Bildende Kunst

Georges Hugo (1868-1925), der Enkel des berühmten französischen Dichters und Zeichners Victor Hugo (1802-1885), der als Kind durch den Gedichtband L'Art d'être grand-père (dt.: „Die Kunst, Großvater zu sein“) unsterblich wurde, war der erste Maler in einer Familienlinie, die bis heute fortgesetzt wird. Als äußerst talentierter Dilettant war er eine Art ‚proustianischer‘ Chronist seiner Zeit.

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Das Maison de Victor Hugo in Paris ehrt Georges Hugo mit einer ersten großen Retrospektive – knapp 100 Jahre nach seinem Tod – und lädt ab heute dazu ein, seinen Werdegang anhand von fast 300 Exponaten zu entdecken: Zeichnungen, Gemälde, Manuskripte, Tagebücher, Stiche, Fotografien aus dem Bestand des Museums, aus Privatsammlungen und insbesondere aus unveröffentlichten Familienarchiven.

 

Die Ausstellung folgt einer doppelten Programmlogik: Sie stellt einerseits eine Reihe von Monografien von Malern vor, die auf die eine oder andere Weise mit Victor Hugo verbunden sind, und veranschaulicht anderseits das künstlerische Familiengedächtnis.

 

Georges Hugo ist eine Persönlichkeit, die von Paradoxen geprägt ist. Er ist weltgewandt, zeigt aber auch Empathie für die Armen. Als Sohn einer Familie leistete er seinen Militärdienst als einfacher Matrose. Als raffinierter Ästhet und glühender Patriot in seinen Fünfzigern meldete er sich 1914 freiwillig zum Militär und ging als Verbindungsmann an die Front. Als leidenschaftlicher Liebhaber war er in seinen Beziehungen unbeständig. Der gesundheitlich angeschlagene Georges Hugo ist gleichzeitig schüchtern, flamboyant, sensibel, diskret, verspielt, melancholisch, charmant und verführerisch... Die einzigen wahren Ankerpunkte in seinem Leben waren wohl die Treue zum Andenken an seinen Großvater und seine Liebe zur Kunst.

 

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Dieser Künstler gehört zu den Malern ohne Atelier, die ihre Staffelei überall, in einem Zimmer oder auf dem Deck eines Schiffes aufstellen. Es ist nicht immer klar, wo und vor allem wann er gemalt hat. Seine bevorzugte Sprache ist die Zeichnung. Mit einem Notizbuch in der Hand hielt er sein Leben und seine Welt mit schnellen Strichen fest und setzte dabei seinen Verstand und sein scharfes Auge ein. Er schilderte Szenen in Cafés, in denen er die meiste Zeit verbrachte, Szenen in Theateraufführungen, die er gerne besuchte, Szenen an der Front, die er dokumentieren wollte, Darstellungen von Männern und Frauen, deren Komik oder Eleganz er aufspürte, oder porträtierte seine Verwandten.

 

Mit einer Art „proustianischer“ Erinnerung zeigt er eine geschmackvolle und bissige Technik. Er mischt Bleistift, Tinte und Aquarell, nicht ohne diskret an das zeichnerische Talent seines Großvaters zu erinnern. Georges Hugo hat dem Phänomen des unausgebildeten Künstlers zweifellos seinen Adelsbrief verliehen, denn er schien vor allem für sich selbst zu malen und zu zeichnen, bis der Zerfall seines Vermögens ihn dazu zwang, auszustellen und Werke zu verkaufen.

 

Die Pariser Schau ist die erste monografische Ausstellung, die seinem Werk in Fülle gewidmet ist.

 

Das von Museumsdirektor Paul Meurice anlässlich des hundertsten Geburtstags von Victor Hugo im Jahr 1902 gegründete Maison de Victor Hugo wäre ohne die Unterstützung der Familie Hugo und insbesondere Georges Hugos, der nacheinander Schenkungen machte, um den anfänglichen Museumsbestand von etwa 600 Werken aufzubauen, nicht möglich gewesen.

 

Die Kunst, ein Enkel zu sein

Das erste Kapitel der Ausstellung erinnert an die Bedeutung der Verbindung zu seinem Großvater und daran, wie sich die Erinnerung an ihn um Guernsey und das Hauteville House herum kristallisiert hat.

