nicht schrecklich viel, wobei die Honorare ja variieren, von Verlag zu Verlag oder auch von Projekt zu Projekt, wenn der Verlag sicher ist, hier haben wir einen Bestseller, gibt es ein höheres Seitenhonorar. Aber wir bekommen auch etwas vom Verkauf ab, und selbst, wenn es nur ½ Prozent ist – es kommt was dabei zusammen. Also, man kann vom Übersetzen durchaus leben, ein Bestseller ab und zu ist dabei eine große Hilfe.

 

MH: Was ist das Schöne am Übersetzen?

 

GH: Wenn du gern mit Sprache spielst, die Grammatik auf den Kopf stellst, dem Duden gern mal einen Streich spielst, bist du da richtig. Und du lernst viele Leute kennen (KollegInnen, Verlagsleute, AutorInnen), und kannst hemmungslos lesen und wirst sogar dafür bezahlt.

 

MH: Haben Sie jemals daran gezweifelt, ob dies der richtige Beruf ist? Gab es für Sie Alternativen?

 

GH: Nein, gezweifelt habe ich nicht, ich war ja froh, diese Möglichkeit zu finden. Ich wollte wissenschaftlich arbeiten, forschen, in meinen Hauptfächern, aber als ich mit dem Studium fertig war, kam die erste gewaltige Welle von Einsparungen im kulturellen Bereich, es gab einfach keine Stellen. Und natürlich tut mir das heute immer noch leid, ich hätte zu gern geforscht. Als kleineres Übel war das Übersetzen aber die richtige Wahl.

 

MH: Gibt es einen persönlichen, direkten Austausch mit LeserInnen? Bei welchen Gelegenheiten?

 

GH: Nicht so viel, wenn, dann bei Lesungen. Wenn von mir übersetzte Bücher vorgestellt werden, bin ich selten dabei, es sei denn, die VeranstalterInnen legen Wert darauf. Spaß macht es natürlich, mit der Autorin zusammen ein Buch vorzustellen, sie liest dann auf Norwegisch, ich auf Deutsch, und dann reden wir über das Buch. Allerdings, was die Rückmeldungen angeht: bei der Percy-Jackson-Serie bekomme ich oft Anfragen von jugendlichen Fans, die wissen wollen, wann es denn endlich weitergeht, und ob ich nicht schneller übersetzen kann. Die sind immer total überrascht, wenn ich antworte, dass es nicht an mir liegt, sondern daran, dass der Autor noch am nächsten Band schreibt.

 

111 Orte in Oslo die man gesehen haben muss COVERMH: Wie kommt es zu neuen Projekten? Fragen die Verlage bei Ihnen an?

 

GH: Das passiert sehr oft. Entweder die Verlage bekommen ein Buch angeboten und ich mache ein Gutachten, danach entscheiden sie. Oder ich finde ein Buch und schlage es einem Verlag vor. Oder Verlage kommen zu mir und sagen, wir suchen dies und das, z.B. einen lustigen Fantasy-Roman oder ein nicht zu schwer verdauliches Sachbuch oder was auch immer, kannst du mal Ausschau halten. Und es kommt auch vor, dass sie ein Buch eingekauft haben und fragen, ob ich es übersetzen will. Es geht also wild durcheinander.

 

MH: Last but not least: Was für ein Verhältnis haben Sie zum Thema KI?

 

GH: Gar keines. Ich versuche, das Thema zu verdrängen, und hoffe, es geht noch ein paar Jahre normal weiter mit dem Übersetzen. Meine einzige persönliche Erfahrung ist mit einem Chatbot, den ich um Infos zu Gabriele Haefs bat und der mir mitteilte, sie sei in Wuppertal geboren und habe in Köln Geschichte und Spanisch studiert. Nichts davon stimmt, ich wandte aber nur ein: „Wuppertal stimmt nicht.“ Darauf der Chatbot: „Entschuldigung, nicht Wuppertal, sondern Witten.“ Ich abermals, „Witten stimmt nicht“, nun der Chatbot: „Entschuldigung, nicht Witten, sondern Wetzlar.“ Da habe ich aufgegeben, es gibt gar zu viele Orte mit W, in denen ich nicht geboren bin, und zu warten, bis er den richtigen findet, war mir zu blöd.


Gabriele Haefs

Gabriele Haefs: 111 Orte in Oslo, die man gesehen haben muss
Emons Verlag Köln 2022

Mit Fotografien von Kerstin Reimers

Broschur, 240 Seiten
ISBN 978-3-7408-1088-7

 

Weitere Informationen (Verlag)

Blogbeiträge sind zu finden unter: https://www.schwarzaufweiss-internet.de/author/gaelica

oder konkret zum Thema Übersetzen: https://www.schwarzaufweiss-internet.de/meine-abenteuer-beim-uebersetzen-3-ich-halte-einen-vortrag

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