Musik

„Ich finde den Weg nicht mehr.“ Jeder kennt das Märchen von den im Wald verirrten Kindern „Hänsel und Gretel“, natürlich auch Engelbert Humperdincks Opernfassung.

 

Für Alzheimer Erkrankte ist das Verirren jedoch kein Märchen, sondern traurige Realität. Inken Rahardt hat eben diese Realität mit „Hans & Grete“ auf die Bühne des Opernlofts gebracht. Das Premierenpublikum feierte ihre fantastische, ebenso eindringliche wie erschreckende Demenz-Oper nach Humperdinck mit Bravorufen und minutenlangem Beifall.

 

Was für eine Erscheinung! Große Sonnenbrille, rosaroter Schlapphut, bodenlanger Pelz, schicke Pumps. Grete (Sylvia Bleimund) sieht aus wie Hildegard Knef Anfang der 1990er Jahre, mondän, elegant, luxuriös – nur, dass sie offenbar etwas verwirrt ist. Begleitet von ihrer Tochter und der Enkelin betritt Grete das „Heim“, das ihr letztes sein wird, verwundert darüber, was dieser Ausflug bedeutet und wo sie sich hier überhaupt befindet.

 

Der Auftakt ist stumm, umso beklemmender die erste Szene. Nach kurzer Begrüßung zwischen Tochter und Heimleiterin und dem rührenden Abschied von der Enkelin wird Grete entkleidet. Muss Hut, Pelz und Kostümjäckchen eintauschen gegen eine graue Jogginghose und ein labberiges übergroßes weißes Shirt. Was für eine dramatische Verwandlung! Wie würdelos diese Transformation! Man wünschte sich, dass es nur ein Bühnenstück wäre und nicht die traurige Realität in unseren Altersheimen.

 

Eben noch Grande Dame, nun eine in Anstaltskleidung uniformierte, hilflose alte Frau, die sich verzweifelt an ihre Pumps, den letzten Utensilien ihrer einstigen Identität, klammert. Ihrem Zimmernachbarn Hans (Tilman Birschel) ergeht es nicht besser und so schließen die beiden liebenswürdigen alten Menschen schnell Freundschaft.

 

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Für Regisseurin Inken Rahardt war diese „Demenz-Oper“ eine Herzensangelegenheit. Jahrelang hat sie erlebt, wie ihre an Alzheimer erkrankte Mutter immer mehr verschwand, erst vergesslich wurde und Orientierungsprobleme bekam, später ihre nächsten Angehörigen nicht mehr erkannte. Wie diese heimtückische, unheilbare Krankheit es schafft, dass eine einst unglaublich starke Persönlichkeit der Welt einfach abhandenkommt. Die Idee, Hänsel und Gretel ins Altersheim zu transferieren und ihre Erlebnisse im Wald und im Hexenhaus als Wahnvorstellungen zu zeigen, sind einfach genial! Ebenso die Idee mit der durchscheinenden Projektionsfläche. Immer dann, wenn die beiden alten Menschen in ihren Ängsten und Halluzinationen gefangen sind und die Pflegerinnen zu Hexen mutieren, werden grelle-grüne Molekular-Strukturen und Nervenzellen auf einer Holo-Gaze sichtbar, auf der auch Informationen über Demenz eingeblendet werden (Übertitel Susann Oberacker). Toll gemacht! Selten hat man eine Opern-Inszenierung gesehen, die einen vom ersten bis zum letzten Moment derart in den Bann zieht!

 

Amy Brinkmann-Davis (musikalische Leitung und selbst am Klavier) hat ein Opernloft gerechtes, wunderbar schlankes Arrangement für Klavier, Cello (Tristan Xavier Köster) und Horn (Bethany Kutz) geschrieben. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut die musikalischen Passagen in das Altersheim-Setting passen, dabei hat Adelheit Wette (Libretto) die Humperdinck-Oper kaum bearbeiten müssen. Egal, ob die Schwester/Hexe durch das hochgezogene Gitter des Pflegebetts nach Hänsels Finger fragt (schon der der Piks, um den Sauerstoffgehalt zu messen, stellt für viele Kranke eine ernstzunehmende Bedrohung dar.) Oder ob die beiden „Alten“, angeleitet von den drei Pflegerinnen, „Brüderchen, komm tanz mit mir“ anstimmen. Wer selbst Angehörige in Pflegeheimen hat, der weiß, dass das Singen von Kinderliedern zum Beschäftigungsprogramm für Demenzkranke gehört.

 

Thematisch ist diese Oper schwere Kost, keine Frage. Doch die Inszenierung ist ein Erlebnis, das sicher noch lange in Erinnerung bleibt - zumal die Sänger*innen durch die Bank ganz hervorragend sind. Allen voran die „alten Hasen“: Sylvia Bleimunds Grete besticht mit herrlich-warmen Sopran. Tilman Birschel überzeugt mit seinem lyrisch-starkem Bariton als ebenbürtiger Hans. Getragen wird diese Fassung aber von den fantastisch starken Stimmen der Pflegerinnen Kati, Anne und Emilia, alias Rebecca Aline Frese, Sophie-Magdalena Reuter und Rocio Reyes.

 

Das Opernloft ist längst bekannt als Kaderschmiede für junge Talente. „Hans & Grete“ setzen einen neuen Höhepunkt.


„Hans &Grete“

zu sehen Opernloft, Van-der-Smissen-Straße 4, Hamburg

Nächste Vorstellungen am 12.3. um 18 Uhr, 17.3. um 19.30 Uhr, 16.4. um 18 Uhr.

Weitere Informationen und Karten unter www.opernloft.de



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