 

„Klein Georges" wird zusammen mit seiner Schwester Jeanne im Alter von elf Jahren im Gedichtband „Die Kunst, Großvater zu sein verewigt. Er erlebt eine wunderbare und außergewöhnliche Kindheit in der Zuneigung seines Großvaters, auch wenn sie von Trauerfällen – dem seines Vaters und seines Onkels – geprägt ist. Der Tod Victor Hugos im Jahr 1885, dessen Trauerzug vom Arc de Triomphe zum Pantheon er anführt, setzt dieser Kindheit ein Ende.

 

Da er der berühmteste junge Mann Frankreichs ist, entscheidet sich Georges für die Literatur und die Malerei. Aber wie kann man Maler sein, wenn man „Petiphysse", wie er sich selbst nennt, ist? Sein ganzes Leben scheint hin- und hergerissen zwischen der Verehrung für seinen Großvater, dessen Andenken er unerschütterlich verteidigt, und dieser Berufung, mit der er befürchtet, dieses Andenken zu trüben.

 

Das mondäne, kostspielige und zügellose Leben scheint ein Ausweg aus diesem Dilemma zu sein. Seine abgebrochene Karriere als Maler von 1894 bis 1897 wird erst 1917 wieder aufgenommen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg und bis zu seinem Tod im Jahr 1925 findet er durch die Malerei seinen Frieden mit sich selbst.

 

Georges' Leben, das im poetischen Überschwang seines Vorfahren beginnt, ist romanhaft, voller Exzesse und Kontraste: ein reicher und berühmter junger Mann, ein Raufbold, ein Verführer, ein einfacher Matrose, ein Mann von Welt, ein ästhetischer Sammler, ein Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs, ein Draufgänger und ein Glücksspieler... So er sagt zu seinem Sohn Jean: „Ich bin kein Vorbild".

 

Aber er bleibt auch in der Erinnerung ein feinfühliger Künstler, einer der besten Kriegsmaler und ein lebhafter, scharfer und geistreicher Zeichner, der sich den Strich seines Großvaters voll und ganz zu eigen macht.

 

Großvater

Guernsey bleibt das eigentliche Heiligtum dieser Erinnerung. Im Hauteville House, dem Exilhaus von Victor Hugo, spürt er die Nähe zu seinem Großvater. „Ich denke ständig an Guernsey, das ein Ideal ist; ich frage mich oft, ob ich jemals so glücklich sein werde wie als Kind. Ich fürchte, nicht", schreibt Georges an seine Mutter in den 1880er-Jahren. Die Aufenthalte, die er als Kind bei seinem Großvater auf Guernsey in den Jahren 1870, 1872 und 1878 verbringt, haben ihn tief geprägt.

 

01 George Hugo La salle a manger à Hauteville House Maison de Victor HugoGeorges Hugo: Esszimmer im Hauteville House, Guernsey, um 1890, Öl auf Leinwand, Maisons de Victor Hugo Paris-Guernsey / Paris Musées. Gemeinfrei

 

Der Zauber der Kulissen von Hauteville House, die den Hintergrund für diese Momente großer Nähe bildeten, prägt seine Erinnerung. Zeit seines Lebens kehrt er gerne auf die Insel zurück, auf der sich die Erinnerung an „Papapa", wie er Victor Hugo getauft hatte, kristallisierte. Hier erwacht zweifellos seine künstlerische Berufung: Er sieht seinen Großvater zeichnen; später erhält er hier seinen ersten Malunterricht von Ernest Duez. Er malt gerne das Haus, aber auch die Insel und ihre Bewohner, die er in der Bibliothek, am Königshof oder im Pub beobachtet, mit Bleistift.

 

Als er 1902 die Erlaubnis erhält, den Namen Georges Victor-Hugo anzunehmen, veröffentlicht er ein Buch mit seinen Memoiren, „Mon grand-père“. In mehreren Polemiken verteidigt er die Figur Victor Hugos hartnäckig. Seine Zeichnungen bilden jedoch auch ein wahres Album seiner Erinnerungen und Guernsey bleibt der eigentliche Schrein seiner Erinnerung.

