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„Kraitis iš pelkės“ – lautet der Titel des neuen – zweiten – Albums der litauischen Frauengruppe Sen Svaja, das bereits 2018 in Litauen auf den Markt kam und nun auch im restlichen Europa zu erhalten ist. Eine „Mitgift aus dem Sumpf“ – so die deutsche Übersetzung des Albumtitels.
Die 2010 in Vilnius gegründete bis zu fünfköpfige Gruppe mit wechselnder Besetzung um die studierte Musikerin Agota Zdanavičiūtė, konzentriert sich primär auf alte litauische Volkslieder und -musik, integriert darüber hinaus Elemente südslawischer Volks- und Jazzmusik.

 

Historisch bezieht sich der Name der Gruppe Sen Svaja auf die Prußische (Prūsai) Kultur – abgeleitet aus der Sprache jenes westbaltischen Volksstammes, der sich zwischen Weichsel und Memel (heute Ostpolen, Oblast, litauische Ostsee-Region) mit dem Deutschen Ritterorden verband. Im Spätmittelalter germanisiert mündeten die prußischen Stämme in den Namen „Preußen“. Sen Svaja (pruss. „Sen swajjais“) bedeutet mit sich selbst, in Schoße der eigenen Sippe zu sein und mit denen, die man in diese aufnimmt.

 

So archaisch wie das Logo der Gruppe aussieht, sich die Sängerinnen schamanisch feengleich kleiden und der Titel des Albums klingt, ist auch die Instrumentalisierung: Gesang und Percussion, einige Stücke sind a-cappella oder mit der Unterstützung einer Zither vorgetragen. Die gesamte Liedsammlung ist konsequent in seiner elementaren, volkstümlichen Beschaffenheit, weicht aber auch immer wieder von rein folkloristischen Mustern ab.

Das tut der ganzen 47 Minuten dauernden Einspielung immens gut und zeigt nicht allein dadurch die brückenbauende Bandbreite der Gruppe, sondern auch den Willen zum Experimentieren mit historisch Gewachsenem.

Verbindend ist auch, wie schon im prußischen Namen der Gruppe Sen Svaja erläutert, die grundsätzliche Haltung. Gleich dem Bild einer geöffneten Tür, das über die feste Definition der Sippe Durchlässigkeit verspricht, indem sie auch das Fremde, das Gegenüber, das vermeintlich Jenseitsstehende zum Eigenen machen kann, so gehört die Durchmischung derlei Vorstellungen mit anderen Kulturen ebenfalls zum Programm von Sen Svaja und findet sich als transkultureller Leitfaden auf dem neuen Album. Neben fünf Stücken, die litauischen Ursprungs sind, ziehen die Musikerinnen explizit Verbindungen nach Norwegen, Mazedonien, Serbien, in die Türkei und zu der amerikanischen Folksängerin Jean Ruth Ritchie (1922-2015) aus Kentucky, von der eines der textlich leicht veränderten Stücke stammt: „One I Love (1965, Nr.5).

 

SenSvaja COVER

„Kraitis iš pelkės“ baut auf dem ersten Album – „Laumių lopšinė" (2015, dt.: „Wiegenlied der Feen“) – insofern auf, dass das inhaltliche Mythologisieren sowie das Zusammenspiel von Musik, Natur, Landschaft, Geisterwelt als auch Natur- und Waldkräften eine einnehmende inhaltliche Rolle spielen.

 

Klanglich sind alle Werke scheinbar miteinander verwandt, eben auch dann, wenn sich eine Charakterisierung des Fremdartigen einstellt.

Teilweise klingt es, als ob der Aufnahmeort sakral wäre, besonders deutlich bei „Ralia rolia“ (Nr. 1), „Leno mori“ (Nr.2) oder Erzurum (Nr. 8) wahrzunehmen. Der Klangraum ist erwähnenswert gut und der inhaltlichen Erhabenheit entsprechend, fein abgemischt.

 

Die ausgesprochen schönen und vielseitigen Stimmen der Litauerinnen sind der musikalische Nukleus, um den sich alles dreht und der das Album zu etwas sehr Besonderem macht.


Sen Svaja: Kraitis iš pelkės – The Dowry From A Swamp

Agota Zdanavičiūtė-Bėkštė (Gesang, Zither, Percussion) | Dorotė Girskienė (Gesang, Percussion) | Justina Kaminskaitė (Gesang, Percussion)

Folk: Litauen

Label: CPL Music/Brokensilence

CD, Booklet mit Songtexten

EAN: 4251329500306

- Weitere Informationen

- Hörproben

VÖ: 26. Juni 2020

 

YouTube-Videos:

- Sen Svaja - Ralia rolia (6:55)

- Sen Svaja - Lingu Palingu (4:53)

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