 

Als 1914 die Victor-Hugo-Skulptur in St. Peter Port/Guernsey eingeweiht wurde, äußerte er den Wunsch, dass das Hauteville House ein Museum werden sollte, um den Fortbestand des Werks und Denkmals zu sichern.

 

Von den „Memoiren eines Matrosen" bis zu den Jahren mit Pauline

Schon als Jugendlicher zeichnet und malt Georges. Seine Berufung steht fest, aber sein Militärdienst in der Marine von 1891 bis 1893 scheint eine entscheidende Erfahrung zu sein, sowohl auf menschlicher als auch auf literarischer und künstlerischer Ebene. Als einfacher Matrose lebt er inmitten seiner armen und oft analphabetischen Kameraden, denen er das Lesen beibringt. Diese soziale und menschliche Erfahrung verarbeitete er in seinem 1896 veröffentlichten Buch „Mémoires d'un matelot" (dt. „Erinnerungen eines Matrosen“). Die Porträts, die er dort von seinen Kameraden zeichnet und in denen sein ganzes Einfühlungsvermögen zum Ausdruck kommt, finden ihre Entsprechung in den Porträts, die er zeichnet. Seine erste Teilnahme am Salon der Société nationale des beaux-arts im Jahr 1894 mit den Werken Vieux navires und La Dévastation bezieht sich auf seine Militärzeit.

 

02 Georges Hugo Vieux navire à ToulonGeorges Hugo: Vieux navire à Toulon (Bateau école), 1894, Öl auf Leinwand. collection particulière © Jean-Louis Losi

 

Parallel dazu zeichnete Georges oft sarkastische Porträts seiner Umgebung – Politiker und Schriftsteller. 1894 heiratete er seine Jugendfreundin Pauline Ménard-Dorian (1870-1941). Das Paar führt ein mondänes Leben. Georges richtet ihre Wohnung luxuriös ein und sammelt, wie sein Freund Edmond de Goncourt, Kunst aus dem 18. Jahrhundert sowie japanische Kunst. Seine Werke konzentrieren sich auf das Private: Porträts seiner Frau, seines Sohnes Jean, der 1894 geboren wird, und seiner Tochter Marguerite, die 1896 zur Welt kommt. Er widmet sich auch der Gravur und experimentiert mit Techniken und Drucken. Dies sind die letzten Werke, die er im Salon ausstellt. Im Jahr 1898 verändert sich sein Leben: Er verläßt Pauline und lebt mit deren Cousine Dora Dorian zusammen.

 

„An der Front in der Champagne".

Als der Krieg 1914 ausbricht, ist Georges 46 Jahre alt. Er will alles daransetzen, sich zum Militär zu melden und an der Front zu kämpfen. 1915 wird er in die Champagne geschickt und nimmt als Verbindungsmann an den Kämpfen um den Hof Navarin teil. Er wird auf der Ordre de l'armée erwähnt und erhält das Kriegskreuz. Im April 1916 wird er aufgrund eines Rheumaanfalls, an dem er seit seiner Kindheit litt, aus der Armee entlassen. An der Front hört er nicht auf zu zeichnen und hällt die Erinnerung an alles, was er miterlebte, fest. Seine Zeichnungen sind ebenso objektiv wie sensibel, seine Titel zeugen von seinem Patriotismus, seine Porträts finden in der Waffenbrüderschaft die Empathie wieder, die er als Matrose empfunden hatte. Diese Ausgewogenheit, die Nervosität seines Strichs und seine Meisterschaft in der Aquarellmalerei machen seine Zeichnungen zu einem der schönsten Zeugnisse des Ersten Weltkriegs.

 

03 Georges Hugo Bergung eines OberstsGeorges Hugo: Bergung eines verwundeten Obersts, Faksimile, 1915/16, 1917 bearbeitet. Privatsammlung Marseille.

 

Trotz der Angst vor der Militärzensur ist er bestrebt, seine Zeichnungen zu veröffentlichen. Als er im November 1916 einen Auftrag als Heeresmaler erhält, enthüllt sein Freund, der Illustrator Sem (1863-1934), die Zeichnungen in der Weihnachtsausgabe 1916 der Zeitschrift L'illustration, und im Februar 1917 werden sie im Musée des Arts décoratifs ausgestellt. Anschließend veröffentlicht er bei Devambez ein Portfolio mit 100 Faksimiles. Dieses Album wird übrigens anlässlich der Ausstellung neu aufgelegt.

 

Georges beschäftigt sich zunehmend mit der Malerei und ist empfänglich für die Urteile und Ermutigungen von Künstlern, die er bewunderte. Er arbeitet viel und zieht erneut eine Ausstellung in Betracht.

 

Von den Jahren mit Dora bis zum Café des gaufres

Nach Georges Hugos Scheidung heiratet er erneut – die in Italien geborene Dora Dorian (1875-1951) – und zieht in die Nähe von Florenz. Georges liebt es, die Ufer des Arno zu malen. Ihr Sohn François wird dort 1899 geboren.

 

Nach ihrer Scheidung 1895 von Schriftsteller Léon Daudet (1867-1942) ist er mit seiner Schwester Jeanne zerstritten, versöhnt sich aber 1902 anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Victor Hugo mit ihr und ihrem zweiten Ehemann, dem französischer Wissenschaftler, Arzt und Polarforscher Jean-Baptiste Charcot (1867-1936).

In jenem Sommer des Jahres 1902 reist er mit seinem neuen Schwager nach Island und bis zur Insel Jan Mayen, die nördlich von Island liegt und zu Norwegen gehört, wo er einige seiner schönsten und stimmungsvollsten Gemälde schafft.

 

04 Georges Hugo Island Oel auf LeinwandGeorges Hugo: Jan Mayen Insel, 1902, Öl auf Leinwand. Gemeinfrei

 

Da Georges seine Werke nicht mehr ausstellt und nur selten datiert, ist es heute schwierig, die Entwicklung seines Werks zu verfolgen. Dieses, mit der großen Produktion, die er ab 1917 zu haben scheint, wird der Öffentlichkeit erst nach dem Krieg bekannt, als ihm 1920 eine Ausstellung im Musée des Arts décoratifs und 1923 in der Galerie Brame gewidmet wird. Der Maler zeigt sich vor allem empfänglich für Landschaft, während sich der Zeichner mit seinem spitzen Bleistift den gesellschaftlichen Szenen, Schauspielen und Menschen widmet, die er mit einem ‚proustischen‘ Auge beobachtet, als wäre er auf der Suche nach einer verlorenen oder verschwindenden Zeit.

Nachdem er sein Vermögen verschleudert hat, lebt Georges zwischen dem Café des gaufres auf den Champs-Elysées und einem kleinen Zimmer in einem nahe gelegenen Spielkreis. Dort stibt er am 5. Februar 1925. Einen Monat später ehrt ihn das Maison de Victor Hugo, das seit 1903 ein Museum ist, mit einer Ausstellung.

 

Ein in den Museumssammlungen präsentes Werk

Die meisten Werke Georges Hugos – Gemälde, Zeichnungen, Drucke – sind heute in den Sammlungen französischer Museen und Institutionen (z.B. Armeemuseum, Musée d'Orsay, Musée des Arts Décoratifs, Centre national des arts plastiques, Bibliothèque La Contemporaine, Musée du Grand Siècle etc.) sowie in Familien- und Privatsammlungen vertreten. Das Victor-Hugo-Haus bewahrt fast hundert verschiedene Werke auf: von Landschaftsgemälden bis zu Pastellen von Stillleben, von Zeichnungen aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs bis zu Skizzen aus dem Leben, die in Cafés festgehalten wurden, von Briefen an seinen Großvater bis zu illustrierten Büchern, die er zusammen mit seiner Schwester Jeanne verfasste.


Georges Hugo: L’art d’être petit-fils

Zu sehen bis zum 10. März 2024

Im Maison de Victor Hugo, 6 place des vosges, 75004 Paris/Frankreich

Kuratoren: Gérard Audinet, Direktor des Maisons de Victor Hugo in Paris und Guernesey und Alexandrine Achille, Kurator der fotografischen Sammlung im Maison de Victor Hugo.

Öffnungszeiten: täglich geöffnet von 10:00 bis 18:00 Uhr, außer montags sowie am 25. Dezember 2023 und 1. Januar 2024.

Weitere Informationen (Maison Victor Hugo; fr./engl.)

Es ist ein Katalog in franz. Sprache erschienen: Georges Hugo, l’art d’être petit-fils, 96 Seiten

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